Das gesellschaftliche Klima wird immer rauer und der Widerstand erbitterter. Fast im Sekundentakt erreichen die Bundestagsabgeordnetenbüros Mails von besorgten Menschen, die keine Impfpflicht wollen – geschweige diese denn akzeptieren werden. Auch gestern sind in Deutschlands Städten wieder unzählige Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die maximal durchschaubare Agenda dieser Corona-Politik der Bundesregierung zu demonstrieren. Dass so etwas noch immer absolut friedlich und außerordentlich diszipliniert geschieht, ist das eigentliche Wunder!
von Holger W. Sitter
Die Proteste gegen die Corona-Politik halten seit Monaten ungebrochen an. Am gestrigen Montag dürften – nach konservativen Schätzungen – erneut weit über Hunderttausend Bürger demonstriert haben. Online wurde zu insgesamt 2.283 Spaziergängen aufgerufen, und damit zu 13 mehr als in der Vorwoche. Die meisten von diesen wurden bei den Behörden nicht angezeigt. Vergangenen Montag demonstrierten deutschlandweit 175.000 Bürger gegen die Corona-Repressalien.
Bei vielen Kundgebungen berichten Teilnehmer von einem regionalen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit von Menschen aus dem Gesundheitssektor. Eine Praxis nach dem anderen müsse schließen, da die Mehrheit des Personals nicht geimpft sei. Mitten auf den Straßen waren auch viele Pflegekräfte zu sehen. Auf einem vielfach in den sozialen Medien geteilten Banner stand geschrieben: „2G+ ab 16.03. heißt: Gesund, Getestet, Gefeuert“. Wenn es nicht so traurig wäre, müßte man diesen Einfallsreichtum lächelnd beklatschen.
„Einrichtungsbezogene Impfpflicht“ ist seit heute Fakt
Stand heute ist davon auszugehen, dass rund 10 – 15 Prozent aller Pfleger in diesem Land weiterhin nicht geimpft sind. Sie alle fürchten jetzt um ihren Job. Denn während Deutschlands Politik über weitere Corona-Maßnahmen beratschlagt, steht eine bereits fest: Ab heute gilt die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“, also das faktische Berufsverbot für ungeimpfte Ärzte, Kranken- und Altenpfleger. Eine Katastrophe mit Ansage.
Die Bundesregierung hat bis heute die Augen vor den möglichen Folgen dieses „Impfzwangs“ verschlossen und bis zuletzt darauf spekuliert, dass sich die Leute kurz vor Toresschluss schon impfen lassen würden. Dabei fragt man sich, wozu es noch eine Impfpflicht braucht, wenn 75 Prozent der Bevölkerung bereits geimpft sind. Lauterbach klopft bis heute große Sprüche – beispielsweise, dass sich ein ungeimpfter Pfleger die Frage stellen müsste, ob er „für den Beruf geeignet“ sei. Erste Zahlen zeigen genau das, was auch in den letzten Monaten sichtbar war: Wenn der medizinische Impfzwang knallhart durchgesetzt wird, kollabiert unser Gesundheitssystem.
Ja, verdammt, es wäre der Job eines Gesundheitsministers gewesen, dieses Risiko erst gar nicht entstehen zu lassen, statt es aus bornierten, ideologischen Gründen sogar noch voran zu treiben. Bis zum heutigen Tag herrscht bei Betroffenen Unklarheit, wie es jetzt weitergeht. Weder die Pfleger noch die Klinikleitungen sind da rechtssicher im Bilde. Und vor allem weiß keiner, wie die Gesundheitsämter jetzt reagieren. Wird es ab sofort Betretungsverbote geben? Viele haben schon gekündigt, weil sie aus diesem ohnmächtigen Vakuum heraus wollten. Wieder andere bummeln erstmal Überstunden und Urlaub ab. Die meisten aber wollen es drauf ankommen lassen.
Nicht zu ersetzen und systemrelevant
Die Bundesländer haben nun zumindest schon mal „Vollzugshinweise“ an die Gesundheitsämter verschickt, wie diese die absichtlich „schwammig“ gehaltene Gesetzesregelung zur Impfpflicht umzusetzen hätten (falls es tatsächlich zu leeren Korridoren in den Einrichtungen kommen sollte), wirklich aufschlussreich sind die Vorgaben allerdings nicht. Es heißt, dass die Gesundheitsämter Betätigungsverbote gegen ungeimpfte Mitarbeiter aussprechen „können“, nicht aber, dass sie dies auch zwingend tun müssen! Eine „Armlänge Abstand“ wird hier wohl nicht reichen.
In der Regel wird darauf hingewiesen, dass die Versorgungssicherheit selbstverständlich oberste Priorität habe. Es wäre ja auch schlimm, wenn der caritative Hilfsgedanke in den Hintergrund treten würde. Streng genommen ist eigentlich schon jetzt bei den vielen unbesetzten Stellen jeder Arzt und erstrecht jeder Pfleger unverzichtbar. Seit Beginn der Pandemie hat man ja kaum einen Zweifel dran gelassen und dies tagein, tagaus postuliert. Es herrscht im Gesundheitssystem ohnehin seit vielen Jahren Fachkräftemangel. Lauterbach aber wird diese knappen Ressourcen des Landes zu einem unsinnigen Konfliktherd treiben, daran besteht kein Zweifel.
Über Holger W. Sitter
Holger W. Sitter war schon immer ein den Worten verpflichteter Freigeist. Schon 1987 übernahm er eine „linkskonservative“ Zeitung als Chefredakteur praktisch aus dem Nichts. „Mach es doch besser“, wurde dem Nörgler ans Herz gelegt und er tat, wie ihm geheißen. Seine klassische Ausbildung machte er dann Anfang der 90er bei der WAZ in Essen und Dortmund, begleitete dann viele Jahre seinen Lieblingsverein in Sport-Kolumnen für die Westfälische Rundschau und gründete 2003 das Magazin „Gib mich die Kirsche“, das er dreizehn Jahre als Chefredakteur führte. Dann kam die Politik und holte ihn zurück – zuerst nach Düsseldorf, dann nach Berlin. Dort macht er nicht nur mit, sondern mischt sich ein. Für Report24 schreibt er jetzt mit Beginn der 20. Wahlperiode über Lach- und Sachgeschichten rund um den Bundestag.
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