Horst D. Deckert

Bei «Infosperber» gibt es nur noch eine Meinung zum Ukraine-Krieg

Der Kampf um die Deutungshoheit im Ukraine-Krieg ist in vollem Gange. Der Debattenraum könnte gegenwärtig kaum schmaler sein. Wer unterschiedliche Ansichten über den Krieg in Osteuropa erfahren will, der muss sich auf alternativen Medien im Internet informieren. Doch auch dort hat der Meinungspluralismus einen immer schwereren Stand.

Ein Beispiel für viele: die Online-Zeitung Infosperber. Kritische Stimmen, welche auch die russische Perspektive zum Ukraine-Konflikt aufzeigen, sind dort neuerdings nicht mehr gefragt. Unlängst hat sich die Redaktion von Christian Müller getrennt.

«Wir bedauern es sehr, folgenden Entscheid der verantwortlichen Redaktion und der Stiftung SSUI mitteilen zu müssen: Wir lösen die langjährige Zusammenarbeit mit Christian Müller als Mitglied der verantwortlichen Redaktion auf», informierte diese ihre Leser am 3. März 2022.

Hierzu muss man wissen: Müller ist ein ausgewiesener Kenner Osteuropas. In den vergangenen Jahren berichtete der Journalist regelmässig über den Konflikt in der Ukraine; einem Land, das er selbst wiederholt bereist hatte und bestens kennt. Der Vorwurf gegenüber Müller lautet, er habe zu wenig kritisch über Putin berichtet.

Ausschlaggebend für den fragwürdigen Entscheid der Redaktion war ein Kommentar, den Müller am 26. Februar 2022 über die russische Invasion verfasst hatte. Darin vertrat der Journalist den Standpunkt, dass der russische Angriff – den Müller nicht gutheisst – auf die Ukraine hätte verhindert werden können. In seinen Augen sei der Westen mitverantwortlich dafür, dass dort heute Krieg herrscht.

Eine Ansicht, die offenbar der Mehrheit der Redaktion des Infosperber inzwischen ein Dorn im Auge ist. «Es gab einige Kollegen auf der Redaktion, denen mein Kommentar sauer aufgestossen ist», sagt Müller gegenüber Corona-Transition. Infosperber-Autor und Spielkritiker Ernst Synes habe daraufhin die Zusammenarbeit mit Infosperber beendet.

Auch für Rainer Stadler scheint Müller zuletzt nicht mehr tragbar gewesen zu sein. Stadler ist ehemaliger Medienjournalist der NZZ, der seit 2020 für Infosperber arbeitet. Laut Müller hat vor allem er Druck gegen ihn gemacht. «Aufgrund der intensiven Kritik in der Redaktion habe ich dann darauf verzichtet, an einer schon länger geplanten Redaktionssitzung am 3. März teilzunehmen. Dort wurde dann mein Ausschluss beschlossen.»

Müller verweist insbesondere darauf, dass Stadler ihn zuletzt auch öffentlich kritisiert habe. «Was die Putin-Versteher betrifft: Die verstehe ich überhaupt nicht. Sie widersprechen meinem publizistischen Selbstverständnis», schrieb Stadler am 25. Februar in einem Kommentar zu einem Medienwoche-Artikel. In dem Beitrag bezeichnete der Journalist Marko Kovic Christian Müller (Infosperber) und Roger Köppel (Weltwoche) als «nützliche Idioten für russische Kriegspropaganda».

Pikant: Stadler, der sich gegen Müller stark machte, kritisierte am 7. März auf Infosperber wiederum die Bestrebungen der EU, die russischen Sender RT und Sputnik zu verbieten. Ein Infosperber-Leser meinte dazu in einem Kommentator:

«Infosperber verurteilt (zu Recht!) Zensur, zensuriert aber unbegreiflicherweise selber! Der Rauswurf von Christian Müller war ebenso fragwürdig, wenn nicht noch fragwürdiger als das Verbot von RT seitens der EU! Gerade den Infosperber-Lesern kann man eine gute Urteilsfähigkeit zutrauen und sie sind sehr wohl fähig, die Beurteilungen und Stellungnahmen Ihres langjährigen Journalisten richtig einzuordnen!»

Corona-Transition konfrontierte Stadler mit mehreren kritischen Fragen. Der Infosperber-Journalist nahm dazu jedoch nicht Stellung. Der Entscheid des Infosperber hatte zuletzt unter der Leserschaft hohe Wellen geworfen. Unzählige Leser zeigten sich empört über Müllers Rauswurf. Dies veranlasste Urs P. Gasche, Leiter der Redaktion, am 8. März eine weitere Stellungnahme zur Causa Müller zu veröffentlichen. Gasche wies darauf hin, dass die Redaktion sich zwar von Müller getrennt habe, doch dürfe dieser aber auch in Zukunft «gelegentlich» Beiträge für das Portal schreiben. «Von einem Schreibverbot war nicht die Rede. Als unabhängiger Autor kann Christian Müller weiterhin Beiträge für Infosperber schreiben», schreibt Gasche.

Doch ob Müller künftig noch für Infosperber schreibt, ist fraglich. «Meine Motivation, weiterhin für ein Portal zu schreiben, in dem andere Ansichten nicht erwünscht sind, hält sich zurzeit in Grenzen», erklärt Müller gegenüber Corona-Transition.

Müller sieht die Meinungsvielfalt zurzeit in Gefahr, und dies nicht nur bei Infosperber. Als der Ukraine-Konflikt 2014 losging, sei das noch anders gewesen. «2014 gab es noch einen gewissen Meinungspluralismus. Damals herrschte auch noch nicht ein Russenhass vor, wie ich ihn momentan beobachte. Das macht mir Angst.»

Auch in Deutschland sorgte der Entscheid des Infosperber vereinzelt für Unverständnis. Albrecht Müller, Herausgeber der Nachdenkseiten, kritisierte Müllers Rauswurf: «Es passiert jetzt bei Infosperber, was wir vorher schon bei den Blättern (Blätter für deutsche und internationale Politik, Anm. der Red.), bei der taz, bei der Süddeutschen Zeitung und vor längerer Zeit schon beim Spiegel erlebt haben: Anpassung an die Hauptlinie der westlichen Medien und Politik. Wir werden das beobachten. Vielleicht gibt es ja noch ein Fünkchen Hoffnung.»

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