
Warum wollen die Bayern keine Autonomie wie andere „Völker” in Europa? Diese Frage stellt sich eigentlich jedes Jahr aufs Neue, wenn die Zahlen des Länderfinanzausgleichs vorliegen. „Nur Bayern zahlt noch mehr” als Baden-Württemberg, titelte meine Regionalzeitung. Über 17 Milliarden Euro werden zwischen den Bundesländern umverteilt, stets von West nach Ost, insbesondere aber vom Süden in den Norden. Am stärksten von diesem Geldsegen profitieren die Schöngeister im Lande Berlin, das alleine im letzten Jahr mit 3,6 Milliarden „West-Euro” alimentiert wurde. Immerhin gilt die Hauptstadt als „sexy” – auch wenn dort nichts mehr funktioniert.
Baden-Württemberg alleine löhnte rund 4 Milliarden Euro in die Länderfinanzausgleichskasse – zusätzlich zu den direkten und indirekten Abgaben der Steuerzahler der Länder -, und Bayern entrichtete dafür sogar 9 Milliarden, womit die Bajuwaren mehr als die Hälfte des verteilten Kuchens gebacken haben. Und beide mucken immer noch nicht auf – jedenfalls nicht auf für Hochdeutschsprachige verständliche Weise.
Die Elsässer tun sich deutlich schwerer mit ihrer Zentralregierung in Paris: Unsere Nachbarn jenseits des Rheins sind ebenso fleißig wie wir und wollen sich von der Zentralregierung nicht so viel Geld abknöpfen und überdies auch nicht bevormunden lassen. Ganz ähnlich wollen die Katalanen in Spanien nicht mehr so viel nach Madrid überweisen. Die spanische Regierung jedoch will sich ihre eifrig sprudelnden Geldquellen erhalten. Doch auch bei den ernsthafteren Konflikten in Nordirland oder Südtirol spielte das liebe Geld stets eine Rolle, das von den einen erarbeitet und von anderen „auf den Kopf gehauen” wird.
Der Traum von der Unabhängigkeit
Auch die Kroaten waren die Zahlmeister Jugoslawiens und wollten nicht mehr den Großteil ihrer Einnahmen aus dem Tourismus nach Belgrad abführen müssen. Titos Tod folgten Unabhängigkeitsbestrebungen, die nach Genschers bzw. Deutschlands Anerkennung von Kroatien zum 15. Januar 1992 (als erstem Land Ex-Jugoslawiens überhaupt) auf direktem zu den Jugoslawienkriegen führten; dabei hatte er es ja nur gut gemeint – nach dem Motto: Kann denn Anerkennung Sünde sein? Auch Slowenien wurde damals von Deutschland in einem Aufwasch mit anerkannt. Zweifellos zwei schöne und tüchtige Länder, die gut zu Europa passen.
„Nationalstaaten waren gestern, Europa soll ein Kontinent der Regionen werden”, war die neue Devise. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok sagte einst: „Ich glaube, dass in vielen Bereichen die Nationalstaaten doch Träger von Kultur, Identität, Interessen sind, dass man, glaube ich, Europa nicht auf alle Nationalstaaten aufbauen kann. Da werden viele Staaten, die anders strukturiert sind als Spanien, nicht mitmachen. Deswegen muss man sagen, dass ein Europa der Regionen auch gefördert werden muss. Man muss die Regionen fördern und den Nationalstaat in seiner Rolle anerkennen. Die Heimat, die Region, der Nationalstaat und Europa, alles drei zusammen in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen und nicht eines der Dinge dabei auszuschließen.”
Aktuell geht es um die Regionen Donezk und Luhansk. Auch diese wollen unabhängig sein von der Ukraine. Aber die Regierung in Kiew will sie nicht ziehen lassen und bekämpft die 2014 selbsterklärten Volksrepubliken seit acht Jahren mit tausenden Todesopfern. Einerseits sieht Kiew diese Republiken immer noch als Oblaste der Ukraine an, andererseits stellte sie dortigen Einwohnern keine Pässe aus, zahlte keine Renten und vieles mehr. Auch diese industriell entwickelten Regionen im Südosten der Ukraine, beide an Russland angrenzend, zählten innerhalb der Ukraine zu den Geberländern – und waren nicht mehr bereit, die Schöngeister im 700 Kilometer entfernten Kiew zu unterhalten. Und jetzt tobt ein echter Krieg, in Erweiterung eines Bürgerkrieges im Donbass, in dem sich fast gleich viele ukrainische und russische Bewohner bekämpfen – jeweils unterstützt von Kiew auf der einen und Moskau auf der anderen Seite.
Ein Europa der Regionen wäre friedlicher
Und nun die Gretchenfrage: Was wäre eigentlich, wenn es den Bayern eines Tages wegen Berlin in ähnlicher Weise zu bunt wird, vielleicht auch zu „interkulturell” und „multilateral”? Zur Geschichte: 1919 erklärte sich Bayern als unabhängig vom Deutschen Reich – und behielt seinen Status als „Freistaat“ auch nach 1945 zumindest dem Namen nach. Nehmen wir an, Bayern ist – so wie die Bevölkerungsmehrheit im fernen Donezk und Luhansk – nicht mehr bereit, die Extratouren in Berlin und anderen Hochburgen des bunten Deutschlands zu finanzieren. Was dann? Die Rüstungsindustrie ist auch in Bayern „dahoam”; Bayern kann nicht nur Tore schießen. Würde Deutschland den Bayern dann mit Kriegshandlungen antworten, so wie es die Ukraine den Abtrünnigen gegenüber tat (lange vor der russischen Invasion?) An welche Seite würden die NATO-Länder dann Waffen liefern?
Ein Europa der wirklichen Regionen wäre vermutlich friedlicher als das gegenwärtige zentralistische Europa mit dem Moloch Brüssel, eingebettet in eine von den USA beherrschte NATO. Und auch Osteuropa wäre jetzt friedlicher, würde die Ukraine auf die ebenso wenig wie Russland „friedfertige” NATO verzichten. Immerhin stehen beide Blöcke, verführt von den USA und Russland, seit 1990 für jeweils 21 bewaffnete Konflikte und Kriege in der Welt. In Osteuropa könnten jetzt wohl weniger Menschen sterben, wenn Deutschland es Russland gleichtun und die beiden Volksrepubliken sowie die Autonome Republik Krim anerkennen würde – so wie es damals durch Genscher für den Balkan geschah. Mit einem Unterschied: Damals war die Anerkennung der Auftakt eines Krieges; heute könnte die Anerkennung zur Beendigung eines Krieges beitragen.
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