Horst D. Deckert

Deutsch-russische Beziehungen im Zeitraffer

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt…” (Symbolbild:Imago)

So schlecht, wie das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland derzeit ist, war es zuletzt 1941 beim Überfall Hitlerdeutschlands auf Sowjet-Russland. Bundeskanzler Scholz warf am 8. Mai Putin Geschichtsfälschung vor, weil er behauptet, Russland wolle die Ukraine von „Faschisten” befreien, die es wohl in jedem Land gibt – auch in Kiew und Moskau. Aber es ist einer der wenigen Punkte, bei denen Scholz recht hat: Putins Truppen sind nicht wegen ein paar Tausend Nazis in die Ukraine einmarschiert, genauso wenig wie die Alliierten Hitlerdeutschland von Nazis befreien wollten. Es geht und ging stets um mehr – was an dieser Stelle jedoch nicht vertieft werden soll. Mit diesem Artikel soll die jüngere deutsch-russische Geschichte der letzten 100 Jahre in Erinnerung gerufen werden (und es müsste eigentlich eigentlich eine positive Erinnerung sein).

Es war vor ziemlich genau 100 Jahren, als sich am 16. April im norditalienischen Rapallo die beiden Verlierer des Ersten Weltkrieges, Deutsche und Russen, trafen, während in Genua eine Wirtschaftskonferenz der Siegermächte stattfand. In Genua ging es um Reparationszahlungen des Deutschen Reiches im Rahmen des Versailler Vertrages, dem der Friede von Brest-Littowsk vorausging. Und da trafen sich nur 25 Kilometer entfernt eine Handvoll „Verlierer“ und vereinbarten in Rapallo, gegenseitig auf Reparationszahlungen zu verzichten; außerdem ging es um die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen einer Meistbegünstigungsklausel und einiges mehr (hier geht es zum damaligen Vertragstext). Dieses war „der erste Streich“ einer gedeihlichen Verständigung.

Einst eine enge, auch militärische Kooperation

Nur vier Jahre später am 24. April 1926 gab es dann sogar einen Freundschaftsvertrag, der für beide Seiten vorteilhaft war. Deutschland war durch den Versailler Vertrag geknechtet, obwohl es nicht der Alleinverursacher des Ersten Weltkrieges war. Diesem Vertrag ging 1925 ein Handelsvertrag voraus. Deutsche Firmen bauten beispielsweise riesige Bagger für Sowjetrussland, das uns im Gegenzug Rohstoffe lieferte. Mein Vater fuhr in meinem Geburtsort Ringsheim im Erzbergwerk einen „Russenbagger”, in dessen Schaufel schon damals ein Auto Platz gehabt hätte.

Auch auf militärischem Gebiet gab es – vor Hitler – eine Kooperation. Das Deutsche Reich durfte gemäß dem Versailler Diktat kein richtiges Militär haben, hatte aber gute Piloten. Russland hatte gute Flugzeugbauer, aber keine richtigen Flieger. So kam es, dass deutsche Piloten in Russland auf dortigen Flugzeugen voneinander lernten. Hitler war noch nicht so gefährlich, dass dies zum damaligen Zeitpunkt ein Problem gewesen wäre. Dies war „der dritte Streich“ zwischen den beiden Völkern in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs.

Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 war dann der Gau. Es war ein Vertrag zu Lasten Dritter – Polens; hier der Vertragstext. Von Hitler war bereits aus „Mein Kampf“ bekannt, dass er „Lebensraum im Osten“ suchte; was in Stalins Kopf zu diesem Vertrag vorging, bleibt ein Rätsel. Historiker meinen, er wollte damit Zeit gewinnen, um den angekündigten Angriff auf Russland zu verzögern. Doch schon zwei Jahre später ging es Russland an den Kragen, nachdem Polen und die erst im Rapallo-Jahr 1922 gegründete Ukrainische SSR überrannt waren. 1939 warf sich übrigens die Ukraine per Volksabstimmung der UdSSR an den Hals ( mehr dazu: siehe hier).

Versuche, die Teilung zu verhindern

Die UdSSR war 1945 eine der vier Siegermächte, sie verlor aber im Zweiten Weltkrieg am meisten an Mensch und Material – mehr als Deutschland. Trotzdem gestand sie ihrem Besatzungsgebiet sehr früh Vereinigungsfreiheiten zu, etwa die Bildung von Gewerkschaften. Aber die Russen waren schon in der Nachkriegszeit „Schmuddelkinder“ und wurden von den Westmächten ins Abseits gestellt. Churchill soll gesagt haben: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet“. Er meinte damit Deutschlands.

Aus der Nachkriegsschwäche heraus versuchten die Russen die Teilung Deutschlands aufzuhalten, um die Integration des wirtschafts- und bevölkerungsstärksten Westteils ein neues transatlantisches Bündnis zu verhindern und damit die Gefahr einzudämmen, dass ganz Deutschland – im Westen wie im Osten – als Konfrontationslinie der Machtblöcke ein Instrument im Kalten Krieg würde: Vergebens. Als die drei westlichen Besatzungszonen zur BRD zusammengeschlossen wurden, erlaubten die Sowjets ein halbes Jahr später die Gründung der DDR. Und als dann die NATO gegründet wurde, schloss sich der Osten – ebenfalls ein halbes Jahr später – unter sowjetischem Zwang zum Warschauer Pakt zusammen.

1952 dann unternahm der Kreml dann mit seiner sogenannten Stalinnote einen letzten Versuch für eine gesamtdeutsche Republik: „Am 10. März 1952 übermittelte die UdSSR den Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA eine Note, in der sie die Initiative der DDR zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland unterstützte und die Vorbereitung eines gemeinsamen Entwurfs anregte, der an-schließend auf einer internationalen Konferenz vorzulegen war. Die März-Note richtete sich allerdings nur der Form nach an die westlichen Regierungen. Ihr eigentlicher Adressat war die deutsche, vor allem die westdeutsche Öffentlichkeit. Das kam zum einen darin zum Ausdruck, dass die Überlegungen von Anfang an zur sofortigen Publikation bestimmt waren: Von der diplomatischen Initiative versprach sich die sowjetische Seite ‚mobilisierende Wirkungen‘ und ‚mächtige Impulse‘ beim Ringen um das deutsche Volk”.

Aufgeschoben war nicht aufgehoben

So beurteilt diese wissenschaftliche Zusammenfassung die damalige Initiative recht abwertend – als ob es sich nicht um ein ehrenwertes Ziel gehandelt hätte: Otto Grothewohl, dem ersten DDR-Ministerpräsidenten, blieb vor 70 Jahren tatsächlich nichts anderes übrig, als am 14. März 1952 eine Regierungserklärung abzugeben, die eigentlich das Ende der DDR bedeutete. Doch die Offerte wurde von Adenauer abgelehnt, dem ersten BRD-Kanzler, der von den USA observiert wurde und seine politische Konkurrenz in Deutschland observieren ließ.

Doch aufgeschoben war nicht aufgehoben: 1989 war es dann soweit. Gorbatschow – Sohn einer ukrainischen Mutter – wollte das Gebilde DDR nicht gegen den Widerstand seiner Bevölkerung am Leben halten, und gab das Land zur Vereinigung frei. Am 12. September 1990 durften sich die zwei deutschen Staaten von den vier Siegermächten mit dem 2 plus 4”-Vertrag dank der Russen wieder vereinigen – was nicht auf allen Seiten Freude auslöste. Auf britischer Seite soll es geheißen haben, man habe Deutschland so gerne, „dass wir am liebsten zwei davon haben”. Auch der französische Präsident Francois Mitterand war äußerst kritisch. Doch elf Jahre später legte Putin mit seiner Rede im Bundestag vom 25. September 2001 nach und spielte Deutschland sogar den Ball zu, eine wichtige Rolle in einem Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok zu spielen. Stehenden Applaus gab es damals für ihn – aber das war es dann auch. Die USA hatten seine Rede zumindest nicht verhindern können.

Kulturelle Kompatibilitäten

So erfolglos Putin in Deutschland war, so erfolglos war er allerdings auch in der Ukraine. Er musste zuschauen, wie in der überwiegend russischsprachigen Ukraine ethnische Russen  mehr und mehr ausgebotet wurden, bis es 2014 zum Majdan-Knall kam. Mit dem hatten wir Deutschen nichts zu tun – aber die USA umso mehr. Es kam zum Bürgerkrieg in einzelnen Gebieten der Ostukraine – weshalb es unter der Moderation Deutschlands und Frankreichs dann am 12. Februar 2015 zu einem Abkommen Minsk II kam. Doch dieses wurde von der Ukraine torpediert – weil in ihm eben auch russische Interessen berücksichtigt waren. Dabei ist es ein Wesenselement von Übereinkommen, dass sie mindestens zweiseitiger Natur sind.

Fazit: Es wäre mehr als tragisch, würde das überwiegend positive Neben- und Miteinander von Deutschland und Russland wegen des jetzigen Ukrainekrieges nun sein völliges Ende finden. Es wäre tragisch, nicht nur weil geschichtliche enge Bande zwischen den russischen und deutschen Herrscherdynastien bestanden, sondern auch viele kulturelle Gemeinsamkeiten bestanden. Beide Völker brachten große Literaten und Komponisten hervor, die sich gegenseitig inspirierten. Am 1. Februar 1992 besuchte ich zum Abschluss einer Sibirienreise, die bis Wladiwostok ging, ein Konzert in St. Petersburg. Intoniert wurde dort neben Berlioz auch Schubert. Sogar während der deutschen Belagerung 1941/42 gönnte man sich dort solche Konzerte. Und bei uns standen und stehen russische Klassiker hoch im Kurs. Das war bis in die jüngste Vergangenheit so.

Minderwertigkeitskomplexe von Führern

Warum jedoch taten (und tun) wir uns mit der Kultur der Ukraine denn so schwer? Auch Wolodymyr Selenskyj war ein „Kulturschaffender”; er hat nicht nur ein militärisches Pokerface. Vor seiner Präsidentschaft gab er seinem Volk viel zu lachen und war sehr beliebt (siehe etwa diese sechs Minuten, treffender: „Sex-Minuten”). Die Frage sei an dieser Stelle erlaubt, ob er mit Filmchen und seichter Comedy dieser Art auch nur annähernd so viele Steuern in die ukrainische Staatskasse brachte, wie er in seiner Präsidentschaft aus ihr herausholte: Nach gerade einmal drei Jahren Amtszeit verfügt Selenskyj über ein stolzes Vermögen, auch wenn er soll dem Vernehmen nach noch kein Dollarmilliardär sein soll (aber knapp darunter).

Dabei dürfte es sich jedenfalls kaum um legal erworbenen Reichtum handeln – ebenso wenig wie bei Putin. Wobei dieser schon länger an der Macht ist und, wie alle Ost-Kleptokraten, über ein entsprechendes Vermögen verfügt. Auch eine kleine körperliche Statur ist beiden Präsidenten gemeinsam. Psychologen meinen, das wäre das eigentliche Problem (man spricht von einem Napoleonkomplex) und auch Hitler sei klein gewesen – obwohl letzteres nicht nicht zutrifft, denn er entsprach tatsächlich der damaligen deutschen Durchschnittsgröße. Hingegen ist sehr wohl interessant, dass Selenskyj und Putin beide nur 1,70 m messen. Sie müssten sich also eigentlich bestens verstehen – da kleine Männer gerne ihre gefühlte Minderwertigkeit mit Machtansprüchen zu kompensieren versuchen.

 

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