
Bisher habe ich alle paar Wochen versucht, für mich und andere etwas Ordnung und Systematik ins Pandemiechaos zu bringen. Das ist inzwischen fast unmöglich geworden. Es scheint in Sachen Corona einfach mehrere Wahrheiten und jede Menge Unkalkulierbares nebeneinander zu geben.
Es begann mit verwackelten Videos von den „Fast Drops“ in China, plötzlich tot umfallenden Passanten, dem hektischen, live übertragenen Bau einer riesigen Intensivstation, mit Berichten von Leichenstapeln in chinesischen und später dann italienischen Klinikfluren.
Die nächtlichen Fahrzeugkolonnen in Bergamo erwiesen sich zwar später als ein eher logistisches Problem, aber die vielen Gestorbenen wurden davon nicht wieder lebendig. Schließlich ertönten nachts in abgesperrten Millionenstädten Gefangenenchöre von Balkonen. Es ging Schlag auf Schlag. Es folgten Bilder von vollständig vernarbtem Lungengewebe, seltsamen Hautverfärbungen, Coronafingern, entzündlichen Veränderungen und Thrombosen in nahezu jedem Körperteil, bis hinein in gescannte Hirne von Mensch und nun auch Tier.
Beängstigende Studien zum Long-Covid-Syndrom wurden bekannt und in zahlreichen Instituten beugen sich seitdem ganze Heerscharen von Wissenschaftlern über Mikroskope und Datentabellen, allerdings ohne sich bisher auf Empfehlungen einigen zu können, die geeignet wären, die Lebensnormalität für ganze Völker wiederherzustellen. Diese, teils drastischen Warnungen vor den Folgen einer Erkrankung verstummen nicht, sondern sie werden bis heute von Medizinern und einschlägig Ausgebildeten immer wieder erneuert.
Den vorläufigen Schlusspunkt unter diesen Erzählstrang (und Anlass für diesen Text) bildet meine Frau, die soeben zurück vom PCR-Test, folgendes berichtete: In ihrer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis (brechend voll, das Personal in Tränen aufgelöst), lag am Eingang ein Kondolenzbuch. Der Doc (Coronaskeptiker, nicht geimpft, stets freundlich aber ohne Maske behandelnd) hat seinen dreiwöchigen Kampf auf der ITS verloren. Er wurde Fünfzig. Solche Geschichten erschüttern mühsam aufgebaute Überzeugungen. Und wer all das ins Reich der Legenden abschiebt, macht es sich zu einfach.
Umherirren der Politik
Nun gibt es viele kluge Köpfe, die – mindestens ebenso gut begründet – eine ganz andere Bedrohung noch weitaus höher wichten. Aus dem offensichtlichen Umherirren der Politik, dem Aushebeln des Parlamentarismus, der Umwandlung des demokratischen gelenkten Staates in ein nicht legitimiertes, selbst im Kriegsrecht nicht zu findendes Maßnahmendiktat und dem Umverteilen riesiger Kapitalberge in Richtung Onlinehandel, Pharmaindustrie und Politik ist ohne weiteres zu schließen, dass die ‚Notlagen nationaler Tragweiten‘ den Beginn des irreversiblen Totalumbaus der modernen liberalen Industriegesellschaft zu einem totalitären Superstaat darstellen, in dem Wohlstand, Bürgerrechte, Freiheit und Selbstbestimmung nur mehr romantische Erinnerungen sein werden. Auch das lässt sich nicht wegdiskutieren.
Wir sehen – neben den sich von Corona und den sich vom Ende der Freiheit bedroht Fühlenden, also den Verlierern – auch die Gewinner. An den Börsen gibt es Rekordkurse zu bestaunen. Die Geldflüsse sind aus den Stadt- in die Rechenzentren gewandert und werden dort von den Onlinehandel-, den Bitcoin- und Hedgefond-Königen abgeholt. Sie werden – in Hundert-Millionen-Päckchen gestückelt – häppchenweise auf Charity-Partys, für spezielle Stiftungen und in die am Spendentropf hängenden Aktivisten einer klimatisierten Welt wieder eingespeist. Und für ein paar Peanuts aus den Milliardenbunkern lassen sich die Fürsten der Neuzeit zwischendurch schon mal mit ein paar Kumpels hoch hinaus in den Weltraum schießen. Mehr Selbsterhebung ist schlecht denkbar.
Die Letztgenannten spielen in einer bis dato wenig kontrollierbaren, weil technisch nicht verstandenen geostrategischen Liga, in der sie selbst weitgehend die Regeln bestimmen können. Das wird zum Problem, weil man von da aus weltweite Märkte manipulieren, Präsidenten abschalten, willfährige „Ikonen“ installieren kann. Herrschte anfangs noch ein liberaler, am Individuum orientierter Geist in der Digitalwelt, so erkannte die Politik nach und nach, dass ihr mit den, mit Zuckerbrot und Peitsche gefügig gehaltenen, politisch gänzlich unerfahrenen Hightech-Kapitänen enorme finanzielle und machtpolitische Zugewinne ins Haus standen. Die politischen Eliten begannen, ihren machtpolitischen Impetus mit den Technologieriesen zu einem omnipotenten unangreifbaren Apparat zu verschmelzen.
Logische Prozesse?
Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Geschehen einem strategischen Masterplan folgt, den sehr viele im ideologiegeprägten Agieren des Weltwirtschaftsforums oder einiger philanthropischer Stiftungen zu erkennen glauben. Vielmehr dürfte es sich um völlig logische, sich aus vielen Teilinteressen und technologischem Fortschritt ergebende Prozesse handeln. Wir sehen Machtverschiebungen, Aufstieg und Fall, wie sie immer technische Revolutionen begleitet haben. Der Markt der Möglichkeiten wird einfach genutzt. Corona bietet nun sozusagen als externer Impact den Booster für den Weltneubau. Einen Verflüssiger für viele erstarrte gesellschaftliche Strukturen. Er ist ein Stresstest nicht nur für die individuelle sondern auch für die soziale Immunität. Er wird vorerkranke Gesellschaftsformationen hinwegraffen und widerstandsfähige stärken und ist so Gefahr und Lösung in einem.
Zurück zu den beiden erbittert streitenden Gruppen. Den Anhängern restriktiver freiheitsentziehender Maßnahmen und den Verteidigern eben dieser Freiheit, die nichts mehr fürchten als dass die tägliche Unterwerfung unter ein Notfallregime nicht mehr endet. Zunächst wäre es gut, wenn beide Gruppen erkennen würden, dass sie ein gemeinsames Etappenziel verfolgen: Das baldige Ende der Pandemie. Und zwar weil sich Pandemie und beschleunigte Erosion des Rechtsstaates nicht ausschließen sondern bedingen. Einer verängstigten Bevölkerung wird solange kein Freiheitsproblem glaubhaft nahezubringen sein, wie die Notfallaufnahmen vor Ihren Angehörigen die Türen verschließen. Ganz egal, ob die irgendwann zuvor besser aufgestellt waren. Eine erfolgreiche und sichtbare Bekämpfung der Pandemie würde die Gretchenfrage der Politik wieder ganz oben auf die Tagesordnung setzen: „Wie hältst Du‘s mit der Freiheit?“