Horst D. Deckert

Das Problem der Jugendgewalt mit extrinsischen Anreizen lösen

Vor ein paar Tagen habe ich über die völlig außer Kontrolle geratene Jugendgewalt in Seine-Saint-Denis geschrieben. Die Beschreibung der Situation fiel so drastisch aus, dass einige nicht glauben konnten, dass es dort tatsächlich so schlimm ist. Auch ich hoffe zwar, dass es nur halb so wild ist, würde aber nicht darauf wetten. Die Rezeptur aus Staatsversagen, kaputten Familien, allgemeiner Gewalt, Drogenkonsum und Islamismus in Verbindung mit der allgemeinen gesellschaftlichen Desintegration und den Möglichkeiten des Internets ist an Schärfe kaum zu überbieten.

Daher ist es wichtig, nicht nur die Probleme aufzuzeigen, sondern auch nach Lösungen zu suchen. Einige neigen in dieser Hinsicht zu Nulltoleranz, andere wollen Familienwerte stärken oder systematisch Personen abschieben, die nicht dorthin gehören. Diese Ansätze sind mit Sicherheit wichtig und sie werden bestimmt auch in Frankreich an einem Punkt umgesetzt werden, sobald die Problemherde weit genug in die Vorgärten der Mittelschicht eingedrungen sind. Doch kurzfristig hilft das kaum. Aus diesem Grund möchte ich hier umreissen, wie ich vorgehen würde, um quasi von hier auf jetzt eine Mentalitätsänderung zu erzwingen.

 

Warum werden Jugendliche nicht fürs brav sein bezahlt?

 

Wenn intrinsische Motivation nicht mehr funktioniert, oder über Gruppendynamik sogar in ihr Gegenteil verkehrt wird, dann hilft nur noch rohe Gewalt – oder extrinsische Motivation. Weniger verklausuliert ist es Geld, das man den Betroffenen geben kann, wenn sie sich in einer erwünschten Weise verhalten, oder auf bestimmte negative Handlungen verzichten.

Das funktioniert nicht immer, aber oft genug. Ansonsten gäbe es im Berufsleben keine Erfolgsboni, bei denen es sich für viele um einen normalen Teil der Vergütung handelt. Kinder und Jugendliche unterscheiden sich in ihrem Verhalten gegenüber Belohnungen kaum anders. Das zeigen Arbeiten von Roland Fryer zum Thema, der im Zusammenhang allerdings auch einige Besonderheiten feststellen konnte. Zum einen ist bei Minderjährigen der Zeithorizont etwas kürzer und sie brauchen auch zielgenauere Belohnungsmuster, damit extrinische Anreize ihre Wirkung zeigen. Beachtet man diese Bedinugen aber, dann funktioniert es durchaus.

Aus diesem Grund würde ich Jugendliche in Problemvierteln mit massiver Jugendgewalt ganz einfach dafür bezahlen, wenn sie nicht kriminell werden. Im genauen würde ich bei 12-jährigen beginnen, da laut Statistiken in diesem Alter bei vielen die schiefe Karriere beginnt. Der Grund liegt sehr wahrscheinlich im Testosteron, das mit Beginn der Pubertät in diesem Alter so richtig zu brodeln beginnt. Aus diesem Grund rutschen vor allem Jungen in Gewalt und Kriminalität ab, wobei es aus taktischer Sicht sehr viel Sinn macht, auch den Mädchen (eventuell für andere Ziele) Geld zu geben. Ansonsten könnten sie sich versucht sehen, über adverses Verhalten ebenso in das Programm zu gelangen.

 

Altersspanne, Bezahlmodus und Konsequenzen

 

 

In welchem Alter sollten Jugendliche bezahlt werden?

 

Laut Grafik wird der Höhepunkt krimineller Jugendenergie im Alter von 18 Jahren erreicht, wobei es danach wieder deutlich runtergeht. Das liegt vermutlich an einer Mischung aus Erwachsen werden – und damit Verantwortung tragen – und am erreichen des Plateus für Testosteron. Daraus ergibt sich die Altersspanne für ein Bezahlprogramm fürs brav sein, die vom 12. Geburtstag bis zum 18. reicht. Es wären damit also sechs Jahre, in denen ein Jugendlicher Zahlungen aus dem Programm erhält.

 

Wie viel sollte wann bezahlt werden?

 

Die größte Wirkung würde das Geld vermutlich erzielen, wenn es progressiv ausgezahlt wird. Das heißt, zu Beginn gibt es wenig Geld und je länger jemand sich nichts zu Schulden kommen lässt, desto mehr Geld gibt es. Das sorgt dafür, dass der direkte finanzielle Schaden für die Jugendlichen umso größer wird, je älter und damit je anfälliger sie sind.

Zum 12. Geburtstag genügt als erste Zahlung 5 Euro. Es ist mehr ein kleines Taschengeld für die noch Kinder, von dem sie sich ein paar Süßigkeiten kaufen können. Dieses Taschengeld wird ab da jede Woche fließen und zwar für drei Monate. Pro Monat bekommen sie damit circa 20 Euro, was in der Höhe dem entspricht, was von der deutschen Regierung empfohlen wird.

Nach Ablauf dieser drei Monate bekommen die Kinder die nachfolgenden drei Monate 6 Euro pro Woche. Dieser Rhythmus wird dann beibehalten, bis der Jugendliche das Erwachsenenalter erreicht. Das bedeutet, dass es zum 13. Geburtstag 9 Euro gibt, zum 15. Geburtstag – wenn es so richtig kritisch zu werden beginnt – gibt es 17 Euro und als Abschluss zum 18. Geburtstag werden als letzte Zahlung 29 Euro geleistet.

Alles in allem erhält jeder Jugendliche über den Gesamtzeitraum 4.868 Euro. Im Schnitt sind es ungefähr 67 Euro pro Monat oder circa 15 Euro pro Woche. Nimmt man eine Schule mit 1.000 Schülern, dann kostet das Programm für alle ungefähr 800.00 Euro. Das ist viel Gel. Doch langfristig bekommt man auch etwas dafür, das in Gegenden mit einem großen Gewaltproblem unter Jugendlichen sehr wahrscheinlich mehr wert ist als die geleisteten Direktzahlungen – und auch mehr wert, als neue Bücher oder Sozialarbeiter für die Schule.

 

Was, wenn ein Jugendlicher trotzdem kriminell wird?

 

Wichtig zu beachten ist, dass nur jene Jugendlichen etwas bekommen, die sich nichts zu Schaden kommen lassen. Hier dürfen gerne auch kleine Sachen Beachtung finden, wie etwa Schmierereien oder wenn Müll auf den Boden geworfen wird.

Im Gegenzug sollten Jugendliche eine zweite und dritte Chance bekommen. Denn immerhin handelt es sich um Pubertierende, die nicht immer Herr ihrer Hormone sind. Wer sich das erste Mal etwas zu Schulden kommen lässt, dessen Zahlungen werden für drei Monate halbiert. Wer sich das zweite Mal bei etwas erwischen lässt, dessen Zahlungen werden für sechs Monate geviertelt.

Wer jedoch das dritte Mal kriminell wird, der fällt aus dem Programm heraus und bekommt keine Zahlungen mehr. In Anbetracht des klaren und überaus vorteilhaften Kalküls hinter den Zahlungen, lässt sich bei diesen Jugendlichen davon ausgehen, dass sie andere Probleme haben. Das beste ist, wenn sie von den Behörden gesondert zur Brust genommen werden.

 

Wer zahlt das Geld aus?

 

Die Auszahlung der wöchentlichen Zahlungen erfolgt am besten durch die Polizei. Auf diese Weise lassen sich mehrere Probleme lösen, von denen das erste wohl der drohende Diebstahl wäre, wenn das Geld beispielsweise von einer ätherischen Kunstlehrerin verteilt würde. Ebenso relevant am Zahltag sind Erpressungen von Schülern durch andere Schüler. Mit der anwesenden Polzei dürfte dem zum aller größten Teil vorgebeugt werden.

Die Zahlungen durch die Polizei haben auch auf anderer Ebene eine positive psychologische Wirkung. Denn wenn die Kinder die Polizei regelmäßig sehen und das in einem sehr positiven Kontext, da sie von ihnen Geld bekommen, dann wächst daraus sehr wahrscheinlich eine mindestens neutrale oder ambivalente Attitüde gegenüber den Ordnungskräften. Sie werden nicht mehr nur als Feind wahrgenommen, sondern auch als diejenigen, die ihnen das triste Leben etwas bunter machen.

Nicht zuletzt geht die Anonymität verloren, wenn die im Viertel lebenden Kinder und Jugendlichen die für sie zuständigen Polizisten persönlich kennenlernen. Das stärkt auf der untersten gesellschaftlichen Ebene die Kohäsion und könnte gar zu einem Vertrauensverhältnis führen, in dem die Jugendlichen sich eher trauen, kriminelle oder gar terroristische Aktivitäten zu melden.

 

Was kostet der Spaß für Seine-Saint-Denis?

 

In meinem Text über die ausufernde Gewalt in Seine-Saint-Denis schätze das Gesamtpotenzial in der fraglichen Altersspanne auf circa eine halbe Million. Zuzüglich der Mädchen kommt damit eine Million Kinder und Jugendlicher zusammen, die jeden Monat durchschnittlich 67 Euro bekommen.

Das Gesamtbudget des Programms müsste pro Jahr damit bei gut 800 Millionen Euro liegen, einem ziemlichen Brocken. Wie oben erwähnt würde es sich aber sehr wahrscheinlich dennoch lohnen, da man dafür auch etwas bekommt. Erwartbar ist, dass es zu deutlich weniger Zerstörungen öffentlichen Eigentums kommt, wesentlich weniger Polizei eingesetzt werden muss, die Gefängnisse und Jugendämter nicht mehr überlastet sind und die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die Betroffenen langfristig von Sozialhilfe leben müssen, weil ihnen zu viele soziale Techniken fehlen.

Ganz nebenbei würde das Geld auch zu einem verstärkten Konsum führen, was der Gegend in den Bereichen Süßwaren, Smartphones und Mode sicherlich einen kleinen Aufschwung bescheren würde.

Alles in allem halte ich diese Form der extrinsischen Gewalt- und Kriminalitätsbekämpfung für so vielversprechend, dass ich mich frage, warum es noch niemand ausprobiert hat. Sollten unerwartet dennoch alle Stricke reißen und sogar Geldanreize nicht mehr helfen, dann ist klar, dass andere Methoden zum Einsatz kommen müssen. In diesem Fall hätten die Behörden wenigstens einen klaren Indikator für den Preis, um den es bei der Befriedung der kaputter Regionen geht.

Quelle Titelbild, Grafik

Ähnliche Nachrichten