Horst D. Deckert

Atomkraft nein danke, Atomkrieg ja bitte: Grüne im Waffenrausch

Brüder, zu den Waffen! (Symbolbild:Pixabay)

Keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete”, das war jahrzehntelange gesinnungspolitische Antwort der grünen Basis auf jegliche verantwortungspolitische Intervention der selbstverstandenen westlichen „Gerechtigkeitsliga”, Usurpatoren oder Terrorregimes zurückzuschlagen oder zu verhindern. Die moralische Legitimität der militärischen Eingriffe und auch die Situation der Zivilbevölkerung interessierte dabei nicht. Und als Joschka Fischer im Kosovokrieg vor 23 Jahren erstmals die Kröte des regierungslastigen Pragmatismus schluckte, wurde er von der Basis dafür nicht nur getortet, sondern riskierte beinahe die Spaltung der Partei.

Viele Grüne, die damals über den NATO-Eingriff unter deutscher Beteiligung fluchten, stehen heute in vorderster Front jener, denen die fahrlässige Hochrüstung und Aufmunitionierung der Ukraine zur Herstellung von Waffengleichheit (oder besser noch Überlegenheit) gegenüber Russland gar nicht schnell und kompromisslos genug gehen kann. Inzwischen haben sich die von „Tauben” zu „Falken“ gewandelten einstigen Friedensapostel heillos verrannt, was insbesondere bei den Oster- und Friedensmärschen am Wochenende sichtbar wurde. Der Rollentausch, der sich hier in 40 Jahren seit der Abrüstungsbewegung (aus die Grünen einst hervorgingen) vollzogen hat, steht für eine beißende Ironie der jüngeren Geschichte: Jene, die damals „Schwerter zu Pflugscharen“ skandierten und für bedingungslose einseitige Abrüstungen eintraten, sind heute die militanten Fürsprecher der Lieferung schwerster Waffen in einen Krieg, der nicht der unsere ist. Jeder Schuss‘ ein Russ‘!

Regionalkonflikt wird zum Flächenbrand

Zur Verteidigung des eigenen Landes, versteht sich, waren derartige Waffen stets verpönt. Sollen sie jedoch zur militärischen Niederringung eines pauschalverteufelten Russlands an ein osteuropäisches Land verschenkt werden, das irrigerweise zum Leuchtfeuer der Freiheit und westlicher Werte hochstilisiert wird, geht es in Ordnung. Zur „Verteidigung der Ukraine” wird billigende Ausweitung eines Regionalkonflikts zum Weltenbrand gerne in Kauf genommen. Dass die neugeborene grüne Weltpolizei bei allen anderen unrechtmäßigen und völkerrechtswidrigen Okkupationen sowie extern orchestrierter Kriege, die bis heute anhalten – von Tibet bis zur Westsahara bzw. Syrien bis zum Jemen – offensichtlich andere Maßstäbe anlegt, schert keinen.

In den riesigen Ostermärschen und Friedensaktionen gegen NATO-Doppelbeschluss und nukleare Zuspitzung des kalten Krieges mussten sich die Demonstranten und Aktivisten der späten 1970er- und frühen 1980-er Jahre, von Franz Alt über Friedrich Schorlemmer, von Petra Kelly bis Jutta Ditfurth – stets den Vorwurf gefallen lassen, als fünfte Kolonne Moskaus zur einseitigen Schwächung des Westens beizutragen, wogegen sie sich stets verwahrten und ihren Ruf nach Abrüstung teils mit christlichem, teils mit linkspazifistischen Idealismus begründeten. Genau diese hehren Kantonisten sind es heute, die mit Schaum vorm Maul all jenen Nähe zu Russland und „Putinverstehertum“ unterstellen, die sich mit denselben Argumenten wie einst die Friedensbewegung gegen eine weitere Aufrüstung und Bewaffnung der Ukraine richten; eine Bewaffnung, die weit größere Risiken für den globalen Frieden birgt als die damalige – historisch und spieltheoretisch betrachtet erfolgreiche – Aufrüstung des Westens.

„Putin nuklear entwaffnen“

Welche Fanatiker und schlussgeschichtlichen Kriegstreiber im geistigen Umfeld der Grünen prächtig gedeihen und ihre Stimme erheben, zeigte vergangene Woche das Beispiel Sergej Sumlennys von 2015 bis vergangenes Jahr Leiter des Kiewer Außenbüros der grünen Heinrich-Böll-Parteistiftung. In einem Twitter-Thread forderte er in neun knappen Punkten nicht weniger als die vollständige „nukleare Entwaffnung“ Russlands: „The most secure way to get guaranteed peace is to eliminate nuclear Russia.” Dass dies zwingend einen Atomkrieg voraussetzen würde, nimmt Sumlenny billigend in Kauf: „Some nukes can explode, but they will explode anyway. Our object is to minimize their number + to make Russia nuclear-free”. In diese Richtung ticken auch in Deutschland mittlerweile viele: Nach der Logik, Russland werde ja sowieso ein Land nach dem anderen angreifen, wenn man ihm nun in der Ukraine nicht mit allen Mitteln Einhalt gebiete, deshalb könne man den Endkampf genauso gut jetzt austragen, nehmen sie sogar einen Dritten Weltkrieg in Kauf. Andere hingegen meinen absurderweise, es könne einen konventionellen Schlagabtausch zwischen Russland und dem Westen geben, ohne dass eine Seite zu Atomwaffen greife; also „nur“ gewöhnliche Bomben auf deutsche Städte wie zuletzt vor knapp 80 Jahren. Das muss es uns doch wert sein!

Nicht nur innerhalb des grünen Dunstkreises ist die Geschichtsvergessenheit der heute handelnden EU-Politiker beängstigend, die die innere Logik und Effizienz eines „Gleichgewicht des Schreckens” nur noch vom Hörensagen kennen und dessen gnadenlose Mechanik nicht durchschauen. Sicher ist: Nie, auch nicht in der Kuba-Krise, war die Gefahr größer, dass im Namen einer fadenscheinigen und wie üblich hochselektiven Hypermoral ein Weltkrieg ansteht. Der kommt im Zweifel schneller, als die meisten ahnen – eins kommt zum anderen, und eine einmal losgetretene Eigendynamik lässt sich kaum mehr stoppen. Wenn die ersten schweren Kriegsgeräte (Hightech-Panzer, Haubitzen, Flugzeuge und mehr) in die Ukraine geliefert werden und ukrainische Einheiten durch NATO-Personal auf sie geschult werden, wird Russland diese Lieferungen attackieren. Der nächste Schritt wird dann die Forderung nach militärischem Schutz der Waffentransporte sein. Von hier ist es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zur ersten direkten Konfrontation zwischen westlichen und Truppen eines NATO-Staats auf ukrainischem Territorium – und dann zu ersten Vergeltungsangriffen Russlands auf Grenzgebiete der ukrainischen NATO-Anrainerstaaten. Ab dann ist buchstäblich „Polen offen”.

Wie Blinde im Nebel

All die Hobby-Strategen, Nullchecker und Zivilversager von Baerbock über Lambrecht, von Habeck bis Hofreiter, die die Debatte dominieren und denen wir – anstelle qualifizierter Militärs, weitsichtiger Staatsmänner und geostrategischer Kapazitäten – in dieser hochkritischen explosiven Situation die Wortführerschaft überlassen und die Entscheidungsgewalt über das Schicksal unseres Landes anvertraut haben: Sie denken kein Stückweit taktisch, logisch und zielbewusst, im Sinne des römischen „semper respice finem”. Schlimmer noch als die Schlafwandler am Vorabend des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 tappen sie wie Blinde im Nebel und haben keine Antworten auf die unvermeidlichen Gegenreaktionen, die der Verwirklichung ihrer haltungsverseuchten „sicherheitspolitischen“ Stammtischparolen folgen wird.

Sie wollen einer ukrainischen Führung zu willen sein, die sich bereits mit Tod und Zerstörung im eigenen Land konfrontiert sieht und der deshalb jedes Mittel recht ist, den russischen Aggressor zu bekämpfen; ein legitimes und nachvollziehbares Interesse, der allerdings unsere Politik ebenfalls legitime deutsche Interessen gegenüberstellen müsste. Genau dies geschieht aber nie und nimmer – in einem Land, in dem die Negierung und Missachtung eigener nationaler Interessen auf allen Ebenen seit vielen Jahren als Staatsräson gilt und das einzig noch darauf bedacht ist, zur „Schuldvermeidung“ dem Ausland – oder jeweiligen interessierten externen Interessensphären – gefügig zu sein, ob es um EU-Finanzen und Target-2 geht oder um die Bedürfnisse einer globalen Migrationslobby.

Für Melnyk & Co. ist der Worst Case schon da

Deshalb lässt sich die Bundesregierung alle verbalen Ausfälle und Unverschämtheiten eines ukrainischen Botschafters gefallen, lässt sich diplomatischen Affronts aus Kiew wie die Ausladung des Staatsoberhauptes bieten und von einem Anspruchsdenken ins Bockshorn jagen, das angesichts der bereits anstandslos getragenen finanziellen und sonstigen Hilfslasten und der gewaltigen kollektiven Solidarität für die ukrainische Bevölkerung nur noch als undankbar und dreist bezeichnet werden kann. Die Ukraine ist in einer existenziellen Krise, von Russland verschuldet – wohl war. Sie steht gewissermaßen unter Gigastress. Daraus erklärt sich plausibel, warum ihre Politiker auch gar kein Problem damit haben, den Westen schlimmstenfalls in einen Atomkrieg zu ziehen: Sie befindet sich bereits im Krieg mit Russland; für sie ist der worst case bereits eingetreten. Für sie könnte das Kataklysma nicht ärger sein als die Zerstörungen vor der eigenen Tür, selbst wenn Berlin oder Warschau in Schutt und Asche versinken. Doch nochmals, ob es uns passt oder nicht: Dies ist nicht unser Krieg, und unsere Versuche von außen, ihn zu beenden, müssen stets unsere eigene Sicherheit berücksichtigen – was eine sensible Folgenabschätzung erfordert.

Davon kann überhaupt keine Rede mehr sein. Inzwischen scheinen sich nämlich einflussreiche Kreise gedanklich bereits mit dem nuklearen Holocaust anzufreunden – und ihn als eine Art notwendiges Übel zu sehen, das nun einmal zu schlucken sei, um die russische Aggressionswut ein für alle Mal zu stoppen. Auch hier findet die deutsche Einpeitscherjournaille überhaupt nichts Verwerfliches dabei, propagandistisch wohlgesetzte Versuche der ukrainischen Seite, den behaupteten Einsatz von Atomwaffen durch die russische Seite als Argument aufzubauen, entsprechende Hemmschwellen auch auf westlicher Seite abzubauen.

Lektionen aus dem Kalten Krieg? Fehlanzeige

Dies ist der eigentliche Grund, warum ausgerechnet Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko – in Deutschland noch bekannter als in der Ukraine – seine Rhetorik entsprechend modifiziert: Der Ex-Boxchamp erklärt er nun, er sehe sein Land auch einem möglichen russischen Atombomben-Angriff ausgesetzt. „Wir rechnen mit allem: Chemischen Waffen, Atomwaffen, wir haben schon einen Genozid gesehen„, sagte der Ex-Schwergewichtsboxer gestern zu RTL/ntv-Reportern anläslich der Übergabe von acht Löschzügen aus Deutschland. Subtext: Was sollen Eure technischen Hilfsgeräte – besorgt uns lieber gleich Atomwaffen. Außerdem, so Klitschko („ich bin kein Waffenexperte”), brauche die Ukraine jede Menge Panzer und Flugzeuge, und zwar „sofort”. Sonst noch Wünsche?

Nochmals: Es ist das eine, wenn – je nach Sichtweise – verzweifelte oder todesmutige oder verrückte Ukrainer im Kampfgefecht so ticken. Wenn diese Kriegsrhetorik jedoch im verweichlicht-infantilen Deutschland (wo man die Bundeswehr als eine Truppe verhaltensauffälliger und im Zweifel rechtsnationaler Wirrköpfe ausgegrenzt und zu Schrott gespart hat) nachgeplappert und die dahinterstehende Mentalität unkritisch übernommen wird – nach der naiven Devise: lasst sie ihr Pulver verschießen, dann ist Russland wenigstens „demilitarisiert” -, dann ist das nur noch wahnwitzig, gewissen- und verantwortungslos. Wer so schwadroniert, hat keine Ahnung, was einst Begriffe wie „Megatod”, „Overkill”, „Zweitschlagkapazität” und andere Vokabeln der Ära des Kalten Krieges bedeuteten. Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Dort sind wir, dank regierender Eselherde, schon längst.

 

 

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