Horst D. Deckert

Wüster Extremismus

Völlig hemmungslos: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst bei „Anne Will“ (Foto:Imago)

1976 gab der SPD-Politiker und Publizist Freimut Duve unter dem Titel „Weimar ist kein Argument oder: Brachten Radikale im Öffentlichen Dienst Hitler an die Macht?” eine Textsammlung heraus, die sich kritisch mit der „funktionalistischen“ Sichtweise auseinandersetzte, die NS-Machtergreifung sei Folge einer extremistischer Unterwandung der staatlichen Institutionen durch Heerscharen von zu Brandstiftern mutierten Biedermännern in Ämtern und Behörden gewesen. Die beabsichtigte Parallelführung griff jene damals gerade aufbrandende, ein Jahr später dann im „deutschen Herbst“ ihren Wellenkamm erreichende Hysterie wegen einer vermeintlichen linksterroristischen Infiltration des Beamtenapparats auf – eine allgegenwärtig empfundene Gefahr, der die damalige, übrigens SPD-geführte (!), Bundesregierung durch Radikalenerlass, Berufsverbote und RAF-Sympathisantenverfolgung beizukommen versuchte.

Die Sorge, dass der BRD ein Staatsumsturz durch sich auf ihrem „Langen Marsch durch die Institutionen“ überall festsetzende Linksradikale drohe, war maßlos überzogen (und in etwa so unbegründet wie das heutige Ammenmärchen von der rechtsextremen Umsturzgefahr durch Querdenker, Bundestags-Treppenstürmer oder Montagsspaziergänger). Damals jedenfalls – nicht jedoch langfristig: Tatsächlich nämlich bewahrheitete sie sich später durchaus, allerdings erst 40 Jahre später – in unserer heutigen Gegenwart. Inzwischen haben wir tatsächlich Linksradikale im öffentlichen Dienst: Sie sitzen an der Spitze des Bundesinnenministeriums, in Staatskanzleien und in Verfassungsschutzämtern – und ihre prominentesten Vertreter kennen überhaupt keine Hemmungen mehr, unter Bemühung eines protofaschistischen Entgrenzungsvokabulars Tabus am Fließband zu brechen und unter öffentlichem Beifall, vor unser aller Augen, Ungeheuerlichkeiten abzusondern, für die noch vor wenigen Jahre jeder Provinzpolitiker auf Nimmerwiedersehen hätte seinen Hut nehmen müssen – und das zu Recht.

Neue Stufe der Eskalation

Ministerpräsidenten wie Winfried Kretzschmann, die von harten Eingriffen in Bürgerfreiheiten fabulierte, oder Tobias Hans, der Ungeimpften die deutliche Botschaft übersandte „Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben”, wissen sich angesichts der bodenlosen Drohungen des neuen Kanzlers Olaf Scholz, es dürfe keine roten Linien mehr geben, in bester Gesellschaft. Eine neue Stufe der Eskalation zündete dann vorgestern dann NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst mit einer unfassbaren Bemerkung bei „Anne Will“, die er fast wörtlich auf Twitter so noch einmal wiederholte: „Menschen dürfen ihre individuelle Freiheit nicht über die Freiheit der Allgemeinheit stellen.

Freiheit der Allgemeinheit: Was soll das sein? Das, was von der Pharmaindustrie gedungene Regierungsberater, handverlesene Wissenschaftler und Lobby-„Ethiker“ gemeinsam mit gekauften Machtpolitikern in auf Kurs gebrachten konformistischen Massenmedien definieren? Tatsächlich nähern wir uns hier bedenklich jenem zynischen Freiheitsverständnis an, das vor 80 Jahren – ebenfalls auf Betreiben eifriger, solidarischer „rechtschaffener“ Deutscher ihrer Zeit – über schmiedeeisernen Lagertoren prangte. Der Terreur der vielen, die Diktatur der Mehrheit, die postmoderne Ausprägung eines von Rousseau vorweggenommenen Totalitarismus: Bis vor Corona gehörten sie allenfalls bei Linkspartei und Grünen zum politischen Kampfrepertoire der Umverteiler und Klimaaktivisten. Dass sich so nun schon CDU-Spitzenvertreter äußern und das im Zusammenhang einer seriellen Mogelpackung namens Covid-Impfung, beweist auf unheilvolle Weise, wie weit Bolschewisierung und Selbstradikalisierung gediehen sind im neuen Gesundheitswahn- und Impfregime, das keine wahrlich keine Grenzen (wörtlich und ideologisch) mehr kennt. Es sind längst keine Anfänge mehr, deren noch zu wehren wäre. Die Katastrophe ist bereits in vollem Gange.

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