Horst D. Deckert

Dennis Prager über den „guten Deutschen“, der bei der Abholung seiner jüdischen Nachbarn lieber weg sah

Manche müssen erst die heiße Herdplatte anfassen, damit sie wissen, dass es keine gute Idee ist. Der Radiomoderator und Betreiber von PragerU Dennis Prager gehört sicherlich nicht dazu. Dennoch musste auch er sich eingestehen, lange Zeit einer kritischen Fehlannahme aufgesessen zu sein: Die Anfälligkeit für Totalitarismus ist keineswegs eine deutsche Schwäche, die zu Hitler führen musste. Wir alle haben es in uns.

 

Townhall: Heute verstehe ich den „guten Deutschen“ besser

 

Meine Zuhörer und Leser werden bestätigen können, dass ich mein ganzes Leben mit der Suche verbracht habe, die menschliche Natur und das menschliche Verhalten besser zu verstehen. In diesem Zusammenhang muss ich leider berichten, dass ich in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2020, mehr gelernt habe als in jedem vergleichbaren Zeitraum davor.

Eine der größten Offenbarungen betrifft eine Frage, die mich schon immer geplagt hat: Wie erklärt man den „guten Deutschen“ als der Bezeichnung für den durchschnittlichen Deutschen, der vermutlich völlig anständig war und in keinster Weise den Juden schadete – der allerdings auch nichts unternahm, um ihnen zu helfen, und sich nicht gegen das Nazi-Regime wehrte? Die gleiche Frage könnte man über den durchschnittlichen Franzosen während der Vichy-Ära stellen, den durchschnittlichen Russen unter Lenin, Stalin, Breschnew und ihren Nachfolgern und Millionen weiteren, die in ihrer Heimat nichts unternahmen, um sich und ihre Mitbürger vor der jeweiligen Diktatur zu beschützen.

Die letzten Jahre haben mich gelehrt, dass ich besser nicht zu vorschnell über die stillen Deutschen, Russen usw. urteilen sollte. Natürlich verurteile ich immer noch all jene Deutschen, die den Nazis geholfen haben, oder die sich an der Drangsalierung der Juden in irgendeiner Weise beteiligt haben. Doch die Deutschen, die einfach gar nichts getan haben? Wir sollten besser aufpassen.

Was mein Denken in Bezug auf die Untätigen verändert hat, ist die Beobachtung dessen, was in Amerika (und anderswo) derzeit geschieht.

Die Leichtigkeit, mit der Millionen Amerikanern im Zusammenhang mit Covid-19 irrationale, verfassungswidrige und beispiellose polizeistaatliche Einschränkungen ihrer Freiheiten, einschließlich der Freiheit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, akzeptiert haben, war ziemlich ernüchternd, um es freundlich auszudrücken.

Dasselbe gilt für die Akzeptanz der zügellosen Zensur auf Twitter und allen anderen großen Sozialen Medienplattformen. Selbst Ärzten und anderen Wissenschaftlern wird die Meinungsfreiheit genommen, wenn sie sich zum Beispiel auf wissenschaftliche Untersuchungen berufend für Hydroxychloroquin plus Zink zur Behandlung von Covid-19 ausspreche. Der Arzt Vladimir Zelenko wurde tatsächlich von Twitter verbannt, weil er genau das getan hat, und obwohl er damit Hunderten von Covid-19-Patienten vor Leid und/oder dem Tod bewahrt hat.

Eine ganze Hälfte Amerikas – es ist die nicht-linke – hat an quasi jeder Universität, in jedem Filmstudio und in jedem Großunternehmen Angst, seine Meinung zu sagen. Ja, diese Angst herrscht tatsächlich an praktisch allen Arbeitsplätzen. Dozenten müssen sich vor dem öffentlichen Pranger fürchten, wenn sie etwas sagen, das die politische Linke nicht mag und den Rauswurf, falls sie nicht über eine Festanstellung verfügen. Menschen werden sozial geächtet, öffentlich angeprangert und/oder entlassen, nur weil sie sich nicht mit Black Lives Matter sympathisieren, einer Gruppe, die in nie dagewesener Weise Amerika und die Weißen hasst. Nur wenige Amerikaner wehren sich öffentlich dagegen. Im Gegenteil, wenn BLM-Demonstranten verlangen, dass sich die Leute als Sympathiebekundung demütig hinknien sollen, dann machen das fast alle mit.

Wenn das so ist, wer sind wir dann, dass wir abschätzig über den durchschnittlichen Deutschen urteilen, der im Angesicht der Gestapo den Hitlergruß machte, oder über den durchschnittlichen Russen, der für die NKWD (ein Vorläufer des KGB) Begeisterung für Stalin heuchelte? Die USA werden von der politischen Linken mit ihrer „Cancel Culture“ bedroht, aber sie müssen sich eindeutig nicht vor der Geheimpolizei oder Umerziehungslagern fürchten. (Zumindest noch nicht – ich habe wenig Zweifel daran, dass die Linke liebend gerne sämtlichen dezidierten Konservativen in Umerziehungslager schicken würde.)

Doch ich kann heute den durchschnittlichen Deutschen, der unter dem Nationalsozialismus lebte, und den durchschnittlichen Russen, der unter dem Kommunismus lebte, vor allem aus einem anderen Grund verstehen: Die mediale Macht zur Gehirnwäsche.

Als Student habe ich am Russlandinstitut der Columbia Universität den Totalitarismus studiert und dabei stets angenommen, dass nur Diktaturen in der Lage sind, den Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Ich habe mich geirrt. Heute weiß ich, dass eine Gehirnwäsche der Massen auch in einer nominell freien Gesellschaft stattfinden kann. Der unaufhörliche linke Trommelschlag durch New York Times, Washington Post, Los Angeles Times und fast allen anderen großen Zeitungen inklusive CNN, ABC, CBS, NBC, PBS, NPR, die Gesamtheit von Hollywood und fast jede Schule vom Kindergarten bis zum Promotionsstudiengang, hat mindestens die Hälfte Amerikas genauso effektiv einer Gehirnwäsche unterzogen, wie es die deutsche, sowjetische und chinesische kommunistische Presse gemacht hat (und im letzteren Fall immer noch tut). Als ein Beispiel von vielen sei das „1619 Projekt“ genannt, einem von der New York Times ersonnenen Lügenkonstrukt, das heute an tausenden Schulen in den USA gelehrt wird.

Vor den Alltagsbeschränkungen bin ich fast in jeder Woche einmal geflogen. Daher traf ich regelmäßig von überall mit Personen zusammen, die mich erkannten und ansprachen. Immer mehr fiel mir dabei auf, dass sie sich erst umschauten, um sicherzustellen, dass niemand in Hörweite war, und sie sagten mir dann im Flüsterton: „Ich unterstütze Trump“ oder: „Ich bin ein Konservativer“. Das letzte Mal, dass sich Leute umschauten, bevor sie mir etwas zuflüsterten, war bei meinen Besuchen in der Sowjetunion.

Aktuell machen mehrere virale Videos die Runde in den Sozialen Medien, auf denen zu sehen ist, wie die Polizei bei Familien einbricht und diese verhaftet, weil sie sich mit einer zu großen Gruppe versammelten, um Weihnachten oder das neue Jahr zu feiern. Verpfiffen werden sie von Nachbarn, während die Feiernden ordnungsgemäß verhaftet werden. In einem Fall in Quebec lobte die dortige Regierung den Denunzianten und forderte auch andere zu mehr öffentlicher „Zusammenarbeit“ auf.

Auch in einigen von Demokraten geführten Bundesstaaten und Städten der USA wird zum Denunziantentum aufgerufen (Los Angeles Bürgermeister Eric Garcetti meinte im März: „Denunzianten werden belohnt“), und auch die linksgerichtete Regierung von Australien hat schon das Denunziantentum gelobt und gefördert. Viele Amerikaner, Kanadier und Australier sind offensichtlich gerne bereit ihre Nachbarn zu verpfeifen, wenn diese sich weigern, ihr Leben auf die reine Anwesenheit zu reduzieren.

All das findet statt gänzlich ohne Konzentrationslager, ohne Gestapo, ohne KGB und ohne maoistische Umerziehungslager.

Genau deshalb fällt es mir nicht mehr so leicht, über den Durchschnittsdeutschen so zu urteilen, wie ich es früher getan habe. Apathie im Angesicht der Tyrannei ist keine deutsche oder russische Eigenschaft. Ich hätte nur nie erwartet, dass es in den USA passieren könnte.

Quelle Titelbild

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