Horst D. Deckert

Würde-, ehr- und wehrlos: Wie sich die BRD zum Kasper Kiews macht

Ganz aus dem Häuschen über eine „Gesichtswahrung“, die keine ist: Steinmeier, Scholz (Foto:Imago)

Die aus ukrainischen Sicht legitimen Selbsterhaltungs- und Sicherheitsinteressen sind legitim und folgerichtig; und durchaus auch der Versuch Kiews, den Westen und die gesamte NATO um jeden Preis in eine bewaffnete Auseinandersetzung, einen großen Schlagabtausch mit Russland zu ziehen. Aus Sicht eines überfallenen Staates ist dies nur nachvollziehbar – denn schlimmer kann es für ihn nicht werden. Dort tobt bereits der Weltenbrand, vor dem zu Recht gewarnt wird. Das allerdings bedeutet eben nicht, dass der Krieg deshalb auch getrost auf andere Länder, ganz Europa oder gar den Planeten ausgeweitet werden kann. Noch ist es ein regionaler Konflikt – und die Deutschen haben ebenfalls ein nationales Eigen- und Selbsterhaltungsinteresse. Auch wenn  dieses von unseren Regierenden seit vielen Jahren, besonders ruchlos jedoch in diesen Tagen, nicht nur missacht, sondern eiskalt verraten wird.

Drei Wochen, nachdem die ukrainische Führung sich dreist geweigert hatte, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu empfangen, und damit einen diplomatischen Eklat ausgerechnet zulasten des Landes ausgelöst hatte, das finanziell (und neuerdings auch militärisch( zu seinen wichtigsten und blauäugigsten Hauptunterstützern zählt: Da macht die selbstherrliche dortige Führung nun einen symbolträchtigen Salto rückwärts, und lädt den Bundespräsidenten – im Doppelpack mit Olaf Scholz – plötzlich doch ein. Doch nicht etwa als aufrichtige, selbstkritische Wiedergutmachung einer beispiellosen diplomatischen Frechheit, sondern wohl mehr aus rein taktischen Gründen: Ausgerechnet am 9. Mai, dem Tag des Sieges über die Wehrmacht (der sowohl von Russland als auch on der Ukraine und den übrigen UdSSR-Nachfolgestaaten feierlich begangen wird), will sich Selenskyj gemeinsam mit den Spitzen des einstigen Erzfeindes Deutschland in Kiew präsentieren. Erkennbar vor allem, um Russland zu demonstrieren: Die Militärmacht, deren Niederwerfung ihr heute feiert, steht heute unverbrüchlich an unserer Seite!

Fatale Symbolik

Die Symbolik, auf die Selenskyj hier abzielt, dürfte kaum zu unterschätzen sein. Für Russland wäre es eine Zumutung und unerhörte Provokation, wenn die „obszönen Obersozen“ Scholz & Steinmeier sich just am 9. Mai in Kiew inszenieren lassen würden – und eine, die es eigentlich nicht ignorieren kann. Schon deshalb müsste die Bundesregierung diese Einladung daher nun ablehnen, um nicht nochmals massiv Öl ins Feuer zu gießen und den Bogen final zu überspannen. Doch nach soviel Taktgefühl und Voraussicht sieht es leider nicht aus; im Gegenteil: Bundeskanzler Olaf Scholz, der wegen des Affronts um Steinmeier zunächst konsequent eine Reise in die Ukraine ablehnte und sich dafür vom unverschämten ( und spätestens hierfür augenblicklich ausweisungsreifen) Ukraine-Botschafter Andrji Melnyk als „beleidigte Leberwurst” titulieren lassen musste, geht nun allen Ernstes mit dem Gedanken schwanger, nicht nur der Einladung sklavisch zu folgen, sondern dies auch noch zum delikaten Datum am Tag der Befreiung.

Man fragt sich, wie sehr sich dieses Deutschland eigentlich noch unmöglich machen, vorführen und demütigen lassen will. Berlin zeigt natürlich auch jetzt wieder kein Rückgrat und verzichtet darauf, einen Rest von Stolz zu verteidigen – weil es beides in Deutschland nicht mehr gibt. Und so verwundert auch die protokollarische Reaktion Bundesregierung nicht: Zuerst  teilte eine Sprecherin Steinmeiers mit, es

habe es eine 45-minütige telefonische Aussprache zwischen dem Bundespräsidenten und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gegeben, in der nicht nur „Irritationen aus der Vergangenheit” ausgeräumt wurden (damit waren nicht die Ereignisse 1941-1945, sondern die Ausladung vor zwei Wochen gemeint), sondern von Steinmeier auch „Solidarität, Respekt und Unterstützung für den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes gegen den russischen Aggressor” bekundet worden seien. Und: Als nächstes folgte dann die Meldung, dass sich Scholz und Steinmeier demnächst gemeinsam zur Pilgerfahrt nach Kiew begeben wollen. Annalena Baerbock, die in der Ampel Außenministerin spielen darf, sprang auch gleich noch auf den fahrenden Zug auf und verkündete, ebenfalls in die ukrainische Hauptstadt reisen zu dürfen. Man kann nur noch mit dem Kopf schütteln.

Diplomatische Pauschalreisen nach Kiew

Überhaupt ist ja der rege Pendelverkehr europäischer Staatsmänner nach Kiew ganz erstaunlich: Mitten im angeblich schlimmsten Waffengang seit dem Zweiten Weltkrieg reisen sie per Zug und Flugzeug ihren schweren Waffenlieferungen nach, besuchen ungehindert die doch bis vor wenigen Wochen noch „belagerte“ ukrainische Hauptstadt – und all das während eines laufenden angeblichen „Völkermords“ (weitere Superlative zur Dramatisierung wurden bislang noch nicht gefunden), so als herrsche dort rundum sicherer Friede, als gäbe es überhaupt keine bewaffnete Auseinandersetzung! Zuerst waren als angemaßte Privatdiplomaten auftretende grün-gelb-rote Hinterbänkler um Hofreiter und Strack-Zimmermann, die auf dem Majdan herumlungerten; dann reise diese Woche Friedrich Merz seelenruhig per Zug ins „apokalyptische” Kriegsgebiet, um dort Selenksyj ebenfalls die Aufwartung zu machen. Und demnächst folgt nun, also doch, das Gipfeltreffen Scholz und Steinmeier – und dies womöglich zum – mit Blick auf Russland denkbar unsensibelsten – Termin am 9. Mai. Von Scholz‘ Selbstachtung ist weniger übriggeblieben als von der „Moskwa” auf dem Grund des Schwarzen Meeres.

Nochmals, zur Klarstellung: Dass die ukrainische Zivilbevölkerung heute leidet, ist selbstverständlich nicht die Schuld des Kiewer Regimes, sondern primär Russlands als unbestreitbarem Aggressor in diesem Konflikt. Und doch bedeutet das nicht, dass deswegen ein falscher „Heldenmut” über Menschenleben zu stellen wäre und dass nicht alles getan werden muss, eine Lösung am Verhandlungstisch herbeizuführen.

Es ist kein Bündnisfall – und darf auch keiner werden!

Dass bei uns plötzlich viele die – hierzulande seit den Tagen der napoleonischen Befreiungskriege aus der Mode gekommene – Parole „Freiheit oder Tod“ zu neuen Ehren kommen lassen und von der Ukraine genau diese Verteidigung bis zum Endsieg mit wehenden Fahnen erwarten, bei der sie sie mit mit Geld und Waffen unterstützen, ist ein Unding – und ebenso grotesk wie die These, ausgerechnet in der Ukraine würde die Freiheit des Westens verteidigt.

Die Ukraine ist KEIN Nato-Staat, es besteht KEIN Bündnisfall, und Russland IST eine Nuklearmacht, die uns im Kriegsfalle auslöschen könnte, selbst wenn sie anschließend selbst verglüht. Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter – ein schwacher Trost und erst recht kein Anlass, irrigerweise anzunehmen, Russland ließe sich in der Ukraine von im Westen ausgebildeten Truppen mit westlichen Waffen, in einem  Stellvertreterkrieg, seine halbe Armee „konventionell“ zusammenschießen und kehrte dann wie ein geprügelter, räudiger Hund schamerfüllt an den Verhandlungstisch zurück, ohne zuvor zum letzten Mittel zu greifen. Dass eine Extrempersönlichkeit  wie Wladimir Putin vorher den Roten Knopf drückt, ist hier allemal wahrscheinlicher. Denn in Russland steht noch ein weiterer, dem Westen wesensfremd gewordener atavistischer Kodex hoch im Kurs: Lieber tot als ehrlos.

 

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