Horst D. Deckert

Corona: Weder Kantone noch Militär nahmen Warnungen ernst

(Auszugsweise)

Was es braucht, um für eine mögliche Pandemie oder ähnliches gerüstet zu sein, hat der ehemalige BAG-Direktor und Gründer der WHO-Stiftung Thomas Zeltner für die Schweiz bereits 2018 zusammengestellt. In einem Gutachten für das Verteidigungsdepartement (VBS) richtete Zeltner einen Blick auf den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD) der Schweiz. Der KSD vernetzt miteinander Bevölkerungsschutz, das zivile Gesundheitswesen und die Armee, der er angegliedert ist.

Die Organisation spielt gegenwärtig in der Corona-Krise eine entscheidende Rolle. Der ehemalige BAG-Direktor legte den Fokus speziell auf die Frage, wo Verbesserungen notwendig seien, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Seit Beginn der zweiten Welle präsentiert just der KSD im Auftrag des Bundesrats unter anderem regelmässig die aktuellen Daten zur Auslastung der Spitäler.

Nicht für den Ernstfall vorbereitet

Die Kantone seien wenig bis gar nicht auf den Ernstfall vorbereitet, bilanzierte Zeltner in seinem Gutachten. Dies, obwohl sie laut dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) und dem Epidemiengesetz verpflichtet seien, bei den kantonalen Spitalplanungen Reservekapazitäten einschliesslich der personellen und technischen Mittel auch für Notlagen miteinzubeziehen. «Ein Blick in die kantonalen Spitalplanungsunterlagen zeigt allerdings, dass dies heute nicht auseichend der Fall ist», schrieb Zeltner und stellte grosse Mängel fest.

Er verwies darauf, dass die entsprechenden Kapazitäten für Notlagen fehlten. Die Schweiz, so Zeltner, bräuchte 4250 zusätzliche Betten für den Fall einer möglichen Epidemie – bei der Zahl stützte sich der ehemalige BAG-Direktor auf das US-Ministerium für Innere Sicherheit, das eine Zusatzkapazität (auch «Surge Capacity» genannt) von 500 Betten für 1 Million Einwohner bei Epidemien empfehle.

Seit Zeltners Empfehlungen sind mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen – wovon inzwischenüber 10 Monate unter dem Zeichen der Corona-Krise standen. Die Mängel wurden in der Zwischenzeit jedoch nicht behoben… Das Versäumnis bekommen gegenwärtig unzählige Menschen in Form von einschneidenden Massnahmen zu spüren, die in den Augen der Regierung notwendig sind, um eine Überlastung der Intensivstationen in den Spitälern zu verhindern.

Auf die Frage, warum die Kantone seit 2018 für keine Notfallbetten gesorgt und keine «Surge Capacity» aufgebaut haben, meint Armeesprecher Stefan Hofer: «Der KSD hat mit den Kantonen in den letzten drei Jahren Initiativen gestartet, die ‹Surge Capacity› auf die angestrebten 4250 Betten zu erhöhen. Im Rahmen der Covid-Epidemie hat sich gezeigt, dass die Kantone diesen Bedarf unterschiedlich angehen, häufig unter Einbindung privater Gesundheitsinstitutionen.»

Und Tobias Bär, Mediensprecher der GDK, antwortet: «Tausende von Betten auf Reserve zu haben, das heisst nicht zwingend, besser auf eine Krise in diesem Ausmass vorbereitet zu sein.» Gefordert seien nicht primär «kalte Betten», sondern qualifiziertes Personal, welches sich um die Patienten in den Betten kümmere. Doch es ist klar, dass die «Surge Capacity» nicht aus kalten Bettgestellen besteht, sondern aus voll mit Technik und Personal ausgerüsteten Einrichtungen. Immerhin, so Bär, seien die Kapazitäten seit Beginn der Corona-Krise massiv erhöht worden. Auch die Anzahl Beatmungsgeräte sei innerhalb kurzer Frist beträchtlich aufgestockt worden. Keine Auskunft gab der Spitalverband H+, der lediglich auf die GDK verwies.

«Mangelnde Auslastung während der ersten Welle»

Ein Blick auf die Spitalkapazitäten des KSD zeigt ein anderes Bild. Während des Höhepunkts der ersten Welle am 11. April 2020 standen 1570 Intensivbetten und rund 24‘000 Betten insgesamt zur Verfügung. Rund neun Monate später, am 22. Januar 2021, wies der KSD mit 1009 Intensivbetten rund ein Drittel weniger Intensivbetten aus als am 11. April 2020, sowie 20’941 Betten insgesamt. Das sind über 3000 weniger als noch während der ersten Welle.

Armeesprecher Hofer begründet den Abbau mit der mangelnden Auslastung im Zuge der ersten Welle. «Nach rascher Schaffung von improvisierten Kapazitäten im Rahmen der ersten Welle wurden diese wegen Nichtgebrauchs, Kosten und Instandhaltungsaufwand etc. zunehmend wieder abgebaut.» Das BAG seinerseits wollte sich dazu nicht äussern.

In der Tat verzeichnete die Schweiz wenig Betrieb in den Spitälern während der ersten Welle. Beck und Widmer kamen zum Ergebnis, dass im Zuge des ersten Lockdowns im Frühling sechs Wochen lang rund 8000 der insgesamt 24‘000 Spitalbetten hierzulande leer standen – dies auch deswegen, weil Tausende von geplanten Operationen verschoben oder abgesagt worden seien.

Nie an Grenzen gelangt

Bemerkenswert ist dieser Abbau der Intensivbetten vor dem Hintergrund der Warnungen, welche die Behörden letzten Herbst verkündeten. Am 21. Oktober 2020 teilte die Task Force des Bundes mit, dass die Intensivbetten in der Schweiz bis Mitte November 2020 komplett belegt sein werden… Eine Warnung, die sich auch trotz des Abbaus der Intensivbetten nicht bewahrheitete

Das Gesundheitswesen ist bisher in der Schweiz auch seit Beginn der zweiten Welle nie an seine Grenzen gestossen – abgesehen von wenigen Spitälern, die tatsächlich vereinzelt komplett ausgelastet waren. Seit dem Sommer lag der Anteil der freien Betten trotz des Abbaus und der zunehmenden Anzahl an Corona-Patienten konstant zwischen 20 und 28 Prozent

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