Horst D. Deckert

Alain Berset wird von seiner Affäre eingeholt

Bundesrat und Gesundheitsminister Alain Berset sieht sich mitten in der Coronakrise mit seiner Vergangenheit konfrontiert. 2012 hatte er eine aussereheliche Affäre mit einer jungen Künstlerin. So jedenfalls die Interpretation der Bundesanwaltschaft.

Ende des vergangenen Jahres machte die Weltwoche den Fall publik. Grundlage der Story bildete ein Strafbefehl vom 14. September 2020 gegen die Künstlerin wegen versuchter Erpressung. Sie hatte offenbar am 21. November 2019 per Mail versucht, Berset mit verfänglichen Fotos und Mails um 100’000 Franken zu erpressen, woraufhin er am 12. Dezember 2019 Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft erstattete.

Klare Rollen

Damit war die Sache für die Medien vorerst erledigt und die Rollen waren klar: Berset, das Opfer, und eine Erpresserin, wie es sie (oder ihn) bei Menschen in Machtämtern ab und zu gibt. Die Berichterstattung von SRF soll hier stellvertretend stehen.

So sprach Peter Lauener, Sprecher von Bersets Eidgenössischem Departement des Innern (EDI), es habe sich bei der Erpressung um «unwahre und ehrverletzende Behauptungen» gehandelt. Und Bersets Anwalt Patrik Eisenhut betonte, dass es keine Ungleichbehandlung gab.

Trotz Beteuerungen von Bersets Entourage: Es wurde aufgrund der medialen Inszenierung von Berset als Opfer nicht glaubwürdig ersichtlich, ob sich das Machtungleichgewicht zwischen dem Bundesrat und der Künstlerin nicht doch auf die Untersuchungen auswirkte. Schliesslich konnte sie sich im Gegensatz zu Berset nicht auf mediale Sprachrohre verlassen.

Weltwoche: Neue Details

Verleger Roger Köppel zur Titelgeschichte. Quelle: YouTube, Weltwoche

Die Weltwoche Nr. 37 vom 16. September berichtet in einem Artikel von Ex-Nationalrat Christoph Mörgeli (SVP) auf vier Seiten über neue Details basierend auf den Strafakten der Affäre rund um Berset und Scarlett Gehri (Weltwoche-Pseudonym). Der Artikel greift das Bild von Berset als Opfer an. Er habe «die Unwahrheit gesagt, Bundesbeamte missbraucht und Steuergelder verschleudert». Der Titel sagt es noch deutlicher: «Frau, von Bersets Truppe plattgewalzt».

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Titelblatt «Weltwoche» Nr. 37. Quelle: Screenshot weltwoche.ch

Die Weltwoche schreibt von einer «Neubeurteilung des Falles». Denn aus den Strafakten gehe hervor, «dass Scarlett Gehri mit geballter Staatsmacht und mittels psychiatrischer Ferndiagnose ausgeschaltet werden sollte». Die Bereinigung Bersets privater Liebesgeschichte sei mitunter über Bundesbeamte und Steuergelder gelaufen. So besprach sich Berset noch am gleichen Tag, an dem er das Mail von Gehri erhielt (21. November 2019), mit Lukas Bruhin (seit Mai 2020 Präsident von Swissmedic), Generalsekretär des EDI, und zeitnah mit dem bereits erwähnten Peter Lauener.

Bruhin versuchte am nächsten Tag, Gehri zu erreichen und stand in Kontakt mit ihr. Beide tauschten Nick­lig­keiten aus. Berset selbst schlug Gehri am 28. November 2019 ein persönliches Treffen vor, woraufhin sie am 2. Dezember 2019 mit Terminvorschlägen antwortete. Am gleichen Tag konsultierte Berset den Anwalt Patrik Eisenhut. Berset, Eisenhut, Lauener und Bruhin bildeten laut Weltwoche «eine Art Task Force», um die Rechtslage und eine Strategie auszuloten. Eisenhut wollte Zeit gewinnen und den Fall diskret erledigen.

Gehri, vom Kumpel von Bersets Anwalt für gestört erklärt

Am 8. Dezember kontaktierte Eisenhut den ihm bekannten Psychiater Fritz Ramseier, der eine Ad-hoc-Diagnose über Gehri erstellte. Laut Weltwoche war von «narzisstischer Störung» mit Neigung zur «wahnhaften Störung» die Rede, sogar von Schizophrenie. Am 11. Dezember, dem Tag der Bundesratswahlen, «setzte Fritz Ramseier in seiner Ferndiagnose in Fettdruck noch einen drauf». Der Psychiater versuchte, Gehri mit einem alters- und geschlechtstypischen Krankheitsbild zu schematisieren.

Dies hätte Bersets Entourage im Bedarfsfall ermöglicht, Gehri in der Öffentlichkeit als psychisch gestört darzustellen. Dass die notwendige ärztliche Diagnosestellung fehlte und die Aktion eine boshafte Ablenkung gewesen wäre, hätte bei den Medien niemanden interessiert. Es ist deshalb eine Farce, wenn Eisenhut wie oben beschrieben bei SRF davon spricht, dass es keine Ungleichbehandlung gab.

Unterdessen, am 9. Dezember 2019, richtete sich Eisenhut mit einer Abmahnung an Gehri, nachdem sie begonnen hatte, Inhalte auf dem Instagram-Profil von Bersets Ehefrau zu «liken». Sie liess sich nicht einschüchtern und brachte mögliches Belastungsmaterial ins Spiel: eine angebliche Abtreibung und die Nutzung des Bundesratsfahrzeugs für Affärenbesuche.

Fedpol widerspricht Anwalt

Wie Eisenhut an die Bundesanwaltschaft berichtete, sei es ab «zirka Mai 2012 bis Ende 2012» zu einer ausserehelichen Beziehung zwischen Alain Berset und Scarlett Gehri gekommen. Tatsächlich habe sich das Paar laut Weltwoche noch am 23. Januar 2013 in Bersets Berner Wohnung getroffen und tauschte bis 2017 emotionale Nachrichten aus. Eisenhut behauptete, nach dem Ende der Liaison «Anfang Januar 2013» sei es «hin und wieder zu seltenen, ausschliesslich von Scarlett Gehri initiierten Kontakten» gekommen. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) widerspricht dieser Darstellung: Berset habe den Kontakt ebenfalls gesucht. Ein Ausschnitt der Akten in der Weltwoche:

24. August 2013

«Berlin… dans ta rue… t’embrasse…»

18. September 2013

«Je penserai à toi… Mais c’est ta musique qui sera dans ma tête… J’espère que tu vas bien… Je t’embrasse…»

Das Fedpol hält weiter fest: «Am 08.10.2017 sucht erneut Alain Berset den Kontakt via E-Mail zu Scarlett Gehri.»

Bundeskriminalpolizisten kassieren Künstlerin

Die Bundesanwaltschaft habe laut Weltwoche die Interessen Bersets überaus energisch vertreten und noch am gleichen Tag der Strafanzeige gegen Gehri (12. Dezember 2019) Überwachungsmassnahmen angeordnet. Tags darauf wurde sie vor ihrer Wohnung abgepasst. Gleich sieben Bundeskriminalpolizisten der Einsatzgruppe Tigris, einer Spezialeinheit, wurden losgeschickt, um eine Künstlerin zu kassieren und elektronische Geräte zu konfiszieren. Gemäss Cathy Maret, Kommunikationschefin des Fedpol, sei es ein Standardeinsatz gewesen, berichtet die NZZ. Die Beamten seien in Zivil vor Ort gewesen «und hielten sich im Hintergrund auf».

Die Polizisten hätten sich teilweise geschämt, wegen einer Affäre eines Bundesrats auf eine junge Frau angesetzt worden zu sein, so die Weltwoche. Bei der Vernehmung – die Polizeihaft dauerte acht Stunden – wurde Gehri ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt, während Berset mit seinem Anwalt seine Strategie ausführlich besprechen konnte. Dabei kamen pikante intime Details hervor, neben der bereits erwähnten angeblichen Abtreibung. Berset habe «immer Geschlechtsverkehr ohne Kondom und ohne Schutz» gewollt. Die Weltwoche schreibt:

Dies ist immerhin bemerkenswert beim Schweizer Gesundheitsminister, dessen Fachleute Millionen für Kampagnen zur Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten ausgeben.

Weiters benutze Berset mehrere Mailadressen, um sich zu decken, zum Beispiel «alaintigrillo». Bei einem «Tigrillo» handle es sich um eine südamerikanische Tigerkatze.

Gehri bereute und wurde entlassen. Am 14. September 2020 folgte der Strafbefehl. Laut Weltwoche wollte Berset eine aussergerichtliche Schweigevereinbarung mit Gehri. Plötzlich habe sie die Vorwürfe, die sie bei der Bundesanwaltschaft erhoben hatte, zurückgenommen. Eisenhut sagte, es sei kein Geld geflossen. Wie die NZZ aufgrund von «polizeilichen Ermittlungen» wissen will, habe es sich bei der «Abtreibung» um die «Pille danach» im Zusammenhang mit einem anderen Partner gehandelt, jedoch einige Monate nach dem Ende der Affäre. Die NZZ schreibt:

Die Konfrontation mit diesen Fakten soll die Künstlerin dazu bewogen haben, die schriftliche Vereinbarung mit Berset zu unterzeichnen.

Berset beanspruchte ein Anwaltshonorar von 34’000 Franken, das er offenbar selber als Privatmandat bezahlte, und verlangte eine Genugtuung von 4000 Franken. All dies würde Gehri erlassen, wenn sie Berset und seine Familie nie wieder kontaktiere, Stillschweigen bewahre und den Fall betreffende Dokumente lösche. Bei Nichteinhalten drohten ihr eine Konventionalstrafe von 20’000 Franken und weitere hohe Schadenersatzansprüche. Die Weltwoche resümiert, dass die Abhandlung der Affäre «hohen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwand in der Bundesverwaltung» beansprucht habe. Gesundheitsminister Berset sieht sich Vorwürfen des Amtsmissbrauchs ausgesetzt.

Forderung nach Untersuchung

Schon jetzt ist aus den verschiedenen Medienberichten rund um die neuen Details herauszulesen, dass Berset mit Samthandschuhen angefasst wird und kaum mit öffentlichem und politischem Druck zu rechnen ist. Doch selbst wenn kein strafrechtlich relevantes Verhalten feststellbar sein sollte, ist Berset als Bundesrat aufgrund seines moralisch fragwürdigen Verhaltens eigentlich nicht mehr amtstauglich.

Nun sind die parlamentarischen Geschäftsprüfungskommissionen als Aufsichtsorgane gefragt. SVP-Nationalrat Alfred Heer will bei der nächsten Sitzung eine Untersuchung beantragen, wie SRF berichtet:

«Es stehen verschiedene Vorwürfe im Raum. Insbesondere, dass das Generalsekretariat und Mitarbeiter von Bundesrat Berset eigentlich seine privaten Angelegenheiten bereinigen mussten.»

Ob das Vorgehen der Bundesanwaltschaft und «Tigris» gerechtfertigt war, soll ein anderer, inzwischen fertiger Bericht der Aufsichtsbehörde AB-BA zeigen. SP-Ständerat Hans Stöckli, Präsident der Subkommission zur Überprüfung der Gerichte und der Bundesanwaltschaft, sagt, dass dieser und allfälliger Handlungsbedarf an der nächsten Sitzung im Oktober besprochen werde. Noch ist unklar, ob der Bericht der Öffentlichkeit präsentiert wird.

Die Bundesanwaltschaft beantragt bei der AB-BA einen ausserordentlichen Staatsanwalt. Dieser soll untersuchen, ob es ein Leck gibt. Es ist möglich, dass die Weltwoche durch eine potenzielle Amtsgeheimnisverletzung an die Strafakten gelangte.



Zu bemerken gibt es hier:
Wenn ein Sonderermittler zur Untersuchung gegen jemanden, der möglichen Amtsmissbrauch eines Bundesrats aufdecken will, gerechtfertigt sein sollte, dann wird es schwierig sein, das Aufbieten von sieben Bundeskriminalpolizisten zur Verhaftung einer einzigen Frau für verhältnismässig zu befinden. Was könnte das über die Glaubwürdigkeit von Berset als obersten Pandemiemanager aussagen?

Indizienbasierte Persönlichkeitsanalyse über Berset

Corona-Transition erkundigte sich bei der Psychologin Dr. phil. Mirjam Rigamonti über eine momentane, indizienbasierte Analyse von Bersets psychologischer Persönlichkeitsstruktur. Grundsätzlich seien Politiker, die durch Menschlichkeit, Empathie und Weisheit überzeugen, selten. Doch gerade diese Leute sollten ihrer Ansicht nach «als Leuchttürme in der politischen Landschaft stehen und Wege zu einer gesunden Gesellschaft aufzeigen». Rigamonti schreibt, es falle auf,

«dass Berset in gesundheitlichen Fragen eine autoritäre Politik der Angst und des Drucks/Zwangs ausübt, bei vielen seiner Untergebenen jedoch trotzdem als väterliche Vertrauensperson gesehen wird. Dieses Umschmeicheln des Egos, kombiniert mit dem Erkennen, wie eine ganze Masse in eine gewünschte Richtung manövriert werden kann, kann sich bei Menschen mit einem schwachen psychischen Boden zu einem ungesunden Machtexzess auswachsen, bei dem gesunde Relationen übersehen werden.»

Ein grosser Anteil von Bersets Persönlichkeitsstruktur scheine aus Angst zu bestehen. Zweimal habe er mit einer Spezialeinheit auf «Fliegen und Gespenster» geschossen. Zum einen, als er bei seinem Auftritt in der SRF-Sendung «Arena» am 27. August 2021 Personenschutz durch die Sondereinheit «Skorpion» beanspruchte, und zum anderen, als Scarlett Gehri durch die Einsatzgruppe «Tigris» festgenommen wurde, was auf eine bedenkliche und gefährliche Tendenz zur Überreaktion hindeute.

«Dies könnte durchaus eine Angststörung mit schon fast paranoiden Zügen vermuten lassen», schreibt Rigamonti. Die «grandiosen dramatischen Auftritte» (Spezialeinheiten zum Personenschutz, Staatslimousinen für private Affären) würden seine enorme Machtposition im Corona-Narrativ zusätzlich bestätigen und könnte auf das Ausleben einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur hinweisen. Zur Überprüfung müsste eine «seriöse psychiatrische Untersuchung» durchgeführt werden. Rigamonti ist der Ansicht,

«dass solche Abklärungen bei Menschen mit einem enormen Einfluss und solch einer grossen Macht, wie Politiker und viele Medien sie haben, dringend angebracht wären. Gerade wenn in einer Gesellschaft eine latente Bereitschaft für eine Symptomatik (hier z.B. verdrängte Angst vor Krankheit und Tod) besteht, können mehrmalig und hypnotisch wiederholte Angstbotschaften sich zu einer sich gegenseitig verstärkenden Gruppenneurose entwickeln.»

Rigamonti schliesst mit der Frage: Was, wenn Politiker ihre Störungen ausleben? Wie schützen wir uns? Bersets Verhalten in der Erpressungsaffäre lässt zumindest Zweifel aufkommen, ob er der geeignete Mann für das Management der kolportierten grössten Gesundheitskrise seit Langem ist.

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