Horst D. Deckert

„Der Putinator“ oder: So langsam wird’s mir mulmig…

Konfliktherd Ostukraine (Foto:Imago)

Bei Edeka ist wieder ständig das Milchpulver ausverkauft – aber diesmal werden keine lockdowngeschädigten Niederländer dahinterstecken. In meiner Region herrscht nämlich reger Grenzverkehr, meist sind es jedoch die Deutschen, welche die Grenze überqueren, um sich in Venlo mit Kaffee, Rijstaart und Käse einzudecken und ihre Beute dann per Auto und Zug fortzuschleppen. Manchmal sind auch weniger legale Waren dabei, aber im Allgemeinen geschieht die „deutsche Invasion“ im gegenseitigen Interesse. Ob die ersten Niederrheiner schon Sorge haben, dass Putin morgen mit dem Panzer auch in Krefeld anlandet? Jedenfalls ist wieder das Milchpulver knapp und keiner weiß warum. Keine Ahnung, was die Bauern hier schon für den Notfall einbunkern. Bei Gelegenheit werde ich noch ein paar Dosen Pfirsiche einlagern, die werden in der Apokalypse immer gebraucht. Denn langsam wird mir mulmig.

Milchpulver-Knappheit mag eine Banalität sein angesichts der sich ausweitenden Krise, aber für mich ist sie wie ein böses Omen, das üble politische Wendungen ankündigt. Als Jude achtet man auch auf solche mikroskopisch kleinen Erschütterungen in der nächsten Umgebung, um Gefahrenlagen rechtzeitig zu erkennen. Und im Moment herrscht in meinem Inneren zumindest Alarmstufe Rot, mitsamt alter Mini-Greta-Atomkriegsängste. Da hast du zwei Jahre lang eine Maske getragen, um dich vor einem dämlichen Virus zu schützen, und plötzlich macht es „Kabumm!“ – und das war’s.

Gerade, weil ich niemals mit einem Einmarsch in die Ukraine gerechnet hätte. Um ehrlich zu sein, habe ich davon gestern morgen erst gar nichts mitbekommen, weil ich meist erst wach werde, wenn ich am Schreibtisch sitze. Als ein Kollege während unserer Videokonferenz von Putins Militäraktion erzählte, dachte ich zunächst, er wolle sich einen Scherz erlauben. „Das kann der doch nicht wirklich gemacht haben?”, war mein erster Gedanke. Zwar hätte ich bis zu diesem Zeitpunkt dem russischen Präsidenten nicht gerade einen Gebrauchtwagen abgekauft, hielt ihn aber im Grunde für einen rational agierenden Menschen. Für ein wenig Säbelrasseln habe ich sogar Verständnis aufgebracht, denn selbst meine mittlerweile verstorbene Oma warnte schon vor Jahren vor der NATO-Osterweiterung: „Kein Wunder, dass die Russen sich bedrängt fühlen!

(Screenshot:Twitter)

Schließlich hatten diese vor rund dreißig Jahren der deutschen Wiedervereinigung nur zugestimmt, weil sie die Zusage für eine neutrale Pufferzone erhalten hatten. Darüber mag schon damals mancher osteuropäische Staat erbost gewesen sein: Für das deutsche Glück nahm man ihnen das Selbstbestimmungsrecht. Und das in einer Zeit, als der Warschauer Pakt zur Erleichterung der meisten zusammenbrach. Was haben wir uns gefreut! Der kalte Krieg ist zu Ende und atomar pulverisiert werden wir auch nicht mehr! Der Bürgerkrieg im zerbrechenden Jugoslawien machte einem jedoch rasch klar, wie viel auch in Europa nach Jahrzehnten kalten Krieges noch im Argen lag: Da war unter Zwang einiges zusammengeschweißt worden, was gar nicht zusammengeschweißt werden wollte. Und plötzlich beteiligte sich auch Deutschland wieder an einem Krieg. Was Helmut Kohl noch ein paar Jahre vorher als verfassungswidrig verworfen hatte, wurde nun ausgerechnet vom grünen Minister Joschka Fischer salonfähig gemacht.

Im Grunde macht einem die derzeitige Lage deutlich, wie begrenzt die Möglichkeiten auf eigenständiges außenpolitisches Handeln sind, wenn man als Staat „Anhängsel“ einer Supermacht ist. Auch wenn ich weit davon entfernt bin, mich den Ausführungen der „taz“ zu phallusartigen Geschütztürmen anzuschließen, fällt mir hier ein klassischer Vergleich ein: Das „Platzhirschgehabe”. Bei Putin und seinen riesigen Tischen oder als einsamer Wolf im Saal vor meilenweit entfernten Journalisten fällt es leicht, es zu erkennen. Bei Joe Biden findet es ein wenig unauffälliger statt, man muss schon in die amerikanische Presse schauen: Innenpolitisch angeschlagen, wird er derzeit massiv von der Opposition provoziert; Senator Ted Cruz bezeichnete ihn als „nutzlosen Präsidenten”, und Fox News spottete, Putin könnte seine Angst riechen. Da die USA gerne ihr Fracking-Gas verkaufen wollen, solle er zudem mehr Druck auf die Deutschen ausüben, Nord Stream 2 auszusetzen. Auch die USA sind bekanntlich keine Unschuldslämmchen in der internationalen Politik – aber es ist dennoch beängstigend, wenn dabei nicht nur Wirtschaftsinteressen, sondern auch das Ego der jeweiligen Leitwölfe eine so große Rolle spielt.

De Bevölkerung zahlt den höchsten Preis

Dem haben Staaten, die auf das Bündnis mit den „Großen“ angewiesen sind, nur wenig entgegenzusetzen. Egal ob die Ukraine auch eigene Fehler gemacht hat: Das Land nun mit Zerstörung zu überziehen, lässt am Ende nur die Bevölkerung den höchsten Preis dafür zahlen. Uns als Deutsche trifft es nicht ganz so grausam, aber wir haben unsererseits mit einer plappernden Außenministerin und einem blassen Kanzler keinen guten Stand, zumindest unsere energiepolitischen Interessen gegen die USA durchzusetzen – für die mit der sogenannten „Bündnistreue“ offenbar auch eine Abnahmeverpflichtung für amerikanisches Flüssiggas einhergehen soll. Dass Nord Stream 2 nun erst einmal erledigt ist, dürfte den US-Präsidenten jedenfalls nicht unglücklich machen.

Wie üblich, gibt es keine klare Antwort darauf, wem in diesem Konflikt die Rolle des Oberschurken zukommt, auch wenn Putin durch seinen Einmarsch in die Ukraine derzeit klar die Nase vorn hat. Das für uns Bedrohliche liegt wahrscheinlich daran, dass der Krieg so nah vor unsere Haustür tobt – andere (Stellvertreter)kriege fanden schließlich immer schön weit weg statt. Natürlich hoffen wir nun alle, das der Kelch einer militärischen Ausweitung bis zu uns an Deutschland vorüber geht. Derzeit frage ich mich oft, wie es wohl für die Menschen in den Dreißigern gewesen ist, auf den beginnenden Krieg in Europa zu schauen. Es ist zwar relativ leicht gewesen, den Aggressor auszumachen – aber viele Familien, die damals noch an den ersten Weltkrieg gedacht haben, werden sich sicherlich gefragt haben, warum ihre Söhne nun schon wieder ihr Leben für „das Richtige“ opfern sollten. Heute stellt sich eine ähnliche Frage: Unser Land hat sich ohne Not in eine Energiekrise manövriert; gäbe es diese nicht, ließe sich die moralische Frage nach einer Beteiligung an Sanktionen sicherlich leichter beantworten. Das Wohl unserer eigenen Bevölkerung zu schützen, die durch Inflation, Corona und hohe Energiekosten gebeutelt ist, scheint mir kein illegitimes Ziel zu sein – denn was darf Moral kosten?

Unsere kaputtgesparte Bundeswehr wird ohnehin nichts ausrichten können. Wenn wir Glück haben, lacht sich Putin über sie höchstens ins Koma. Dann kann ich die Dosenpfirsiche noch ein bisschen aufheben…

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