Ein Postkartenmotiv der 1980er Jahre zeigte die neben dem Eisberg sinkende Titanic in Schräglage, aus der Brücke kam eine Sprechblase: „Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän. Das war erst die Spitze des Eisbergs und nun zeige ich Ihnen den Rest.” Nach den heutigen Ampel-Beschlüsse zur Coronapolitik kann man getrost fürs Protokoll festhalten: Deutschland rückt dem Abgrund näher. Die nächste Regierung macht nicht etwa dort weiter, wo die andere aufhört; nein, sie verbleibt auf der Geisterbahn und zündet nun sogar den Extra-Turbo. Schlimmer noch: In der neuen Koalition, noch bevor sie überhaupt konstituiert ist, weiß schon jetzt die rechte Hand nicht, was die linke tut.
Da prescht vormittags die eifernde Impflobbyistin und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckart mit ihrer Ankündigung vor, die Ampel habe sich auf eine Impfpflicht für Alten- und Pflegeheime sowie für Kitas geeinigt – bloß um nachmittags von den eigenen Reihen dementiert zu werden, weil über eine solche Pflicht noch keine Einigkeit herrscht. Ein wahrhaft professionelles Debüt im Umgang mit einem der schwerwiegendsten politischen Spannungsfelder der jüngeren Geschichte. Wenigstens wissen wir jetzt, dass nicht nur der Öko-, sondern auch der Gesundheitsfaschismus in diesen Grünen einen leidenschaftlichen Fürsprecher hat. Sie können es nicht abwarten, Freiheiten zu rasieren, zu bevormunden und zu entmündigen. Die Lindner-FDP wird vom Tiger zum Bettvorleger, wenn sie sich auf diesen Pakt mit dem Teufel einlässt.
Dass die Amateurin und Blindpilotin KGE Stuss erzählt, heißt freilich nicht, dass die Impfpflicht nicht doch kommt. Fakt ist: Wenn es sie gibt, dann machen die Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegeberufsgruppen erst der Anfang, dann wird es die Pflicht bald für alle geben. Und damit verabschiedet sich die Bundesrepublik endgültig vom Boden der Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Wenigstens können sie das Totalversagen der Politik dann nicht mehr auf die Ungeimpften als Sündenböcke schieben – denn selbst wenn 100 Prozent geimpft und demnächst geboostert sind, wird sich am Infektionsgeschehen rein gar nichts ändern. Sie werden es erleben. Weil diese Impfung keinen Schuss Pulver wert ist und ganz offensichtlich kein einziges der in den Zulassungsstudien vor einem Jahr angeblich nachgewiesenen Wirkungsversprechen erfüllt werden kann.
Morgens hü, abends hott
Die schlimmere Folge einer Impfpflicht gerade im Gesundheits- und Pflegebereich ist der dadurch staatlich vorsätzlich herbeigeführte Zusammenbruch der Versorgung: Es wird nämlich genau das geschehen, was wir auch in Frankreich sahen: Kliniken und Heime geraten in einen akuten Notstand, weil etliche Mitarbeiter lieber den Bettel hinwerfen und kündigen, als sich erpressen zu lassen. Leidtragende sind die Patienten und Heiminsassen. Aber selbst wenn sich die bisher noch standhaften Impfunwilligen in bestem teutschem Kadavergehorsam fügen werden, ist für die von ihnen betreuten Risikogruppen nichts gewonnen, im Gegenteil: Man wiegt alle Beteiligten in einer trügerischen Sicherheit. Denn Geimpfte sind mindestens ebenso ansteckend wie Ungeimpfte (aktuellen Studien zufolge sind sie wohl bis zu 13 mal ansteckender als Genesene) und können somit ebenso zu „Todesengeln“ werden wie umgeimpftes Pflegepersonal. Der einzige Schlüssel zum Schutz bleibt – wie schon letztes Jahr – das Testen, das nicht von ungefähr ja in bald allen Alltagsbereichen auch für Geimpfte wieder verpflichtend werden soll. Schön und gut – doch wenn sich jeder, ob „immunisiert“ oder nicht, tagaktuell auf seine Infektiosität testen lassen muss, welchen Sinn ergibt dann die Impfung? 100 Punkte: Überhaupt keinen.
Nochmal zurück zur Ampel: Das, was leider nicht dementiert wurde, sondern und tatsächlich beschlossen ist, die eine 3G-Regel im ÖPNV – und die schlägt ganzen Regalen von Pandemiefässern zugleich den Boden raus. Zu Recht wurde die Merkel-Regierung vor drei Monaten, Ende August, einem Sturm der Entrüstung von ihrem Vorhaben abgebracht, die Impf-, Genesenen- bzw. Testnachweispflicht für Bus- und Bahnreisende einzuführen. Bundespolizei, Polizeigewerkschaften, betroffene Verkehrsbetriebe, Kommunen, ja sogar Minister des Bundeskabinetts gingen auf Distanz und erklärten die Umsetzung von 3G für völlig impraktikabel, von massiven wirtschaftlichen Folgen infolge Verspätungen im Berufsverkehr und einer bislang ungekannten Frustration aller Beteiligten ganz zu schweigen. Die FDP gehörte damals zu den vehementesten Kritikern dieses Willkürvorstoßes, der dann schnell wieder vom Tisch war.
Nun kommt die Ampel aus heiterem Himmel plötzlich mit eben dieser schikanösen Schnapsideee aus der Deckung – und kündigt eben diesen kafkaesken 3G-Terror für den öffentlichen Verkehr an. Weil die Polizei hierfür keine personellen Ressourcen hat, sollen die Verkehrsbetriebe selbst die 3G-Regelüberwachung übernehmen. Neben dem unabsehbaren Verwaltungsmehraufwand, den diese Überbürdung von im Prinzip hoheitlichen Aufgaben bedeutet, dürfte der Personalmehraufwand zu einer massiven Verteuerung der Tickets und damit auch der Reisekosten von Berufspendlern führen. Nicht ohne Grund laufen die ÖPNV-Anbieter bereits Sturm gegen die neue Regelung.
Selbst Scheuer ist fassungslos
An den Argumenten gegen 3G im ÖPNV von vor drei Monaten hat sich selbstverständlich bis heute nichts geändert. Laut verschiedenen wissenschaftlichen Studien existiert keine erhöhte Infektionsgefahr in Bussen, Bahnen sowie in Fernverkehrszügen. Auch das Robert-Koch-Institut hat das Infektionsrisiko seit Beginn der Pandemie als niedrig eingestuft. Und so genoss sogar Noch-Skandalverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die seltene Gelegenheit, sich ausnahmsweise einmal nicht für sein eigenes Versagen rechtfertigen zu müssen, sondern die Verirrungen anderer anprangern zu dürfen: Zu Recht warnt er nur vor einem von der Ampel sehenden Auges angerichteten Verkehrschaos in Bussen und Bahnen durch 3G, das angesichts steigender Spritpreise und zunehmender Bedeutung des ÖPNV in Corona-Zeiten für mittlerweile täglich über zehn Millionen Menschen vorprogrammiert ist. Scheuer findet deutliche Worte, die bislang zwar genauso gut auf seine eigene Regierung anwendbar waren, hier aber wie die Faust aufs Auge passen: „Die Ampel handelt planlos, hektisch und chaotisch. Man muss sich als neue Mehrheit doch erstmal wissenschaftlich, rechtlich und organisatorisch auf Stand bringen, bevor man sowas in die Welt setzt.“
Wenn die nächste Bundesregierung den Volkszorn zum Kochen bringen will, dann genau so: Durch Kombination der weiteren Verteuerung (oder gleich Verunmöglichung) des Individualverkehrs durch CO2-Preis und Klimarestriktionen mit einem polizeistaatlichen Kontrollregime im öffentlichen Verkehr. Ist dies bereits der prophylaktische Teil der grünen Notstandspolitik – sorge für Chaos und Desorganisation, um den ersten Klimanotstand ausrufen zu können? Was bei den beschlossenen und geplanten Maßnahmen kaum jemandem auffällt: Sie sind nicht länger an eine epidemische Notlage gebunden, sondern können auch weit über März 2022 hinaus Geltung erlangen. Grundrechtsaushebelungen und Freiheitseinschränkungen sind ab sofort Teil der Verwaltungsnormalität. Ironischerweise geschieht dies gleichzeitig mit der Rückkehr der „Freien Liberalen“ in die Regierung.