Horst D. Deckert

Ab jetzt bestimmt die Regierung, wer in Deutschland demonstrieren darf

Maximale Konfrontation auf Deutschlands Straßen (Foto:Imago)

Es ist ein wohl einzigartiger Vorgang: Ganz im Stil der kürzlichen Regierungsappelle an Bürger, sich von Demonstrationen fernzuhalten, weil dort ja die falschen mitlaufen könnten, werden nun Demonstrationen aus ähnlich sachfremden Erwägungen gleich ganz abgesagt: In Berlin wollten Bürger – sogar explizit unter Beachtung der Hygiene-Regeln und mit einem tragfähigen Sicherheitskonzept –  auf die Straße gehen; die Behörden jedoch verboten die Demo – weil eine Unterwanderung durch „Querdenker” drohe.

Damit wäre dann quasi amtlich bestätigt, dass in Deutschland fortan nur noch die Regierenden bestimmen dürfen, wer auf die Straße gehen darf. Es kommt einer finalen Kraftloserklärung des Grundgesetzes gleich – und dem Ende von Demokratie und Rechtsstaat. Dieses an den Schah-Iran erinnernde Gebaren der Behörden nach Gutsherrenart, nur noch erwünschte „Demonstrationen“ zuzulassen – etwa von „Jubelpersern“ bei den heute dann opportunen Klima- oder Gegen-Rechts-Massenkundgebungen, entspringt einer brandgefährlichen Einstellung, die sich unter immer mehr Spitzenpolitikern des staatsbestimmenden dominierenden Linksblocks breit macht. So twitterte gestern etwa die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (über den offiziellen Account der Landesregierung!) unverfroren: „Ich habe die Nase voll von einer radikalen Minderheit, die es in unserem Land gibt. Bei Versammlungen von Impfgegnern ist zu beobachten, dass die AfD hierbei eine Rolle spielt. Kundgebungen von Gegnern der Corona-Maßnahmen sind auch große Belastung für Polizei.

Sozialisten waren nie Demokraten

Die Nase voll von renitenten Bürgern hatten die Regierenden zu allen Zeiten, und um diese Binsenweisheit scherten sich die heute bundesweit überall regierenden Linksgrünen selbst am allerwenigsten, als sie selbst einst – in der Studenten-, Friedens- oder Anti-AKW-Bewegung – auf der anderen Seite der Barrikaden standen. Heute besetzen sie selbst den Zentren der Macht, heute gilt der Zorn einer empörten Bewegung ihnen – und es zeigt sich Erstaunliches: Sie, die einst so Progressiven, legen weit weniger demokratische Toleranz geschweige denn Gelassenheit im Umgang mit Andersdenkenden an den Tag als der damals herrschende bürgerlich-konservative Machtblock. Wirklich überraschend ist dies jedoch nicht, denn Sozialisten waren nie freiheitsliebende Demokraten und sind es auch heute nicht. Vielleicht sollte Dreyer, wie ihr der Journalist Don Alphonso ins Stammbuch schrieb, wenigstens Blick ins Grundgesetz werfen; dort steht in Artikel 8: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.” Doch wer schert sich in Corona-Deutschland noch um die Verfassung.

Entscheidend ist in diesem Kontext noch etwas anders: Die auch von Dreyer wiederholte Mär von den „Radikalen“, den „Extremisten“ als eigentiche Rädelsführer oder gar wesensbestimmende Haupttreiber der Demonstrationen spricht nicht nur krass jeder Realität Hohn (wovon sich derzeit Augenzeugen und hunderttausende teilnehmende Bürger der „Spaziergänge“ derzeit allabendlich überzeugen können und was auch die zahllosen Videos der Aktionen im Netz beweisen; teilweise finden sich bei den Kundgebungen überhaupt keine Extremisten). Sie stellt auch eine infame Aufwertung einer zahlenmäßig vernachlässigteren Minderheit von kriminellen Trittbrettfahrern dar, die die Corona-Proteste als Bühne für Gewalt und Destruktion missbrauchen und von regierungsaffigen Medien in perverser Ausschnittsvergrößerung dankbar exponiert zu werden.

Zaghafte Bekehrungserlebnisse des Mainstreams

Diese unverantwortliche Verzerrung wird inzwischen sogar ersten Mainstream-Journalisten bewusst, die sich nach Vor-Ort-Inaugenscheinnahme der friedlichen Märsche verdutzt die Frage stellen, wo denn diese „Hass”-Aktivisten sein sollen, von denen in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung ständig die Rede ist. „Die meisten Corona-Maßnahmen-Kritiker verbreiten weder Hass noch Hetze”, titelt etwa der mecklenburg-vorpommersche „Nordkurier“ in einem Kommentar zum hochumstrittenen Beschlussantrag des Schweriner Landtags, der „radikale Kritiker der Corona-Maßnahmen” ins Visier nehmen soll. „Aber gibt es diese Extremisten auf den Demos überhaupt?”, fragt die Zeitung ketzerisch, und gibt sich die Antwort selbst: „Die Demo-Teilnehmer gehörten – wie man so schön sagt – zur Mitte der Gesellschaft: Unternehmer, Angestellte, Erzieherinnen, Verkäufer usw. Der Protest war friedlich und unaufgeregt.” In der Tat! Und so ist es eben nicht nur an der Ostsee, sondern überall in Deutschland.

Immer lauterer Unmut regt sich inzwischen auch in den noch nicht gekauften oder systemisch korrumpierten Juristenkreisen: So kritisieren Staatsrechtler die Regeln für Demos in Sachsen und Thüringen, wo aktuell Proteste nur ortsfest und mit maximaler Teilnehmerzahl von zehn beziehungsweise 35 Personen zulässig sind. „Es ist verfassungswidrig, ausschließlich Versammlungen mit maximal zehn Teilnehmern zuzulassen”, erklärte der Verfassungsrechtler Oliver Lepsius von der Universität Münster in der „Welt„: „Ein Protest muss sich auch in einer hinreichenden Teilnehmerzahl ausdrücken können.” Auch die Beschränkung auf maximal 35 Teilnehmer in Thüringen sei grenzwertig. „Der Staat muss sich Bedingungen ausdenken, unter denen die Versammlungsfreiheit wahrgenommen werden kann. Hier denkt er sich nur Bedingungen aus, sie zu unterbinden.

Sorgen der Jurisprudenz

Der Rechtsprofessor befürchtet eine bald tatsächlich eintretende „Radikalisierung in die Illegalität”, wenn Demonstrationen nicht zugelassen werden. „Der Staat darf sich nicht einseitig zum Gesundheitsschutz bekennen, sondern muss in einem Konflikt der Rechtsgüter beiden Rechten Rechnung tragen.” Und auch Clemens Arzt, Professor für Staatsrecht an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, hält es für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, die Anzahl von Teilnehmern pauschal durch eine Verordnung zu beschränken, wenn diese Anzahl von Menschen in anderen Zusammenhängen nicht verboten ist: „Wenn vorweihnachtliches Gedränge in der Fußgängerzone akzeptiert wird, kann dies bei einer Versammlung kaum verboten werden”, sagte er der „Welt“. Der Gesundheitsschutz dürfe „die Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht untergehen lassen”, ergänzt die Verfassungsrechtlerin Berit Völzmann von der Goethe-Universität Frankfurt am Main: Eine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen Unbedenklichkeit sei nicht erforderlich, sondern es sei „wichtig, dass sich gerade auch die Menschen artikulieren können, die das Gefühl haben, dass alles falsch läuft.” Indem die vorsätzlich unterbunden wird, erzeugt der Staat also gerade erst – in selbsterfüllender Prophezeiung – die Radikalisierung, die er behauptet. So werden Ursache und Wirkung pervertiert.

Nicht nur durch ihre fortschreitende Spaltungsrhetorik also, sondern auch durch ihre immer wüstere Verhetzung und Kriminalisierung einer friedfertigen zivilen Opposition und durch zunehmend rücksichtslose, autoritäre Unterbindungsversuche gegen legitime und legale öffentliche Versammlungen spielen Deutschlands Regierende mit dem Feuer. Sie legen es auf Polarisierung und Eskalation an und wollen anscheinend massive Unruhen sehen – bis hin zur finalen Aufkündigung des längst brüchig gewordenen sozialen Friedens. Der Ernst der Lage scheint ihnen dabei nicht bewusst zu sein (wovon nicht nur Olaf Scholz verstrahlte Leugnung jeglicher Spaltung der deutschen Gesellschaft vor dem deutschen Bundestag zeugt). Denn es sind längst nicht mehr nur Ungeimpfte oder Impfgegner, die hier aufwachen, sondern mündige Bürger mit jedwedem erdenklichen „Status“, die gegen ihre fortschreitende Bevormundung, gegen ihre Einengung durch einen planlosen und erratischen Corona-Staat genug haben.

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