Wer noch einen Beweis benötigt, dass wir an einer ausgewachsenen Psychose leiden, der sollte sich die Tabelle unten ansehen. Ich habe wieder einmal die Schatzkiste von Google Trends geöffnet und mir angesehen, wessen Politikername um wie viel öfters gesucht wird als der vor über 70 Jahren wenig ruhmreich mit einem Selbstmord aus dem Leben geschiedene Politiker „Adolf Hitler“. Wenige können ihn schlagen. Er beherrscht weiterhin unser politische Bewusstsein, als hätte er gestern erst die Reichstagsbrandverordnung unterschrieben. Das ist ein Problem, ein großes sogar. Der erste Schritt zur Überwindung besteht darin, überhaupt erst sichtbar zu machen, wie sehr die Figur über unsere Köpfe herrscht. Die Zahl zum jeweiligen Politikernamen repräsentiert den Faktor, um wie viel öfters nach Hitler gesucht wird.
Politische Zeitgenossen von Hitler
Deutschland | USA | |
Churchill | 6 | 3 |
Stalin | 8 | 5 |
Mussolini | 27 | 30 |
Eisenhower | 30 | 4 |
Roosevelt | 40 | 3 |
Keiner von Hitlers Gegenspielern kann mit ihm mithalten, nicht einmal in den USA. Mussolini, der mutmaßlich belesenere Kopf unter den beiden und Erfinder des Faschismus im engeren Sinn, spielt in beiden Ländern sogar quasi gar keine Rolle im Vergleich zum Mann aus Braunau. Es zeugt von einem Mangel an Bewusstsein über die tieferen ideologischen Umstände der Ära.
Wichtige Politiker vor Hitler
Deutschland | USA | |
Marx | 6 | 4 |
Bismarck | 8 | 28 |
Wilhelm II | 12 | 32 |
Benjamin Franklin | 25 | 5 |
George Washington | 28 | 2 |
Wenig überraschend steht in Deutschland Marx ganz vorne bei der Bewusstseinskonkurrenz gegen Hitler. Dessen ideologischer Gegenspieler damals kann ebenso noch halbwegs mithalten. Bismarck im Vergleich spielt im politischen Debattenkomplex der USA kaum eine Rolle, während Marx fast so allgegenwärtig ist wie sein realpolitische Erbe mit herrenrassistischem Einschlag. Ebenso leicht erstaunlich ist die größere Bedeutung von Hitler für die Amerikaner als zwei der bedeutendsten politischen Protagonisten in der US-Geschichte.
Wichtige Politiker nach Hitler
Deutschland | USA | |
Helmut Kohl | 12 | 36 |
Honecker | 25 | 45 |
George W Bush | 28 | 2 |
Papst Benedikt | 28 | 40 |
Thatcher | 30 | 10 |
Gorbatschow | 35 | 35 |
Nach 16 Jahren Regierungszeit plus Einheit kommt Helmut Kohl nicht einmal auf ein Zehntel der Aufmerksamkeit seines 50 Jahre zuvor an die Macht gewählte Amtsvorgängers. Honecker, Thatcher – und im Angesicht seiner Rolle am erstaunlichsten – Gorbatschow ist hüben wie drüben auf Nimmerwiederkehr aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden. In den USA will es was heißen, dass George W. Bush weiterhin so aktuell ist. Es zeigt, wie weitreichend die Anschläge am 11. September 2001 und seine nachfolgende Reaktion waren. Dennoch lässt sich daran auch ablesen, dass der Zweite Weltkrieg die beiden nachfolgenden Zäsuren (Fall der Mauer & Krieg gegen den Terror) weiterhin deutlich überragt.
Heutige Politiker und Hitler
Deutschland | USA | |
Wladimir Putin | 3 | 3 |
Emmanuel Macron | 5 | 15 |
Boris Johnson | 9 | 10 |
Papst Franziskus | 10 | 3 |
Justin Trudeau | 30 | 10 |
Berndjamin Netanjahu | 35 | 10 |
Xi Jinping | 40 | 14 |
In Anbetracht seiner medialen Verteufelung muss mindestens das Abschneiden von Wladimir Putin gegen Hitler als enttäuschend bezeichnet werden. Dennoch hat er in beiden Ländern einen festen Platz im Bewusstsein der suchmaschinenbedienenden Bevölkerung. Keine Rolle spielen der Nebenteufel Netanjahu und Präsident Xi, wobei die Werbetrommel für den neuen Kalten Krieg in den USA deutlich lauter gerührt. Geehrt fühlen kann sich Papst Franziskus, der in den sich zusehends säkularisierenden USA eine größere Bedeutung genießt, als man in einem protestantisch geprägten Land erwarten würde.
Politische Figuren mindestens so wichtig wie Hitler
Deutschland | USA | |
Donald Trump | 1/5 | 1/15 |
Jesus Christus | 1 | 1/4 |
Angela Merkel | 1 | 8 |
Obama | 4 | 1/2 |
Queen Elizabeth | 4 | 1 |
John F Kennedy | 5 | 1 |
Man mag es kaum glauben, aber es gibt tatsächlich einige (proto-)politische Figuren, die Hitlers Bedeutung im kollektiven Bewusstsein überragen. Ein Bruch ist gleichbedeutend mit einer größeren Suchnachfrage nach dieser Person als Hitler mit der Zahl im Nenner als dem Faktor, um wie viel Bedeutender derjenige ist.
In beiden Ländern ganz vorne steht selbstverständlich Hitlers medial erkorener Nachfolger Donald Trump. Es unterstreicht seine überragende Bedeutung und erklärt, warum das politmediale Establishment so sehr gegen ihn agitiert. Er ist gefährlich – zwar nicht zwingend im Sinne des Hitlerismus, aber durchaus im Hinblick auf dessen Wirkung auf die professionelle politische Arena.
Beruhigend wiederum ist, dass Jesus in beiden Ländern und die Queen zumindest in den USA eine zu Hitler ebenbürtige Bedeutung genießen. Beide sind politisch deutlich dezenter und sie zeigen auch – man kann es testen – dass unpolitische Personen und des öffentlichen Lebens und generell unpolitisches für die Menschen weiterhin wesentlich wichtiger sind als Hitler oder die Politik.
Es bleibt dahingestellt, ob Merkel und Obama nach ihrem endgültigen Abtritt aus der Öffentlichkeit und dem Leben eine zeitlose Stellung einnehmen werden wie John F Kennedy. Dessen im Vergleich zu Hitler relative Bedeutung selbst in Deutschland lässt sich vermutlich auf die vielen Verschwörungstheorien um ihn herum zurückführen. Jenen über Merkel und Obama fehlt momentan zumindest noch der individuelle Zuschnitt für eine längere Bedeutung im allgemeinen Bewusstsein.
In Anbetracht der Tatsache, dass Hitler seit mehr als einem halben Jahrhundert tot ist und kaum noch ein Zeitgenosse lebt, ist aber letztlich selbst Trumps 15-fache Bedeutung noch zu gering. Als Normal könnte man den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft erklären, wenn alle sechs Namen um diesen Faktor beutender wären. So aber bleibt einem eigentlich nicht mehr, als den Kopf zu schütteln über die sich in den Zahlen offenbarende Obsession mit der historischen Figur Adolf Hitler.
Jesus & Mohammed
Selbstverständlich habe ich auch Jesus Kollegen Mohammed abgefragt. Dessen Bedeutung hinkt zur Zeit noch etwas zurück, doch er holt auf. Zu dessen weiteren Siegeszug in unserem Bewusstsein tragen nicht nur seine vielen sprengbereiten Fans bei, auch Google tut sein möglichstes, um uns Mohammed und im Direktvergleich dazu Jesus im korrekten Licht zu präsentieren. Der eine ist nur ein „Thema“ (das mit dem vollen Namen ausgeschrieben selbst als Thema aus der Vorschlagliste verschwindet), während der andere den Titel „Religionsstifter“ trägt. Es sind eben immer die Details, auf die es ankommt.
Quelle Titelbild, Bildschirmfoto