Serienkiller faszinieren die Menschen, wie unzählige Fernsehformate und Sachbücher belegen. Der eine will sehen, wie sie geschnappt werden und am Ende das Gute obsiegt. Andere beschäftigt die psychologische Komponente. Nur wenige nehmen sich verrückte Massenmörder zum Vorbild. Dass eine Frau auf gar „unweibliche“ Weise zur Triebtäterin wird, erscheint als Novum. Ist der Fall Sarah M. nur ein Einzelfall – oder Spiegelbild beunruhigender Gesellschaftsentwicklungen?
Vergangene Woche fiel das Urteil für die zur Tatzeit 18-jährige Deutsche. Der Richter attestierte eine „selten gesehene emotionale Kälte“. Sie ging systematisch vor, meldete sich auf mehreren Dating-Portalen an. Einsame, liebesbedürftige Männer schienen ihr als perfektes Opfer – und Zeyed E. (39) biss an. Der Migrant träumte von der gemeinsamen Nacht in einer Hütte. Seine Lüsternheit war sein Todesurteil.
Nach Vorbild männlicher Serienkiller lockte Sarah M. den 39-jährigen Migranten Zeyed E. in eine Falle und erstach ihn eiskalt:
Wachmann Zeyed E. (39) – IHN lockte die Sexdate-Killerin in die Todesfalle https://t.co/ceCSfkxSQf #Nuernberg #Nachrichten
— BILD Nürnberg (@BILD_Nuernberg) February 2, 2022
Borderline, Drogen und Netflix prägten die Killerin
Auf dem Feldweg zu einer Hütte rammt ihm Sarah M. ein Messer in den Hals. Er kann sich noch bis zur Straße schleppen, verstirbt aber Wochen später im Spital an seinen Wunden. Es hätte der erste Streich einer Mordserie sein sollen. Einer Freundin erklärte sie den Plan: „Ich gehe jetzt raus, will meinen Ersten killen. Treffe mich mit einem Kanacken. Bin aufgeregt, es pisst wie Sau. Wünsch mir Glück, dass es hinhaut.“ Die Ausführung ist stümperhaft, es war wohl ihr letzter Mord: Sie kassiert 12 Jahre Jugendstrafe mit anschließender Verwahrung.
Schockierend ist nicht nur ihre Gefühlskälte, sondern auch die Begleitumstände. Denn Sarah M. ist kein unbeschriebenes Blatt. In einer rauen, multikulturellen Gesellschaft voller Gefahren und ohne Perspektiven flüchtet sie sich in die Drogen. Mehrfach muss sie vor Gericht.
Sie entwickelt das Borderlinesyndrom, hegt Suizidgedanken. Sie sucht nach Halt – und findet ihn in US-Killern, die sie über Netflix-Formate wie „American Horror Story“ oder „Night Stalker“ kennenlernt.
Sie idolisiert die ruchlosen Serienmörder Ted Bundy und Richard Ramirez. Deren Poster zieren ihr Zimmer. Irgendwann, so schwört sie sich, wird sie ihnen nacheifern. Als blutverschmierte, eiskalte Mörderin durch die Straßen laufen: Das gab ihr auch direkt nach der Tat einen Kick. Beim Prozess trägt sie wie Ramirez ein Pentagramm auf der Handfläche, dazu blutrot gefärbte Haare.
German serial killer lured online ‘coomers’ https://t.co/TDEYmelXfu
“Sarah (19) has been standing trial at the Bamberg district court since Friday. Prosecutor is convinced: the teenager lured admirers into a trap with the promise of quick sex and stabbed them in cold blood.” pic.twitter.com/RhfC6L5UV7— Siberian fox (@SilverVVulpes) February 11, 2022
#killallmen: “Maskuzid” als Tugend?
Es entsteht das Bild der eiskalten Killerin, deren einzige Reue es ist, nicht als Serienmörderin in die Geschichte einzugehen, wie sie später erklärt. Doch sie ist auch Produkt einer Gesellschaft, in der Konsum, Abenteuer, schneller Thrill und Selbstdarstellung als Tugend gelten. In der Gewalt als legitimes Mittel gilt, das in zahlreichen Filmen glorifiziert wird: Von „Kill Bill“ bis Lisbeth Salander – der plötzliche Hang zur Gewalt der „Rächerinnen“ wird heldenhaft und bis ins letzte Detail dargestellt, frühere Verletzungen dienen als Rechtfertigung.
Männer sind dabei wahlweise Bösewichte, austauschbares Kanonenfutter oder „verdienen“ den Tod. Längst hat sich das Sentiment in die Wirklichkeit übertragen. Im Jahr 2014 tauchte der Twitter-Trend #killallmen auf. Er fiel salopp zu so alltäglichen Dingen wie einem Wachmann im Supermarkt, der oft nach der Nummer einer Kundin fragte. Auch Zeyed E. arbeitete als Wachmann.
Im Jahr 2017 tönte die radikale Feministin Jenny McDermott sogar in einem Video: „Ich bin es leid, eine Baby-Maschine zu sein, die noch mehr Männer produziert, die mich in der Zukunft unterdrücken werden. Die Lösung für dieses Problem ist einfach, alle männlichen Babys und Männer auf der Straße umzubringen.“ Wenn Mord ein emanzipatorischer Akt ist – wie wirkt sich das auf beeindruckbare Jugendliche aus, deren psychosoziale Entwicklung nicht abgeschlossen ist?
Weibliche Verrohung
Die Verrohung ist längst bei Frauen angekommen – eine Folge eines Klimas der Gewalt, das Narben und Schäden hinterlässt. Dem männlichen Tschetschenen (16), der 2016 in Wien ein Mädchen verdrosch, weil es sein Kopftuch abnahm, folgte 2019 eine Mädchen-Bande, die sich beim Verprügeln einer 14-Jährigen im Park filmte. Es ist ihre Mitschülerin, doch es ist keine Schulhof-Streitigkeit. Sie wird verfolgt wie bei einer Gefängnisfehde. Auch als das Opfer sich winselnd vor Schmerz am Boden windet, lassen die Täterinnen nicht von ihm ab.
Wie in diesem Fall haben die Täter öfters Migrationshintergrund. Die Grapschattacken in der Kölner Silvesternacht oder der erschütternde Sexualmord an Maria L. (19) durch einen Afghanen schockierten. Aber bei Sarah M. steht das Aufeinanderprallen von Kulturen nicht im Vordergrund: Die Trennung von ihrem Ex-Freund legte ihren „Schalter“ um. Zeyed E. ist nur Mittel zum Zweck, ein Stellvertreter für ihren Hass auf Männer, den sie glaubt, nur mit einem „Maskuzid“ zu befriedigen. Sie ist eine Getriebene, ihre Persönlichkeitsstörung besorgt den Rest.
„Verführerische“ Opfer, die in den Täteraugen keinen Wert haben, aber Gelegenheit bieten: Der Fall Sarah M. ist die Umkehr der Prostituiertenmorde wie bei „Jack the Ripper“. Die These, jener sei eine Frau gewesen und deshalb nie gefasst worden, faszinierte sie offen. Denn es ist eine stereotyp „männliche“ Tat. Frauen stehen im Ruf, Männer eher heimlich zu vergiften oder durch andere Männer töten zu lassen. Die Dunkelziffer ihrer Beteiligung an Tötungsdelikten ist wohl höher als die „offiziellen“ 12 Prozent.
Killerinnen-Verklärung
Noch sind Schuss-, Stich- und Erhängungsmorde durch Frauen untypisch. Doch sie kommen immer öfter vor und werden häufig heruntergespielt. Als bekannt wurde, dass Estebaliz C. zwei ehemalige Liebhaber erschoss, unterbrach kein Politiker einen Auftritt, um tränenreich über „Maskuzide“ zu sprechen. Medien verniedlichten sie als „Eislady“, schürten teilweise pathetisch ein Verständnis für ihre Lage.
Als „hübsche Femme fatale“ in Haft genommen, standen Boulevardblätter weiter Schlange, um ihre Gefängnis-Eskapaden in bester „Outlaw“-Romantik zu verklären. Ihre Memoiren verfasste sie in Zusammenarbeit mit einer „Krone“-Journalistin. Auch die Amerikanerin Amanda Knox löste als „Engel mit den Eisaugen“ diese Faszination aus. Nach dem Freispruch vom Vorwurf, ihre Mitbewohnerin bestialisch ermordet zu haben, schwand das Interesse an ihrer Person allmählich.
Die unterschiedliche Bewertung brutalster Taten ist kategorisch. Eine Psychologin erklärte zur Frage nach weiblichen Tätermustern einst: „Wenn eine Frau ihren Partner tötet, empfindet sie es oft als Befreiungsschlag.“ Die umgekehrte Bewertung Frauenmorde würden zurecht für öffentliche Empörung sorgen. Doch vielleicht führt die zunehmende Gewalt auch seitens weiblicher Täter zu einem Umdenken in der Debatte. Der Fall von Sarah M., die ihr Opfer nicht kannte, könnte dazu beitragen.