Horst D. Deckert

Angst, die weiche Droge

Übersetzung und Zusammenfassung eines Artikels unserer Freunde bei bonpourlatete.com.

Angst, so sagt man, stimuliert den Abwehrinstinkt. Sie drängt die Gazelle, schnell vor dem Löwen wegzulaufen. Aber wird sie dadurch schlauer? Was uns betrifft, so laufen wir, verfolgt von den Medien, von einer Angst zur nächsten: Viren, globale Erwärmung, vergiftetes Wasser, Junk-Food, Zecken und all die anderen fiesen Biester… Wohin führt uns diese allgegenwärtige Panikmache? Die wahren Virtuosen spielen mit ihr und benutzen sie für die Durchsetzung ihrer politischen Anliegen.

In der Arena-Sendung zum Covid-Gesetz stichelte der Journalist gegen Alain Berset: «Sie finden Ihre Macht in der Angst. Sie sagen, dass wir uns vor Krankheiten fürchten müssen, und jetzt müssen wir das Ende der Wirtschaftshilfen fürchten… Werden Sie so weitermachen?» Antwort: «Ich will den Leuten keine Angst einjagen, ich gebe nur Fakten an.» Aber indem wir aus allem durch dauernde Wiederholung eine grosse Sache machen, landen wir bei dem, was man auf Deutsch «Panikmacherei» nennt. Ist das wirklich klug?

Wir alle kennen folgende Situation: Wir treffen einen Freund, den wir lange nicht gesehen haben. Er nähert sich, zögert… Zu nah? Küssen wie früher? Hände schütteln oder nicht? Nur Ellbogenstösse? Nicht, dass das Wiedersehen wirklich gefährlich oder beängstigend wäre, aber neue Gewohnheiten setzen ein. Als Zeichen der gesellschaftlichen Konformität in den Augen der einen, der staatsbürgerlichen Verantwortung in den Augen der anderen.

Doch damit nicht genug. Sobald gute Nachrichten eintreffen, beeilen sich die gelehrten Gesundheitsratgeber, neue Gefahren heraufzubeschwören: Corona-Varianten mit verschiedenen Etiketten und schlimmen Eigenschaften, oder die alte Grippe, die zurückzukehren verspricht, antibiotikaresistente Bakterien… «Behalten Sie die Maske auf der Nase!»

Der neue Kodex der Höflichkeit

«Sind Sie geimpft? Oder werden Sie sich impfen lassen?» Auf diese Frage antwortet Freund Slobodan jeweils: «Und wie geht es Ihren Hämorrhoiden?». Aber er ist ein furchtbarer Mensch. Anständige Leute nicken mit einem Blick der wissenden Komplizenschaft. Doch wir werden nicht mehr lächeln, wenn wir zukünftig dauernd gefragt werden: «Haben Sie Ihren Gesundheitspass dabei?» Die Umsetzung dieser Diskriminierung basiert nicht auf der realen Angst des Einzelnen, sondern ist das Ergebnis einer Maschinerie, die wiederum von geschürten Ängsten und verschiedensten Interessen gespeist wird.

Die Gazelle rennt und rennt, aber am Ende wird sie gefressen. Wir nicht. Doch welche Auswirkungen hat der Strom alarmistischer Reden aller Art? Angst bricht den Geist, sie macht uns schläfrig. Es erfordert eine aussergewöhnliche Kraft, sich zu engagieren, Projekte zu starten, sich den Aufschwung des eigenen Lebens vorzustellen, wenn man von Angst überflutet wird.

Es ist ein altes Rezept der Machthaber. Von den Schrecklichsten bis zu den Vernünftigsten, fast jeder benutzte und benutzt sie. Von 1914 bis 1918 schlachteten sich die Europäer gegenseitig ab, weil sie die jeweils andere Nation als einen Haufen von Monstern sahen. Später liess ein Diktator ein kultiviertes Volk glauben, dass die Bedrohung des Jahrhunderts die Juden seien und dass die Rettung des Volkes nur durch Aggression gegen die Nachbarn möglich sei.

Sind unsere schönen Demokratien für immer gegen solche Auswüchse geimpft? Nicht mit Sicherheit. Denn sie beginnen sanft und mit Umwegen. So will unsere weise Helvetia, auf die Angst vor dem Terrorismus setzend, ihrer Polizei immer mehr Befugnisse geben, damit diese präventiv gegen jeden zuzuschlagen kann, der «Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung» unternimmt. Ein juristischer Irrweg, an dem sich nicht einmal die grossen Parteien stören.

Die Weisheit von Dürrenmatt

Erinnern wir uns an den grossen Friedrich Dürrenmatt, der fünfzig Jahre lang bei der Bundespolizei aktenkundig war. Dies auch, weil er die Schweiz mit einem Gefängnis verglich, in dem man nicht mehr weiss, ob man Gefangener oder Wächter ist, weil jeder den anderen beobachtet. Was würde er heute zur Frage sagen: «Sind Sie geimpft?» Wir vermissen seine bissige Weisheit.

In Ermangelung eines Gesprächs mit Dürrenmatt, lesen wir noch einmal bei Montaigne (1553-1592) nach: «Was ich am meisten fürchte, ist die Furcht. Ich bin kein guter Naturforscher, und ich weiss nicht, auf welche Weise die Furcht in uns wirkt; aber sie trübt unser Urteilsvermögen. In der Tat habe ich gesehen, wie mancher vor Angst töricht geworden ist und es ist sicher, dass er, solange sein Anfall anhält, schreckliche Dinge tun kann.»

Sind wir geblendet? Nicht unbedingt, aber resigniert. Wir gewöhnen uns so gut an die Angst. Ob Echt, vorgetäuscht oder verwässert. Sie gibt uns etwas, worüber wir reden können. Sie schmeichelt unserem Ego als «mündige Bürger»… oder Rebellen. Sie gibt uns Ausreden, um zu Hause zu bleiben, oder um manches nicht mehr zu tun, das uns ermüdet. Sie lässt uns in eine sanfte Gleichgültigkeit gegenüber den realen und grossen Herausforderungen der Welt versinken. Auch gegenüber unseren Freiheiten, die keineswegs in Stein gemeisselt sind. Sie ist zu einer weichen Droge geworden. Eine Droge, die uns schläfrig macht, nicht schlau.

Dieser Text wurde uns von bonpourlatete.com zur Verfügung gestellt, dem führenden alternativen Medium der französischsprachigen Schweiz. Von Journalisten für wache Menschen.

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