Horst D. Deckert

CDU-Realsatire: Röttgen und der „Rechtsruck“

Röttgens Visionen: Die „rechte“ Union? (Foto:Imago)

Der große Staatsphilosoph und Zeugwart des politischen Kompasses der Union, Norbert Röttgen, sorgte gestern bei allen Ernüchterten und Desillusionierten des deutschen Demokratiemodells für Erheiterung: In einer offenbar ernstgemeinten Ermahnung der eigenen Partei warnte der ewige Runner-Up-Vorsitzkandidat vor einem „Rechtsruck“ der Union. Mit Kurt Tucholsky drängt sich hier die Frage auf: Was darf Satire?

Es gebe bei den Christdemokraten unterschiedliche Richtungen, so Röttgen gestern: „Konservativere und Liberalere sowie Vertreter des Arbeitnehmerflügels„. Was er verschweigt: Sie werden nur so genannt, sind es aber nicht. Echte Wertkonservative der Union kehrten der Partei spätestens seit 2016 den Rücken und wanderten entweder zur AfD oder in die innere Emigration ab; und Liberale existieren in der CDU/CSU spätestens seit Kohls Zeiten nicht mehr.  Dass die CDU, wie Röttgen befürchtet, eine „Richtungspartei“ werden könnte, ist insofern urkomisch, als sie seit Merkels Kanzlerschaft 2005 nichts anderes mehr ist: Ihre Richtung entspricht der herrschenden Windrichtung, in die die Union jeweils machttaktisch ihr Fähnchen hielt  – und dieser Wind hat sie weit in grünsozialistische Gefilde geblasen. Die Partei der „modernen Mitte“ (Röttgen) gibt es schlicht nicht mehr, denn diese Mitte hat die Union sträflich offengelassen.

Offengelassen Mitte

Und jetzt soll der Partei, die unter Angela Merkel in ein bald 20 Jahre währenden Dauerlinksdrall wechselte und programmatisch inzwischen in vielen Punkten Grüne und SPD links überholt hat, also ein „Rechtsruck“ drohen, weil sie sich wieder mal ein neues Führungspersonal gibt (interessanterweise diesmal übrigens nach dem Vorbild der SPD-Ochsentour, mit Regionalkonferenzen, Mitarbeiterbefragung, Parteitagsbeschluss)? Hat Röttgen etwas falsches geraucht, oder wie kommt er zu solch einer Fehlverortung? Die Antwort liegt auf der Hand: Mit Blick auf die abstehende personelle Neuaufstellung, die im Zuge einer überfälligen Klärung der Laschet-Nachfolge ansteht, malt Röttgen als Vertreter des moderaten Parteiflügels Gespenster an die Wand und will sich insbesondere von seinen potentiellen Rivalen Merz und Spahn abgrenzen.

Die Angst vor Realpolitik sitzt bei einer watteweichen, profillosen und zeitgeistergebenen Opportunistenschar, zu der diese einstige Volkspartei inzwischen verkommen ist und deren Idealvertreter Röttgen ist, anscheinend so tief, dass selbst zaghafte Restaurationsbestrebungen und Versuche innerhalb der CDU, gegen eine künftig rot-grün dominierte Ampel in die Oppositionsrolle zurückzufinden, gleich mit der „Rechts“-Keule niedergemacht werden müssen. Und weil in der Union inzwischen sogar das, was früher selbst die Arbeitnehmerunion oder die christlichen Sozialverbände als Linksaußenflügel von CDU/CSU inhaltlich vertraten, weitab rechts vom Parteimedian steht, ist natürlich jede auch nur tendenzielle Rückbesinnung auf die ursprüngliche, urnormale geistige Union-Kernsubstanz ein bedenklicher Schritt in Richtung AfD. Inhaltlich ist Röttgens Warnung vor einem „Rechtsruck“ in etwa so berechtigt wie die Sorge, ein unter Volllast laufender Hochofen könnte vereisen, wenn man eine Handvoll Eiswürfel oben hineinwirft.

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