
Olaf Scholz, heute früh von einer Rot-Grün-Ampel (mit vernachlässigbarer Gelbphase) zum neunten Kanzler der Bundesrepublik gekürt, brach mit Konventionen nicht nur, als er die obligate Frage der Bundestagspräsidentin nach Annahme der Wahl weder im Stehen noch am Mikrofon bejahte – sondern ganz jovial im Sitzen, von seinem Abgeordnetenplatz aus. Da war viel Glucksen und Grinsen hinter der Maske, inmitten eines Meers von Blumen, wie man es sonst nur bei Massentrauerfeiern antrifft. Und: Scholz sparte auch nicht mit Eigenlob und Vorschusslorbeeren: Ganz unbescheiden ordnet er seine Kanzlerschaft, ganz schonmal historisch ein: Er selbst sieht sich bereits „in einer Reihe mit Brandt, Schmidt und Schröder”. Ob er damit – jenseits seiner korrekten chronologischen Aufzählung der bisherigen SPD-Kanzler – Recht behält, wird sich zeigen, dürfte mit Blick auf die Umstände seiner Kanzlergenese aber fraglich bleiben.
Denn Olaf Scholz ist definitiv der Kanzler, der stärker als irgendeiner seiner Vorgänger von Fremdinteressen eingehegt und eingeengt wird – und zwar horizontal wie vertikal, von Koalitionspartnern wie der eigenen Basis gleichermaßen, bis hin zur Fremdbestimmung: Weder was die Prärogative des Regierungschefs bei Ämterbesetzungen (wie die vom Parteipöbel offensichtlich gegen seinen Willen durchgesetzte Berufung Karl Lauterbachs zeigte) noch die vom Grundgesetz vorgesehene Richtlinienkompetenz des Kanzlers betrifft, hat dieser Regierungschef die Hosen an (und ob er überhaupt etwas „in den Hosen” hat, „cojones-technisch“, das muss sich erst noch beweisen!). In den USA würde man von einer klassischen Lame Duck sprechen; und nicht viel mehr ist Olaf Scholz – ein Exekutor vor allem grüner Agendainteressen in extrem eng vorgezeichneten Pfaden. Führungsstärke, Charisma und Stamina können da, sofern bei ihm überhaupt vorhanden, unmöglich zur Entfaltung kommen.
Weder Handlungsspielraum noch Format
Der heutige Rückgriff des frischgewählten Bundeskanzlers gegenüber der „Welt“ auf die drei historischen sozialdemokratischen Amtsvorgänger muten da doch eher wehmütig an – denn weder deren Handlungsspielraum noch Format wird Scholz je erreichen können; soviel steht fest – da kann er noch so sehr in seinem Amt wachsen (respektive mit ihm verwachsen). Mit Willy Brandt, sagte er, sei der große Aufbruch nach Jahren und Jahrzehnten CDU-Regierung verbunden, Schmidt stehe für pragmatisches Regieren mit einer klaren Vorstellung dessen, was man wolle, und mit Gerhard Schröder habe er „ganz konkret in der Politik zusammengearbeitet, zum Beispiel als Generalsekretär.” Vor allem in Schröders Amtszeit habe er viel Erfahrung gewonnen, was die der Frage angehe „Wie setzt man Dinge durch, die notwendig sind?”.
Was hier gant markig klingt – vor allem im Kontext von Scholz‘ unlängst getätigter Äußerung, es werde für ihn keine „roten Linien” geben – ist wohl eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Denn dies ist definitiv die erste Regierung, die eigentlich überhaupt keinen Kanzler mehr braucht – weil die wesentlichen Entscheidungen sowieso von Aktivisten, Lobbyisten und Dogmatikern in den Schlüsselministerien oder den roten Parteigremien betrieben werden. Das beste am Bundeskanzler Scholz ist das Ausscheiden seiner Vorgängerin aus diesem Amt.