
UN-Halle der Generalversammlung: Wann erfolgt der Umzug weg aus den USA?
Quelle: Patrick Gruban, cropped and downsampled by Pine, CC BY-SA 2.0 <creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons
Von ALFRED DE ZAYAS | Die Welt hat sich seit 1945 grundlegend verändert. Das Gleichgewicht der Mächte, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg bestand, hat sich zu einer multipolaren Weltordnung verschoben, welche der Bedeutung neuer Machtzentren in Rechnung trägt.
Neue geopolitische Gruppierungen wie BRICS1 – ursprünglich bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – fordern die Hegemonie des G7-Blocks und der bisher führenden Volkswirtschaften heraus. Neunzehn Länder haben ihr Interesse bekundet, BRICS beizutreten2, darunter Algerien, Argentinien, Ägypten, Mexiko, Nigeria, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate3. Eine der Entwicklungen deutet auf die Herausbildung einer BRICS-Währung hin, welche die De-Dollarisierung des internationalen Handels beschleunigen wird4.
Während sich die neue „globale Mehrheit“ ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht bewusst wird, muss ein neuer Modus vivendi mit dem „kollektiven Westen“ gefunden werden. Die Vereinten Nationen bieten das geeignete Forum, um eine friedliche Koexistenz auf Grundlage der Werte der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sicherzustellen.
Soll das UN-Hauptquartier von New York weg verlegt werden?
Mittlerweile werden Stimmen laut, die einen Verbleib des UN-Hauptquartiers in New York in Frage stellen und es angebracht fänden eine Verlegung in Betracht zu ziehen. Die meisten UN-Büros befinden sich immer noch in New York, darunter DESA, OCT, UNDEF, UNDT, UNODA, UNICEF und natürlich der UN-Sicherheitsrat, die Generalversammlung und der Generalsekretär selbst.
Dazu gibt es zwei UN-Standorte in Europa mit Sitz in Genf und Wien. Die Schweiz beherbergt derzeit Unterorgane und assoziierte Organisationen, darunter OHCHR, UNHCR, UNCTAD, ILO, ITU, WHO, WIPO und WTO, während in Österreich die IAEA, UNODC, UNIDO und IAEO domiziliert sind. In Paris, Frankreich befindet sich UNESCO und in Montreal, Kanada die ICAO. In Lateinamerika richtete die UN ein Regionalbüro in Santiago de Chile ein. In Afrika wird in Nairobi, Kenia das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) beherbergt. Die Verteilung der Standorte zeigt, dass die UN überwiegend US- und europazentriert ausgerichtet ist – ein Umstand, der sich auch auf die Politik und Unabhängigkeit der UN auswirkt.
Mehr und mehr Länder bemängeln die Art und Weise, in der die US-Administration ihren Verpflichtungen als Gastgeber der Organisation nachkommt. Im Jahr 2020 musste sich der Sechste Ausschuss der Generalversammlung mit Beschwerden gegen die USA wegen Nichteinhaltung des Abkommens zum Hauptsitz5 einlassen. In einem gemeinsamen Schreiben aus dem Jahr 2021 protestierten ständige Vertreter von sechs Ländern gegen Washingtons anhaltende Verletzung jenes Abkommens und forderten, dass die Causa zur Beilegung an ein Tribunal zu verweisen wäre6.
Gehäufte Verstöße gegen das Abkommen zum Hauptsitz durch die US-Regierung und anhaltende Spannungen aufgrund der Hegemonialansprüche der USA gegenüber dem Rest der Welt, haben denjenigen Auftrieb verliehen, die eine Verlegung des UN-Hauptquartiers auf neutralen Boden vertreten. Über die vergangenen 77 Jahre haben die Vereinigten Staaten nicht nur das Abkommen zum Hauptsitz der UN, sondern auch das Wiener Übereinkommen zu diplomatischen Beziehungen (1991) wie auch das Wiener Abkommen zur Repräsentanz von Staaten und ihren Beziehungen zu internationalen Organisationen universellen Charakters verletzt: Das hat es für die UNO zunehmend schwierig gemacht, ihrer Arbeit ungestört bzw. ohne Probleme logistischer Natur nachzugehen, welche sich aus den Diktaten und der Willkürpolitik von Washington ergeben.
Die Verlegung des UN-Hauptquartiers wurde zum Thema, nachdem Äußerungen von Mitgliedern des US-Kongress den Zielen der Vereinten Nationen unverhohlen feindlich gegenüberstehen. So gelangten Vertreter einiger Mitgliedstaaten zur Ansicht, dass ein Wechsel des Standortes die Arbeit der Organisation künftig effizienter gestalten liesse: Viele Delegationen beklagen Schwierigkeiten zur Visabeschaffung für die Einreise in die Vereinigten Staaten7.
Ich erinnere mich, als Yasser Arafat im November 1988 das Einreisevisum für die USA verweigert wurde8 und nachdem die Generalversammlung tatsächlich nach Genf umgezogen war, dort Arafat mit Standing Ovation empfangen wurde, als er am 13. Dezember 1988 das Podium betrat9. Als junger Mitarbeiter des UN-Zentrums für Menschenrechte unter dem damaligen Direktor Jan Martenson habe ich das Ereignis persönlich mitverfolgt und mit meinen Kollegen im Sekretariat zum Thema gemacht.
Die aktuellen Probleme von Sergej Lawrow und seiner Delegation mit den begleitenden Medienvertretern10 sind nicht neu: Kubanische, iranische, nicaraguanische, syrische und venezolanische Diplomaten hatten viel früher schon eine solch diskriminierende „Bürokratie“ unter von Washington angeordneten Visa-Entzügen erfahren müssen.
Besagte Missstände wurden bekannt gemacht ohne sichtliche Verbesserungen nach sich zu ziehen. So wäre es hilfreich, wenn Mitglieder des Sicherheitsrates den Vorschlag zur Verlegung ergreifen könnten, um eine gründliche Diskussion in der Generalversammlung anzustossen und eine Resolution zu erwirken, die eine Kommission zur Prüfung von Vor- und Nachteilen des möglichen Umzugs einsetzt.
Lawrows Erklärungen vor dem Sicherheitsrat am 25. April
Der russische Außenminister Sergej Lawrow leitete am 25. April die Sitzung des Sicherheitsrats und nutzte die Gelegenheit, um auf die Idee das UN-Hauptquartier zu verlegen, einzugehen. Er sprach in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe von Missständen an:
„Im verzweifelten Versuch, ihre Dominanz über Bestrafung Nicht-Folgsamer auszuüben, haben die USA versucht, die Globalisierung zu zerstören, welche sie viele Jahre lang als größten Fortschritt der Menschheit angepriesen hatten.“
Lawrow kritisierte die Praxis der USA und ihrer Verbündeten, jeden, der anderer Meinung sei, auf eine schwarze Liste zu setzen, um den Rest der Welt zu signalisieren, dass alle, die nicht mit den USA mitliefen, gegen sie wären. Lawrow betonte, dass die „westliche Minderheit“ kein Recht hätte, für die ganze Welt zu sprechen, wobei ihre sogenannte „regelbasierte Ordnung“ einer Ablehnung der in der UN-Charta verankerten souveränen Gleichberechtigung aller Staaten gleichkomme. Er machte sich über die umstrittene Aussage von EU-Kommissar Josep Borrell lustig, der vom europäischen „Garten“ dem ein „Dschungel draussen“ gegenüberstünde, sprach.
Auf derselben Sitzung im Sicherheitsrat bemängelte Lawrow, dass der Westen den „dreisten Versuch “unternähme, die UNO zu unterwerfen, indem er deren Sekretariate und andere internationale Institutionen vereinnahme. Er bemängelte, dass Washington und seine Verbündeten ihre Diplomatie aufgegeben hätten, um ihr Schlachtfeld in die Hallen der UN zu verlegen, die jedoch dazu geschaffen worden war die Schrecken des Krieges zu verhindern.
Lawrow argumentierte, dass wahrer Multilateralismus erforderlich mache, dass sich die Vereinten Nationen an objektive Trends einer aufkommenden Multipolarität in internationalen Beziehungen anpassten. Dementsprechend sollte der Sicherheitsrat reformiert werden, um die Vertretungen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu stärken, da die derzeitige „exorbitante Überrepräsentation“ des Westens „das Prinzip des Multilateralismus untergräbt“11. Wie zu erwarten, wiesen die westlichen Diplomaten Lawrows Äußerungen zurück12.
Das UN-Abkommen zum Hauptsitz mit den USA
Das Abkommen zwischen den Vereinten Nationen und den USA vom 26. Juni 194713 sieht in Artikel IX die Möglichkeit vor, das UN-Hauptquartier an einen anderen Ort zu verlegen. Abschnitt 23 bestimmt:
„Der Sitz der Vereinten Nationen darf nicht aus dem Hauptquartier entfernt werden, es sei denn, die Vereinten Nationen entscheiden dies.“
In Abschnitt 24 heißt es:
„Dieses Abkommen tritt außer Kraft, wenn der Sitz der Vereinten Nationen aus dem Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten verlegt wird, unter Ausnahme der Bestimmungen, die im Zusammenhang mit der geordneten Beendigung der Tätigkeit der Vereinten Nationen an seinem Sitz in den Vereinigten Staaten und mit der Verfügung über sein Vermögen dort, anwendbar sind.“
Wie New York zum UN-Hauptquartier wurde
Man darf nicht vergessen, dass die Idee, die Arbeit des Völkerbunds fortzusetzen, sehr stark den Gedanken von Präsident Franklin Delano Roosevelt entsprach. Natürlich sollte die neue Organisation die Kräftebalance von 1945 widerspiegeln und von der alten Welt in eine neue überführen. Darüber hinaus sei erinnert, dass die UN-Charta im Zuge einer Sitzung in San Francisco im April-Juni 1945 ausgearbeitet worden war14. So war es keine Überraschung, dass die Vereinten Nationen nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Aufstieg der Vereinigten Staaten zum unangefochtenen Hegemonen ihren Hauptsitz in den USA aufschlagen sollte. Viele andere Städte bemühten sich um die Auszeichnung, der UNO Standorte anzubieten.
Seit 1945 operierte die UNO von ihrem provisorischen Hauptquartier in Lake Success, New York15, während die Organisation noch zusätzlich am alten Sitz des Völkerbundes in Genf und In Paris im Palais Chaillot tagte, wo die Generalversammlung am 9. Dezember 1948 die Völkermordkonvention und am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedete.
Das Gebäude des UN-Sekretariats auf Manhattan Island wurde von 1946 bis 1951 am Ufer des East Rivers in New York errichtet: Es war ein im sogenannten „internationalen Stil“ entworfener Wolkenkratzer auf einem Grundstück, das John D. Rockefeller den Vereinten Nationen geschenkt hatte und für 8,5 Millionen Dollar erworben hatte. UN-Mitarbeiter begannen im August 1950 mit dem Einzug. Das Gebäude ist 154 m hoch mit insgesamt 39 Stockwerken. Obwohl sich das UN-Gebäude in den USA befindet, unterliegt der Standort einer UN-Gerichtsbarkeit. Im Zuge ihrer Expansion erwarb die UNO viele weitere Objekte im Grossraum New York.
Aufgrund des UN-US Headquarters Agreement (11 UNTS 11) wurde der Hauptsitz der UN in New York eingerichtet (A/RES/25(1)). Die Vereinbarung ist unbefristet und kann bei Bedarf geändert oder aufgelöst werden. In der Resolution A/RES/22(I) B billigte die Generalversammlung die Konvention über Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen. Resolution 99(1) der Generalversammlung ermächtigte den Generalsekretär zum Abschluss eines Hauptsitz-Abkommens mit den USA auf Grundlage von Resolution A/67 und des darin enthaltenen Entwurfs zusammen mit den abzuschliessenden Vorkehrungen für ein vorläufiges Abkommen in Bezug auf die Vorrechte, Immunitäten und Einrichtungen des UN-Hauptquartiers16.
Hindernisse für einen Umzug
Ein Umzug in bestehende UNO-Büros in Genf oder Wien wäre einfacher, da die Infrastruktur bereits vorhanden ist. Allerdings würde es noch mindestens fünf Jahre dauern und hohe Kosten verursachen. Das UN-Budget befindet sich stets am Limit. Die Kehrseite eines solchen Schrittes wäre, dass der Standort eurozentrisch bliebe und die Bestrebungen einer „globalen Mehrheit“ nicht ausreichend erfüllten, um die Vereinten Nationen der gesamten Menschheit zugutekommen zu lassen.
Wie allseits bekannt, steht die Biden-Administration der UNO feindlich gegenüber, will sie jedoch in Verfolgung ihrer geopolitischen Agenda instrumentalisieren. Doch schon im Jahr 2017, während der Regierung unter Donald Trump, verfolgten einige republikanische Mitglieder des US-Repräsentantenhauses einen Gesetzesentwurf, um die UN-Mitgliedschaft der USA wieder zurückzunehmen und die UNO aufzufordern, und ihren US-Standort zu räumen, obwohl die Organisation mit über 3,3 Milliarden US-Dollar pro Jahr zu den Einnahmen von New York City beiträgt und einigen Tausend amerikanischen Bürgern lukrative Arbeitsplätze bietet.
Es existiert kein „Protokoll“ für eine Verlegung des UN-Hauptquartiers. Zunächst müsste es eine Diskussion in der Generalversammlung mit Erstellung von Berichten und „Folgenabwägungen“ geben. Als Hauptsache bleibt, eine Debatte anzustossen und sich auf die Medien zu verlassen, um die Hauptgründe für einen solchen Schritt zur Diskussion zu stellen. Es gibt legitime Missstände, die die USA systematisch ignorierten. Gegebenenfalls könnten die BRICS-Staaten ihre Kräfte bündeln, um die dafür notwendigen Vorschläge einzubringen.
Wohin könnte der neue UN-Hauptsitz verlegt werden?
Um der wachsenden Bedeutung einer aufstrebenden Weltgemeinschaft Rechnung zu tragen, böten sich verschiedene Standorte an, die für einen neuen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Frage kämen: Man könnte an Mexiko und die Städte Puebla und Guadalajara denken, die über eine entwickelte Infrastruktur verfügen. Sicher böte auch Brasilien – entweder Rio de Janeiro oder Sao Paulo – eine weitere Möglichkeit. Südafrika wäre ein glaubwürdiger Kandidat mit Städten wie Kapstadt oder Durban als würdige Austragungsorte.
Indien, das bevölkerungsreichste Staat der Welt, würde durch einer Präsenz der UN aufgewertet – dazu kommt, dass Delhi und Bangalore über grosse internationale Erfahrung verfügen.
Quellen
[1] www.globenewswire.com/news-release/2023/04/13/2646465/28124/en/BRICS-Brazil-Russia-India-China-and-South-Africa-Snapshot-Report-2023 ‑PESTLE-SWOT-Risk-and-Macroeconomic-Trends-Analysis.html
[2] www.bloomberg.com/news/articles/2023–04-24/brics-draws-membership-requests-from-19-nations-before-summit?leadSource=uverify%20wall
[3] impakter.com/brics-expansion-five-new-members-in-2023/
[4] foreignpolicy.com/2023/04/24/brics-currency-end-dollar-dominance-united-states-russia-china/
[5] press.un.org/en/2020/gal3623.doc.htm
www.reuters.com/article/us-iraq-security-un-zarif-idUSKBN1Z605T
[6] www.presstv.ir/Detail/2021/09/17/666708/UN-letter-US-violation-obligations-headquarters-agreement
[7] www.middleeasteye.net/news/does-us-have-power-bar-iran-un-general-assembly
nypost.com/2020/01/07/us-denies-visa-to-iranian-foreign-minister-barring-him-from-un-meeting/
apnews.com/article/f25b08f14b4f47768596d55173148b55
[8] www.washingtonpost.com/archive/politics/1988/11/27/us-denies-entry-visa-to-arafat/152ed8b4-2d9b-4f31-8acd-cbecb79b7098/
[9] www.palestine-studies.org/en/node/1652211 ).
[10] apnews.com/article/russia-us-journalists-visas-un-lavrov-917f588cd90648f0efd8c117c1a14409
[11] www.rt.com/news/575312-lavrov-ussc-reform-africa/
[12] edition.cnn.com/2023/04/24/europe/russia-lavrov-un-meeting-intl/index.html
[13] treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume%2011/volume-11-I-147-English.pdf
[14] www.un.org/en/about-us/history-of-the-un/san-francisco-conference
[15] untappedcities.com/2021/05/19/united-nations-lake-success/
[16] A/371 contains the report of the Secretary-General regarding the US-UN Headquarters agreement including comments on the changes made to the original draft agreement.
A/427 contains the report of the Sixth (or Legal) Committee to the General Assembly of the study of the agreement by the sub-committee on Privileges and Immunities.
A/RES/169(II) approved the agreement between the UN and the US regarding the UN Headquarters in New York.
Deutsche Übersetzung: UNSER MITTELEUROPA
Englische Version: Hier
Zum Autor: Alfred de Zayas ist Professor für Recht an der Genfer Hochschule für Diplomatie und diente von 2012 – 2018 als unabhängiger UN-Experte für internationale Ordnung. Er ist Autor von zahlreichen Büchern, darunter seine bedeutende und letzte Trilogie erschienen bei Clarity Press, 2021 & 2023:
Webseite des Verlages Clarity Press: Hier
Webseite mit nähren Details zum lange erwarteten Band: The Human Rights Industry, welcher im Juni erscheint: Hier