Die geltende Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wird der aktuellen Infektionslage nicht mehr gerecht. Dies haben 31 Gesundheitsämter Baden-Württembergs in Form eines Positionspapiers mitgeteilt. Corona-Transition veröffentlicht das Papier im Folgenden:
Die Gesundheitsämter sind seit Anbeginn der Pandemie in vielfältiger Weise nah am Geschehen – bei den Ermittlungen mit den Menschen, den vielfältigen Kontakten zu den Einrichtungen, in den Verwaltungsstäben und der Test- und Impforganisation. Zunehmend verfestigt sich der Eindruck, dass die derzeitige Strategie der pandemischen Situation nicht mehr gerecht wird und finanzielle und personelle Ressourcen besser genutzt werden sollten. Darauf wollen die Gesundheitsämter Baden-Württembergs als zuständige Fachbehörden in weitgehendem Einvernehmen mit u. g. Gremien mit folgender Analyse aufmerksam machen.
Exemplarische Erfahrungen aus den Gesundheitsämtern
Trotz digitaler Meldung der Fälle durch die Labore (über DEMIS) sind eine große Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern tagtäglich einschließlich Samstag/Sonntag mit der Bearbeitung der Meldungen gebunden: eine Vollzeitkraft kann ca. 70 bis 100 Fälle pro Tag erledigen. Die Labormeldung muss einzeln und in Handarbeit in die Software zur Weiterleitung an die Landestelle übertragen werden, auch dann, wenn die vom Bund vorgegebene Software SORMAS genutzt wird. Weil jeder positive Test gemeldet werden muss, landen auch alle erfolglosen Freitestungen bei den Ämtern – bis zu 6 Tests/Person (der Steuerzahler zahlt für jeden Antigen-Test 15 €). Mehrere Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsämter Baden-Württembergs sind täglich nur mit der sinnfreien Eingabe dieser Daten beschäftigt. Je Amt sind weiterhin mehrere ausgebildete Fachkräfte damit beschäftigt, die in der Regel befristet Angestellten zu schulen und die Qualität zu überwachen. Diese Daten haben im jetzigen Stadium der Pandemie keine Handlungsrelevanz mehr.
Beispiel aus einem Amt: heute, am 22.03.2022, sind in Karlsruhe 3.580 PCR-Meldungen eingegangen, außerdem ca. 2.400 Antigentests, die ganz überwiegend als E-Mail eingehen und mit einem noch höheren Aufwand in die Systeme eingepflegt werden müssen.
Pandemische Situation Mitte März 2022:
- 1. Hohe Fallzahlen, aber Entkopplung der 7-Tages-Inzidenz von der Belastung des Gesundheitssystems durch Patientinnen und Patienten; drohende Überlastung medizinischer Versorger und kritischer Infrastruktur durch Personalausfall wegen Krankheit sowie Isolations- und Quarantänemaßnahmen.
- 2. Aktuelle Meldezahlen bilden unzureichend das wahre Infektionsgeschehen ab (hohe Dunkelziffer, mangelnde Kapazitäten der Labore und der Gesundheitsämter sowie der niedergelassenen Ärzteschaft).
- 3. Durch Masse an Einzelfallmeldungen ohne Handlungsrelevanz ist eine Fokussierung auf wesentliche Aufgaben des Infektionsschutzes nicht mehr möglich (Erreichen von mehr Datenqualität bei schweren Verläufen, Konzentration auf Ausbruchsgeschehen, aber auch Maßnahmen zur Begrenzung von Infektionsgeschehen bei Geflüchteten aus der Ukraine).
- 4. Unnötige Belastung des ambulanten Systems durch medizinisch nicht notwendige PCR-Tests (Genesenen-Nachweis).