Es spricht viel dafür, dass Angela Merkel im Lichte der Nachwelt als großes Verhängnis für ihr Land erscheinen wird, über deren Amtszeit als einzig positiver Aspekt die historische Zäsur der Tatsache verbleibt, dass die die erste Frau der deutschen Geschichte im höchsten Regierungsamt war. In dieser Hinsicht gleicht sie Barak Obama, dessen Hautfarbe das einzig Denkwürdige einer ansonsten ganz und gar vergessenswerten Amtszeit war. In beiden Fällen haben diese Pioniere der von ihnen vertretenen, bis dahin von höchsten ferngehaltenen Identitätsgruppen deren Emanzipation allerdings einen Bärendienst erwiesen.
Sicherlich hätte es jede Menge geeignete schwarze Präsidenten und weibliche Bundeskanzler gegeben, doch Obama und Merkel gehörten nachweislich nicht dazu. Vor allem im Fall Merkels – sofern deren „Frausein“ überhaupt zum Kriterium ihrer Amtszeit taugt – dürften sich nicht nur reaktionäre und chauvinistische Gegner des Programms „mehr Frauen in Spitzenämter“ in ihren Zweifeln bestätigt fühlen, sondern nun, 16 Jahre später, auch viele Bürger, die dieser ersten „Kanzler*Innenschaft“ gegenüber ursprünglich sehr aufgeschlossen waren. Allerdings war Merkel beileibe nicht die einzige Frau, die im großen Stil Scheiße gebaut hat; mit Ursula von der Leyen oder Franziska Giffey wollen wir an dieser Stelle gar nicht anfangen. Wer ausgerechnet diese Frauen als Testimonial von Gleichstellung bemüht, redet damit unbewusst einer Rückkehr zum obligaten Patriarchat das Wort.
Unaussprechliche Versündigungen
Doch selbst wenn man die identitätspolitischen Premiere einer ersten Frau als Kanzlerin Merkels Habenseite zurechnet, so stehen auf der Sollseite ihrer Regierungszeit beinahe unaussprechliche Versündigungen an diesem Land, diesem Volk und diesen Staatswesen, das bis zur Jahrtausendwende noch uneingeschränkt als Erfolgsmodell, als bis in die Feinabstimmungen hinein gut funktionierendes Konstrukt bezeichnet werden konnte, auf das Deutsche wirklich stolz sein konnten, cum grano salis, und dies auf praktisch allen Ebenen: Wirtschaftskraft. Soziale Teilhabe und sozialer Friede. Erträgliche Umverteilung ohne Sozialismus, aber mit Schwerpunkt auf Mittelstandsgesellschaft. Ein „Wir-Gefühl“ durch weitgehende kulturelle und ethnische Homogenität, bei durchaus weltoffener Aufgeschlossenheit. Weitgehende Spaltungsfreiheit. Multilaterale exzellente Beziehungen zum Ausland.
All das hat Angela Merkel mit ihrem beliebigen, machtopportunistischen Ausspielen gesellschaftlicher Gruppen und der Rückgratamputation ihrer eigenen Partei nicht nur aus der Balance gebracht, sie hat die Gesellschaft irreversibel zerrissen und den inneren Frieden kurz und klein geschlagen. Ein im DDR-Regime sozialisierter Wissenschaftsnerd, kinderlos und erkennbar soziopathisch, von Kohl nur aus Quotenproporzgründen (ostdeutsch, weiblich) für damalige Randministerien in die späte Bonner Republik geholt, geriet dank Spendenaffäre und CDU-Machtkampf zur Verlegenheitslösung und stolperte als blasseste und damit kompromissfähigste Lösung zuerst an die Parteispitze, dann ins Kanzleramt.
Was sie dort in 16 Jahren anrichtete, das hat nun der britische „Economist“ kurz vor ihrem Abgang, wann genau auch immer dieser stattfinden wird, zusammengetragen – und er findet zu einer bitteren Bilanz: „Nach goldenen Jahren droht der deutschen Wirtschaft der Abstieg„. Statt die unaufhaltsam bevorstehende Ruinierung ihrer Wohlstandssubstanz zur Kenntnis zu nehmen, meinen die Deutschen, die Welt warte nur auf sie, um ihr in Klimalösungen und ihrer moralischen Avantgarde nachzufolgen. In Wahrheit ist das Land abgehängt, Eigen- und Fremdeinschätzung divergierten nie stärker. „Wer derzeit die Deutschland-Studien der großen internationalen Investmentbanken liest, kann schnell den Eindruck bekommen, dass sich das Ausland mehr Sorgen um Deutschland macht, als das Land selber„, kommentiert die „Welt“ unter der bezeichnenden Überschrift „Abgesang auf Deutschland„.
16 Jahre Reformverweigerung
Hauptgrund dafür ist, dass Merkel jede unnötige und irrationale Entscheidungen getroffen hat, um mit ideologischer Politik Stimmungen zu bedienen: Atomausstieg, Mindestlohn, Rente mit 63, Abschaffung der Wehrpflicht, Flüchtlingsaufnahme, EU-Wohltaten von Targetsalden bis Coronabonds – und zuletzt dann auch noch Energie- und Mobilitätswende durch quasiplanwirtschafte Rahmensetzungen. Was sie stattdessen völlig unterließ waren Reformen. In ihren vier Amtsperioden wurde „keine nennenswerte Reform“ verabschiedet, konstatiert auch der „Economist„. Weder Struktur- noch Steuerreform, kein wieder und wieder versprochener Bürokratieabbau, keine echte Innovationsförderung. Das Investitionsklima ist schlecht wie nie.
Patente entstehen woanders, Gründer und Spitzenkräfte fliehen das Land, Prekariat wandert stattdessen ein. Nur vier der Big-Tech-Digitalkonzerne der USA (Apple, Amazon, Microsoft und Google) sind mehr wert als der gesamte, auf 40 Titel aufgeblasene DAX – von China erst gar nicht zu reden. Eine aktuelle OECD-Studie sieht die deutsche Arbeitsbevölkerung in den kommenden zehn Jahren um über vier Millionen Menschen schrumpfen – schönen Gruß ans Rentensystem! Die britischen Wirtschaftsjournalisten bringen ihre Beunruhigung darüber zum Ausdruck, dass die politische Klasse von Merkel gelernt zu haben scheint, es sei besser, „die Wähler nicht mit zu viel Wandel zu verschrecken„.
Die Zukunftsfähigkeit Deutschland wird sich nicht am Klima entscheiden und schon gar nicht an der energiepolitischen Geisterfahrt, die wachsende Abhängigkeit von ausländischen fossilen und atomaren Stromimporten garantiert (bereits jetzt durch die preistreibenden russischen Daumenschrauben bei den Gaslieferungen zu beobachten). Im Gegenteil ist die Messe längst gelesen – im 21. Jahrhundert wird Deutschland, so wie Merkel es in fast zwei Jahrzehnten „aufgestellt“ hat, keine wesentliche Rolle spielen. Das Land ist ultimativer Abstiegskandidat, und vermutlich – spätestens am Sonntag werden wir es wissen – ohne Chance auf einen Relegationsplatz.