Horst D. Deckert

Deutsches Innenministerium spannte chinafreundliche Wissenschaftler ein, um den Lockdown zu rechtfertigen

Ende März 2020 gelangte das berüchtigte „Panikpapier“ in Deutschland an die Öffentlichkeit. Das geheime Strategiepapier des Bundesinnenministeriums spielte mögliche Pandemie-Szenarien durch. Für Deutschland rechneten die Autoren mit rund einer Million Toten. Das Ziel lautete: Die Bevölkerung soll in Angst und Schrecken versetzt werden, um sie damit gefügig für entsprechend harte Massnahmen zu machen. Dafür waren die Autoren gar bereit, die Urängste der Menschen vor dem Tod zu aktivieren.

Wie dies genau geschah, berichtete die Welt am Sonntag am vergangenen Wochenende. Treibende Kraft hinter dem Papier war Staatssekretär Markus Kerber, der laut der Zeitung einen akribischen Plan hatte, wie die Regierung der Bevölkerung die einschneidenden Massnahmen verkaufen sollte.

„Er wollte führende Wissenschaftler mehrerer Forschungsinstitute und Universitäten zusammen spannen. Gemeinsam sollten sie ein Papier erarbeiten, das dann als Legitimation für weitere harte politische Maßnahmen dienen sollte, über Ostern hinaus. Er startete per E-Mail einen entsprechenden Aufruf an die Forscher. Nur wenige Tage später hatten diese den Auftrag des Ministeriums erfüllt.”

Die Zeitung kommt zum Schluss: die Forscher haben längst nicht so unabhängig agiert, wie es Wissenschaftler und Bundesregierung seit Beginn der Pandemie darstellen. Dies deckten die gut 200 Seiten des Mailverkehrs zwischen dem Innenministerium und den Verfassern des Papiers auf, die der Welt am Sonntag vorliegen.

Hierzu einige brisante Beispiele: Gemäss dem Mailverkehr wandte sich Staatssekretär Markus Kerber am 19. März 2020 in einem Schreiben an RKI-Chef Lothar H. Wieler sowie auch an Forscher des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und mehrerer Universitäten. Das Ministerium wollte mit sofortiger Wirkung eine „ad hoc Forschungsplattform“ zwischen seinem Haus und den Instituten bilden, heisst es im Bericht der Welt am Sonntag.

Der Grund dafür: Das Bundesinnenministerium benötigte ein Rechenmodell, um „mental und planerisch ‘vor die Lage’ zu kommen“. Das Modell sollte dabei helfen weitere „Massnahmen präventiver und repressiver Natur“ planen zu können. Dabei gehe es um nichts weniger als die „Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit und Stabilität der öffentlichen Ordnung in Deutschland“, lautete der Ton des Staatssekretärs. Die in den Plan involvierten Wissenschaftler hatte Kerber, der „eine möglichst bedrohliche Darstellung der Lage“ erwartete, um absolute Diskretion gebeten. Das endgültige Papier lag nur vier Tage später, am 23. März 2020 vor.

Während des Entstehungsprozesses des Papiers habe Karber die Forscher akribisch verfolgt und ihr Vorgehen geradezu diktiert. Auch deckte die Zeitung auf, dass sich die Wissenschaftler keineswegs einig waren hinsichtlich des Inhalts des Papiers. „Das RKI hatte gerade erst selbst ein Modell veröffentlicht. Demnach würden voraussichtlich 0,56 Prozent der Infizierten in Deutschland am Virus sterben. Das RWI nun plädierte aber dafür, mit einer Todesrate von 1,2 Prozent zu arbeiten. Dessen zuständiger Forscher schrieb, man solle im Papier ‘vom Ziel her’ argumentieren, nämlich ‘hohen Handlungsdruck aufzuzeigen’ und vom Vorsichtsprinzip ‘lieber schlimmer als zu gut’. Staatssekretär Kerber las bei all dem mit.“ Im endgültigen Papier tauchten zuletzt beide Zahlen auf. Dies ist insofern aussergewöhnlich, weil eigentlich das RKI in Deutschland dafür zuständig gewesen wäre, die entsprechenden Zahlen zu liefen.

Autoren waren keine Gesundheitsexperten

Bemerkenswert an dem Artikel in der Welt am Sonntag ist die Tatsache, dass die Zeitung überhaupt nicht näher auf die einzelnen Wissenschaftler eingegangen ist, welche das „Panikpapier“ verfassten. Nicht hervorgeht aus dem Bericht, dass überhaupt keine Kenner aus dem Gesundheitsbereich an dem Papier mitgeschrieben haben. Ein Fakt, auf den der Philosoph und Schriftsteller Gunnar Kaiser unlängst aufmerksam machte. Zu den Autoren des Papiers zählten: Otto Kölbl, Maximilian Mayer, Boris Augurzky, Hubertus Bardt, Heinz Bude, Roland Döhrn, Michael Hüther und Christoph Schmidt.

„Keine der genannten Personen hat jemals ein Studium in Epidemiologie, Infektiologie, Immunologie, Virologie, oder vergleichbares absolviert. Insofern ist die Auslegung in der WELT nicht nur unrichtig, sondern massiv irreführend“, schreibt Kaiser. Die Zeitung nannte keinen einzigen Verfasser des Strategiepapiers beim Namen – auch nicht Otto Kölbl und Maximilian Mayer, die beiden Hauptautoren des Papiers, die sich beide zuvor noch nie mit epidemiologischen Arbeiten beschäftigten.

Dazu schreibt Kaiser:

„Tatsächlich haben sich Mayer und Kölbl eines Textes bedient, der am 18.03.2020 von einem gewissen Tomas Pueyo veröffentlicht wurde: The Hammer and the Dance. Pueyo ist ebenfalls kein Wissenschaftler aus den genannten Fachgebieten, sondern hat einen MBA und lebt in den USA. Hammer and the Dance wurde von Pueyo ohne Mitwirkung von Epidemiologen erfunden und hat keinerlei wissenschaftliche Grundlage. Vor dem 18.03.2020 finden sich weder in der Fachliteratur noch im Internet jegliche Hinweise auf ein solches Szenario in der Epidemiologie.“

Auf diese Ungereimtheiten hatte vergangenen November auch bereits die Journalistin Aya Velázquez in der Zeitung Demokratischer Widerstand aufmerksam gemacht. Über Autor Kölbl, der als Germanist an der Universität Lausanne arbeitet, schrieb sie: „Nach eigenen Angaben forscht er seit 2007 über die ‘sozio-ökonomische Entwicklung in China verglichen mit anderen Entwicklungsländern sowie über deren Darstellung in den westlichen Medien’. Von 2005 bis 2006 war er Sprachlehrer an der Northwestern Polytechnical University in Xi’an, China. Er lebt inzwischen wieder in der Schweiz und betreibt einen Blog namens ‘rainbowbuilders.org’, in dem er unter anderem Hongkong als ‘parasitär’ bezeichnet und Chinas vorbildliche Erschliessung Tibets lobt.” Kölbl könne als China-Propagandist bezeichnet werden, da er ganz offensichtlich Chinas Perspektive auf die Welt vertrete und den Menschenrechtsfragen im Inneren absolut blind gegenüberstehe, lautete Velázquezs Fazit.

Zurück zu Gunnar Kaiser: Vor diesem Hintergrund fragte sich der Philosoph, weshalb „die Autoren in der WELT die Leser dahingehend in die Irre geführt“ haben, indem sie neben dem RWI beispielsweise von “Universitäten“ schrieben, die an dem Papier beteiligt gewesen seien? Denn dies lege dem Leser nahe, es handle sich wohl um deutsche Universitäten. „Tatsächlich arbeitet Mayer an einer chinesischen Universität, und Kölbl an einer schweizerischen, mit Forschungsschwerpunkt China. Politikwissenschaftler Mayer ist Autor eines Buches zur geopolitischen Expansion Chinas mittels Krediten an Schwellen- und Entwicklungsländer, und äußert sich bei Twitter regelmäßig zur intensiven Kooperation von Deutschland und China auf allen Ebenen. Wäre es nicht interessant gewesen für den Leser dies zu erfahren?“, schreibt Kaiser.

In diesem Zusammenhang stellen sich grundsätzliche Fragen: Weshalb spannte das Bundesinnenministerium chinafreundliche Wissenschaftler mit keinerlei epidemiologischer Erfahrung ein? Unklar ist beispielsweise auch, wie und wann der Kontakt zwischen dem Innenministerium und Otto Kölbl und Maximilian Mayer hergestellt wurde. Den beiden Wissenschaftlern, „die zufällig eine auffallende Nähe zur Staatsräson von China haben und deren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ausdrücklich als positiv verkaufen“, wie Kaiser bemerkt. Fragen über Fragen: Es darf gesagt werden: Es bleibt spannend.

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