Horst D. Deckert

Ästhetisierung des kriegerischen Mordens

anonymousnews.org – Nachrichten unzensiert

b0197b6b32714a65a0eb00a5a7674eeb.jpg

Ästhetisierung des kriegerischen Mordens

Ein vom Kommando der Spezialeinheiten der Streitkräfte der Ukraine veröffentlichtes Video soll die „filigrane Zerstörung“ des Gegners zeigen. Darauf zu sehen sind zahllose russische Soldaten, die durch ukrainische Granaten aus ihren Schützenlöchern gebombt werden. Untermalt sind die Aufnahmen mit Walzermusik.

von Florian Rötzer

Über einen Artikel des ukrainischen Online-Medium Gordonua.com bin ich auf ein Video gestoßen, das vom Kommando der Spezialeinheiten der Streitkräfte der Ukraine (SSO) veröffentlicht wurde. Das Online-Medium bewarb das Video unter dem Titel: „Die MTR der Ukraine zeigte zum Strauss-Walzer die „filigrane Vernichtung russischer Invasoren“. Der Ausdruck „filigrane Zerstörung“ wurde von der SSO übernommen, wo es weiter heißt: „Bestrafung vom Himmel erhält jeder, der in den Willen der Ukrainer eingreift.“ Gezeigt wird aus der Perspektive einer Drohnenkamera, wie russische Soldaten mit Granaten „erlegt“  werden.

YouTube sperrte das Video, „weil es gegen die YouTube-Richtlinien zu gewaltverherrlichenden oder grausamen Inhalten verstößt“, auf der Facebook-Seite des SSO findet man es weiterhin.

Viele Videos, die von ukrainischen Militärs, auch vom Verteidigungsministerium über den Krieg veröffentlicht werden, um die heldenhaften Verteidiger, getötete russische Soldaten (oft entmenschlichend „Orks“ genannt) oder zerstörtes russisches Kriegsmaterial zu feiern, wird mit Musik unterlegt, oft martialisch, mitunter eben auch mit dem Walzer „An der schönen blauen Donau“. Mit solchen Musikvideos wird Stimmung erzeugt, der Krieg ästhetisiert und entwirklicht, das Töten von Menschen, wie dies im Krieg geschieht, banalisiert.

Schon immer wurden Krieger und Kriege gefeiert, auch in Form von Bildern und Skulpturen. Mit den Fotoapparaten, später mit den Filmkameras kam erstmals die kriegerische Wirklichkeit zu der weltweiten Öffentlichkeit, wenn auch meist verzögert. Zuvor waren schon mit dem Krimkrieg über die Telegrafie zeitnahe Berichte über die Kriegsentwicklung möglich geworden. Mit dem Fernsehen wurden die Menschen ab spätestens dem Vietnam-Krieg zu Zuschauern. Was sie sehen konnten, wurde aber durch die Medien noch gefiltert, die sich auch kontrollieren ließen. Mit dem Internet und den mit Kameras ausgestatteten Smartphones können die Menschen auch in Echtzeit sehen, was an der Front vor sich geht – ungefiltert, roh, unkommentiert. Neben Propaganda, die beeinflussen will, eben auch Bilder und Videos von Zivilisten, Soldaten und anderen Kämpfern, die die Wirklichkeit ungeschminkt und mitunter in aller Brutalität zeigen.

Der völkerrechtswidrige Irak-Krieg der USA mit der „Koalition der Willigen“ war nach den 9/11-Anschlägen der erste Krieg, der aus dem Ruder lief. Das Pentagon versuchte, die Berichterstattung noch zu kontrollieren. Mit eingebetteten Reportern und Berichtsverboten sollten nur Bilder aus der gewünschten Perspektive an die Weltöffentlichkeit gelangen. Wie schon im Afghanistankrieg wurden al-Jazeera-Redaktionen bombardiert, unerwünschte Reporter beschossen und bedroht, während der islamistische Widerstand über das Internet Videos von Anschlägen und Exekutionen veröffentlichte, aber auch US-Soldaten Bilder von Folter und brutalem Vorgehen verbreiteten. Der damalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld sprach davon, dass das Pentagon im Medienkrieg unterlegen sei, und versuchte, eine gigantische Propaganda-Maschine aufzubauen. Der Islamische Staat hatte die Darstellung der Zerstörung und der Grausamkeit in medialen Inszenierungen weiter ausgebaut.

Das Neue im Ukraine-Krieg ist, dass die Grausamkeit des Sich-Abschlachtens und auch des Quälens und Tötens von Kriegsgefangenen nicht über Bilder an die Öffentlichkeit gelangen, die von Soldaten, Kämpfern oder Zeugen gemacht und gepostet wurden, sondern dass nun das Militär bzw. das Verteidigungsministerium, in dem Fall also offizielle Propagandakanäle des ukrainischen Verteidigungsministeriums, wie der Islamische Staat solche Bilder und Videos veröffentlichen, primär wohl um die gegnerischen Soldaten abzuschrecken. Und sie bilden teilweise eben nicht nur ab, was die blutige Realität des Kriegs ist, sondern werden wie in dem mit dem Walzer unterlegten Video inszeniert und ästhetisiert. Damit wird die Rohheit der Grausamkeit des Kriegs, der das Geschäft des Tötens betriebt, zu einem entmenschlichten Töten, das sich lustig macht über die erlegten Feinde. Das wird verstärkt durch die Aufnahmen der Drohnenkameras, wodurch die Menschen entfernt bleiben und zu einer Art Ameisen werden, die massenhaft und leidenschaftslos abgeschlachtet werden.

Völlig enthemmt wird die Lust am Töten mit dem Kommentar eines anderen Videos zu Ausdruck gebracht: „In Richtung Bakhmut verwundeten Soldaten einer der USN-Einheiten nachts vier russische Besatzer mit einer Schuss aus einem UAV. Am nächsten Tag beendeten sie zusammen mit einer Einheit der Verteidigungskräfte die Arbeit und zerstörten den Feind mit einer Panzerabwehrlenkwaffe. Im Video der Moment der Müllentsorgung.“ Zu einem Video der StratCom der ukrainischen Streitkräfte wird gesagt: „Ein guter Schuss und etwa zehn Orks stürmen sofort zum Kobzon-Konzert von @AFUStratCom.“ Der Besuch des Konzerts bedeutet zynisch deren Tötung. Oder es werden Gefangene  („Ein Haufen gefangener Drecksäcke“) und genüsslich Leichen von russischen Soldaten gezeigt.

Oleksij Danilow, immerhin der Vorsitzende des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, machte vor wenigen Tagen darauf aufmerksam, dass deswegen Russen nicht als Orks oder Schweine bezeichnet werden sollten, weil sie damit besser erscheinen, als sie sind: „Wir sollten es vielleicht nicht zu sehr mit der Verwendung neuer Begriffe übertreiben – Ork, Rusnaja, Schweinehund… Es gibt keinen Grund, das Bild des Feindes sozusagen zu verwischen. … Außerdem sind die Orks dagegen, mit den Russen auf eine Stufe gestellt zu werden.) Ein solcher Vergleich ist umso anstößiger für Hunde und unschuldige Schweine, die, wie sich herausstellte, viel ordentlicher und sauberer sind als die Besetzer.“

Der Anspruch des Verteidigungsministeriums ist allerdings ein anderer: „Der Krieg für zivilisatorische Werte wird in der Ukraine ausgefochten – in der Nähe von Bachmut und Avdiivka, an der gesamten Front: Krieg für die Werte, die die Menschheit für Jahrhunderte bewahrt hat.“

Im Krieg verrohen die Menschen. Das hat sich auch in Butscha gezeigt, auch wenn im Einzelnen noch umstritten sein mag, wer für was verantwortlich ist und vor allem ob die Morde von oben verordnet wurden. Wie gerade ein Bericht der New York Times schildert, zog etwa ein betrunkener russischer Soldat, der sich von seiner Einheit abgesetzt hatte, kurz vor dem Abzug der russischen Truppen los, um Wein zu erpressen, wobei er mindestens zwei Männer erschossen und sich selbst durch eine Granate verletzt haben soll, bevor er von der Einheit, die sich für sein Verhalten entschuldigte und Toten begrub, gefunden und mitgenommen wurde. Bei dem oben behandelten Video geht es aber um eine von offiziellen Stellen veröffentlichte Verherrlichung des Kriegs bzw. des Mordens und eine Entmenschlichung der Gegner durch Aufbereitung des vorhandenen Bildmaterials. Von den westlichen Unterstützern der Ukraine ist dazu nichts zu hören. Ob das russische Militär offiziell ähnliche Ästhetisierungs- und Entmenschlichungsstrategien betreibt, weiß ich nicht, Angreifer müssen in der Regel vorsichtiger sein.

Der Beitrag Ästhetisierung des kriegerischen Mordens ist zuerst erschienen auf anonymousnews.org – Nachrichten unzensiert und wurde geschrieben von Redaktion.

Ähnliche Nachrichten