Horst D. Deckert

Altes loslassen, damit Neues kommen kann!

Seit zwei Jahren ist unsere Gesellschaft geprägt von einem Dreiklang aus Ängsten, Einschränkungen und diversen Verlusten. Und in dieser Situation haben viele nur den einen Wunsch: zurück in den alten Zustand!

Aber wird das für jeden möglich sein? Und wenn nicht, was dann? Und ist es überhaupt sinnvoll, genau den alten Zustand wiederzuerlangen?

Jesus und Maria Magdalena

Das Grab ist leer und Maria weint, wie das Johannesevangelium 20,11 berichtet. Man hat ihr Jesus, ihren Herrn, weggenommen. Der Jesus, der sie in ihrer Heimatstadt Magdala am See Genezareth von sieben bösen Geistern befreit hatte. (1)

Zunächst hatte sie Jesus durch die Kreuzigung verloren und nun ist auch noch sein Leichnam verschwunden. Wenn sie ihn schon nicht mehr lebend haben konnte, dann hätte sie zumindest seinen Leichnam versorgen können. Aber Maria will nicht aufgeben. Johannes berichtet weiter, dass sie zunächst die Engel im Grab nach Jesus fragt und schliesslich Jesus selber, den sie für den Gärtner hält. Sie bittet ihn, ihr zu sagen, wo der Leichnam sei, damit sie ihn wieder ins Grab legen könne.

Als Jesus jedoch ihren Namen ausspricht, erkennt sie ihn. In Vers 16 bewegt sie sich dann auf Jesus zu. Um ein Umdrehen kann es nicht gehen, da sie dies bereits für das Gespräch getan hat. Sie möchte sich ihm zu Füssen werfen und anbetend ihre Hände um seine Füsse legen, so wie es eine Parallelstelle berichtet. (2)

Verweigert Jesus eine Berührung?

Nach vielen Übersetzungen verweigert Jesus ihr in Vers 17 jedoch, ihn zu berühren. Stattdessen schickt er sie zu den Jüngern. Warum tut Jesus das? Ein paar Verse weiter fordert Jesus Thomas direkt dazu auf, ihn zu berühren. Jesus ist also nicht unberührbar mit seinem Auferstehungsleib. Und in der schon erwähnten Parallelstelle (2) lässt Jesus das Niederfallen vor ihm nach der Auferstehung ebenfalls zu. Warum ist das hier bei Maria anders?

Das griechische Verb «háptō», das in Johannes 20,17 vielfach mit «anrühren» übersetzt wird, kann auch im Sinne von «festhalten» verstanden werden. Dies passt besser zum Kontext und den Parallelstellen. So übersetzt David H. Stern den Anfang von Vers 17 mit: «Fass mich nicht länger an» (3). Maria hat demnach Jesus bereits berührt und er verlangt von ihr, ihn loszulassen.

Maria will den alten Zustand zurückhaben

Warum will Maria Jesus festhalten? Sie möchte ihn wieder für sich haben. Maria möchte wieder den Zustand haben, bevor Jesus gekreuzigt wurde. Es soll wieder alles beim Alten sein. Sie klammert sich an den alten Zustand. Denn sie versteht die Zusammenhänge von Tod und Auferstehung Jesu noch nicht. Maria hat nicht verstanden, dass Jesus gehen muss. Er muss sie verlassen und zum Vater gehen. Denn nur dann kann Jesus den Heiligen Geist senden. Und nur durch ihn wird Jesus immer bei Maria sein.

Sie darf Jesus nicht festhalten. Denn wenn sie am Alten festhält, kann das Neue nicht kommen. Jesus will also bei Maria sein. Aber es wird eine neue, eine neuartige und auch bessere Beziehung sein.

Die Sehnsucht nach dem Alten

Marias Verhalten am Grab Jesu ist verständlich. Sie sehnt sich zurück nach der für sie schönen Zeit, in der sie Jesus wie die Jünger begleiten durfte. Jeder kennt vergleichbare Situationen. Und vielfach ist es auch gut, den alten Zustand wiederherstellen zu wollen, zum Beispiel wenn es um die Gesundheit geht, die durch eine Krankheit beeinträchtigt wurde. Oder auch, wenn eine Beziehung zerbrochen ist, die uns sehr wichtig ist.

Aber selbst wenn uns das gelingt, ist der wiederhergestellte Zustand nicht völlig identisch mit dem vorausgegangenen. Denn das, was angegriffen oder zerbrochen war, wird mindestens in Erinnerung bleiben. Darin kann aber auch die Chance liegen, dass der neue Zustand besser wird als der alte. Denn wir wissen, was uns genommen wurde und wie es uns gefehlt hat. Wir kennen den Schmerz.

Durch Schmerzen zu Neuem

Bei anderen Ereignissen ist von vornherein klar, dass es ein Zurück in den alten Zustand nicht geben wird. Positiv wie negativ. Wenn ein Mensch stirbt, wird er nicht zurückkommen. Der Verlust ist endgültig, zumindest für diese Welt. Bei der Geburt eines Kindes wird eine Familie ebenfalls für immer verändert. Aber auch hier gilt: Eine schwangere Frau wird ihr Kind nicht in ihren Armen halten können, wenn sie nicht zuvor die Wehen erträgt. Die Veränderung wird auch in diesem positiven Fall über Schmerzen erreicht.

Auch im geistlichen Bereich ist das oft so. Die von Gott verheissene Auferstehung folgt in der Regel auf einen zuvor erlittenen Tod. Die neue Welt Gottes wird erst geschaffen werden, wenn diese Welt nicht mehr besteht. Und ohne die Wehen der Endzeit wird es keine Wiederkunft Jesu geben. Diese Umbrüche sind von Gott gesetzt. Es sind geistliche Gesetze. Wir können sie nicht ändern, selbst wenn sie uns nicht gefallen. Denn sie sind nötig, damit Neues kommen kann.

Es wird nicht mehr wie früher sein

Seit gut zwei Jahren leben wir jetzt in einer solchen «Wehe». Unsere Gesellschaft ist von Angst durchzogen. Viele Menschen erleben einen Zusammenbruch in finanzieller, körperlicher, seelischer, beruflicher oder sogar existenziellen Hinsicht. Und diese Liste liesse sich beliebig verlängern. Noch nie gab es so viele rechtliche Einschnitte für so viele Menschen. Die meisten Menschen wollen die alten Freiheiten wieder zurückhaben. Und dies ist auch gut so und man sollte alle rechtlichen Möglichkeiten dafür einsetzen.

Aber klar ist nach diesen zwei Jahren auch: Es wird nie wieder so sein wie zuvor, auch wenn alle Freiheiten wieder vorhanden sein werden. Es wird anders sein. Es ist unendlich viel Vertrauen zerstört worden. Die Spaltung der Gesellschaft geht bis in die Familien hinein. Eltern reden nicht mehr mit ihren Kindern, Kinder nicht mehr mit ihren Eltern. Erinnerungen, Verletzungen werden auch dann noch da sein, wenn Rechte wieder erlangt sind. Man wird neu lernen müssen, wieder miteinander zu sprechen und einander zu vertrauen. Und das kann lange dauern, vielleicht viele Jahre.

Neues muss kommen

Aber wäre der Wunsch nach genau dem alten Zustand überhaupt sinnvoll? Ist es wirklich so, dass die freie Meinungsäusserung, um ein Beispiel zu nennen, erst mit dem Anfang der Corona-Krise zu einem Problem wurde? Oder ist seit dieser Zeit dieses Problem nur erst richtig deutlich geworden? Ist der Baum erst zu dieser Zeit krank geworden oder war er schon länger krank und ist jetzt umgefallen, weil er innen nur noch hohl war? War der Mainstream nicht auch bereits übermächtig, als in den Jahren vor Corona alles von der Klimakrise bestimmt und Kohlendioxid zum Feind erklärt wurde? Hatten nicht auch schon damals diejenigen mit Schwierigkeiten zu rechnen, die sich dieser «Krise» widersetzten?

Es wird Neues entstehen müssen. Dies ist die Chance, die jede Krise beinhaltet. Im medialen Bereich entstehen jetzt schon viele alternative Formate. Dies wird sich weiter entfalten und so die freie Meinungsäusserung auf ein besseres Fundament stellen als bisher. Auch bei anderen Themen, die nach Corona wieder dominierend sein werden. Denn grosse Teile unserer Bevölkerung sind sensibler geworden hinsichtlich einer medialen Manipulation. Die Erfahrungen machen uns stärker.

Aufbereitung und Neuanfang

Aber was bringt mir das, wenn ich persönlich zerbrochen bin? Das Problem ist, dass wir in der Dunkelheit nicht das erkennen, was als Neues kommen wird für unser Leben. Wir sehen nur den Zusammenbruch. Ich hoffe, dass, wenn die Corona-Krise vorbei ist, Unrecht beim Namen genannt wird und denen Recht zugesprochen wird, denen in dieser Zeit Unrecht geschehen ist. Denn eine Aufbereitung ist wichtig.

Wird nur alles unter den Teppich gekehrt und lapidar gesagt: «Nun vertragt euch mal wieder!», dann gärt es unter der Oberfläche weiter. Dann wird es wie bei einem Vulkan immer wieder zu Ausbrüchen kommen und neues Vertrauen wird keine gute Basis haben. Aber die Gewähr einer Rechtsprechung für jeden einzelnen gibt es nicht. Verluste können bleiben, vor allem, wenn sie immateriell sind. Und selbst wenn es Entschädigungszahlungen geben sollte, stellt das keine irreparabel geschädigte Gesundheit wieder her.

Das ermutigende Beispiel von Josef

Vielleicht hilft in solchen Situationen ein Blick auf Josef. Sehr ausführlich wird seine Geschichte im 1. Buch Mose ab Kapitel 37 erzählt. Seine Brüder hatten Schlechtes mit ihm vor. Beinahe wäre er von ihnen ermordet worden. Dann wurde er «nur» als Sklave von ihnen ins Ausland verkauft. Kaum hatte er dort seine Stellung etwas verbessert, wurde er verleumdet und ins Gefängnis geworfen.

Dort gelang es ihm erneut, ein wenig Ansehen zu bekommen, und er hoffte auf die Hilfe durch einen Mitgefangenen. Aber er wurde vergessen. Zwei Jahre lang. Dann aber wendet sich das Blatt und Josef steigt kometenhaft auf, sodass nur noch der Pharao über ihm steht. Und nochmals muss Zeit vergehen, bis deutlich wird, dass Gott durch Josef sein Volk vor dem Hungertod rettet. Gott dreht den Spiess um. Er macht aus Schlechtem etwas Gutes. Diese Sicht hilft Josef, seinen Brüdern später vergeben zu können. (4)

Ein neuer Start in der Kraft Jesu

Wenn etwas im Leben eines Menschen zerbricht, ist das eine schlimme Sache. Dies sollte niemals verneint oder oberflächlich relativiert werden. Und es sollte auch niemals sofort gesagt werden, dass am Ende alles besser sein wird. Dies verkennt den Schmerz, der nötig ist und zum Prozess dazugehört. Aber manchmal erkennen wir später, vielleicht viele Jahre später, dass durch einen Zusammenbruch etwas Neues in unserem Leben entstanden ist, und dass dies sogar zu einer Verbesserung geführt hat.

Die Osterbotschaft heisst, dass Jesus lebt. Er will Beziehung mit uns. Und er will mit uns durch jeden Zusammenbruch hindurch. Auch wenn wir am Ende sind, er ist es nicht. Denn seine Kraft und seine Macht sind unbegrenzt. (5) Er will uns zu Neuem führen. In der Verbindung mit ihm liegt die Chance auf einen neuen Start in unserem Leben.

Quellenverzeichnis:

(1) Lukasevangelium, Kapitel 8, Vers 2.

(2) Matthäusevangelium, Kapitel 28, Vers 9.

(3) David H. Stern, „Das Jüdische Neue Testament“, Neuhausen-Stuttgart: Hänssler-Verlag, 1994, S. 197.

(4) 1. Buch Mose, Kapitel 50, Verse 19-21.

(5) Matthäusevangelium, Kapitel 28, Verse 18 und 20.

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Holger Heydorn studierte evangelische Theologie in Gießen und Bethel/Bielefeld. Danach promovierte er im Fachbereich Altes Testament an der Protestantischen Theologischen Universität in Kampen/Niederlande. Thema seiner Dissertation war der Aufbau des Menschen aus Geist, Seele und Leib sowie die Interaktionen dieser Wesensaspekte.

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