Überall in Deutschland schießen die Flüchtlingsunterkünfte wieder aus dem Boden. Kaum eine deutsche Kommune, die nicht wieder „Wir haben Platz“ schreit und nicht grenzenlose Aufnahmebereitschaft bekundet. Dabei macht das Land wieder genau dieselben Fehler wie 2015.
Von Daniel Matissek
Nur wenige Tage nach Beginn der massenhaften Ankunft ukrainischer Flüchtlinge, steht Deutschland wieder vor einem vergleichbaren Kontrollverlust wie 2015: Die Bundespolizei registrierte bis Donnerstag rund 110.000 Flüchtlinge, geht aber von weitaus höheren Zahlen aus. Bei diesen Massen hat der deutsche Staat de facto abermals keinen Überblick darüber, wer in welchen Mengen ins Land strömt – genau wie 2015/2016, als das böse Erwachen auf gleich mehreren Ebenen auch viel zu spät kam, nachdem nämlich bereits 2 Millionen Menschen im Land waren und riesige Probleme für Wirtschaft, Sozialstaat und innere Sicherheit die Folge waren.
Keine Ahnung, wer wirklich Ukrainer ist
Zumindest das Risiko, dass es diesmal genauso oder schlimmer kommen könnte, geht Deutschland sehenden Auges ein – denn wieder fragt niemand, wer da eigentlich „ankommt“, wer wirklich Ukrainer ist und nicht nur temporär, sondern dauerhaft in Deutschland sesshaft gemacht wird. Wer es doch tut und solche Fragen stellt, landet schnell in der „Rassisten“-Ecke oder gilt als menschenverachtend und herzlos. Herz vor Hirn ist auch diesmal wieder die Devise der deutschen Fluchthilfe und Aufnahmebereitschaft.
Allerorten werden daher nun neue Unterbringungsmöglichkeiten gesucht, wird die Errichtung neuer Gebäude geplant oder bereits bestehende Einrichtungen zweckentfremdet – auch ausgediente Impfzentren werden zu Erstaufnahmeeinrichtungen. Viele Städte sind bereits völlig überfordert. So musste etwa im münsterländischen Steinfurt in Windeseile Platz für 2.000 Flüchtlinge geschaffen werden. Doch auch in Berlin, Hamburg oder im Ruhrgebiet stehen die Kommunen vor riesigen Herausforderungen und Kapazitätsengpässen.
Wieder keine Kontrollen an den Grenzen
Zu allem Übel begeht auch die Politik dieselben Fehler wie vor sechseinhalb Jahren: Die von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) geforderten regulären Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien wurden letzte Woche von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zurückgewiesen, die erklärte: „Es geht um Krieg in Europa, um Kriegsflüchtlinge. Das ist eine völlig andere Situation als 2015.“ Nachdem von Grenzschützern und Polizei, aber auch der Opposition heftiger Widerstand einsetzte, erklärte Faeser nun, die Kriegsflüchtlinge sollten wenigstens – und zumindest teilweise nach bestimmten Regeln – auf die einzelnen Bundesländer verteilt werden, so dass die Polizei und Behörden nach Kontingenten der Aufgabe Herr werden können. „Wir haben heute Vormittag vereinbart, dass wir nun verstärkt nach dem Königsteiner Schlüssel diejenigen Geflüchteten auf die Länder verteilen, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten untergebracht und versorgt werden”, so Faeser am Freitag.
Beim besagten Königsteiner Schlüssel werden die Migranten, die ein Bundesland aufnehmen muss, zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungsgröße berechnet. Der Migrationsforscher Herbert Brücker hatte vergangene Woche exakt ein solches Szenario vorhergesagt. Dabei hatte er auch betont, der Königssteiner Schlüssel sei „kein vernünftiges Verteilungskriterium für Menschen.“ Doch davon wollte Faeser nichts wissen.
Vorwurf des “Racial Profiling”
Inzwischen beharrt auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundespolizei, Heiko Teggatz, auf der Durchführung von Grenzkontrollen. Dabei zeichnet er ein desolates Bild der Lage an den Grenzen und spart auch nicht mit deutlicher Kritik an seiner Dienstherrin Faeser: Deutschland sei „nicht vorbereitet. Wir haben aus den Fehlern des Jahres 2015 und dem damaligen Umgang mit unübersichtlichen Flüchtlingsströmen nichts gelernt.“ Nur durch „stationäre Grenzkontrollen“, bei denen (im Gegensatz zu regulären Grenzkontrollen), „der jeweilige Mitgliedstaat der EU“ anmelde, „dass die Ein- und Ausreise nur über bestimmte Grenzübergänge erfolgen kann“, könne die Bundespolizei „die Flüchtlingsströme kanalisieren und nahezu lückenlos kontrollieren, wer zu uns ins Land kommt.“ Man müsse wissen, „ob die geflüchteten Menschen bereits durch Mitgliedstaaten der EU wie Polen, Rumänien, Ungarn registriert worden sind.“ Solange dies nicht gegeben sei, blieben nur Stichprobenkontrollen. Dabei würden Menschen, die „augenscheinlich vermutlich nicht aus einem EU-Staat stammen, werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit kontrolliert.“ Dies trage der Bundespolizei jedoch „prompt den falschen Vorwurf“ ein, „Racial Profiling zu betreiben.“ Deshalb sehe sie sich auch Angriffen von „Aktivisten“ ausgesetzt.
Drittstaatsbürger aus der Ukraine
Faesers haltlose Behauptung, der „allergrößte Teil der Geflüchteten“ seien Ukrainer und Ukrainerinnen, weist Teggatz zurück: „Ein großer Anteil der aus der Ukraine Geflüchteten besitzt keine ukrainische Staatsangehörigkeit. Es handelt sich um Drittstaatsbürger aus Regionen außerhalb der EU mit einem Aufenthaltstitel für die Ukraine. Diese Menschen müssen eigentlich das Asylverfahren einschließlich Identitätsfeststellung durchlaufen.“
Ähnlich verfährt er mit Faesers Aussage, Menschen aus anderen Staaten, die in der Ukraine über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verfügten, müssten in Deutschland kein aufwendiges Asylverfahren durchlaufen. Da liege „die Frau Ministerin falsch. Wenn beispielsweise ein Iraker in Kiew studiert, berechtigt sein ukrainischer Aufenthaltstitel ihn nicht, den Schengen-Raum zu betreten. Dazu brauchte es einen gesonderten Sichtvermerk.“
Katastrophale Lage an den Grenzen
Da die Bundespolizei „alle verfügbaren Kräfte an die Grenzen nach Polen, Österreich und Tschechien“ verlegt habe, gebe es derzeit keine Möglichkeit, die Polizeien der Bundesländer zu unterstützen. An den Grenzen herrsche „eine hochdramatische Situation, die enorme Kräfte“ binde. Wir befänden uns „nach wie vor im Kontrollverlust.“ Bisher seien „knapp 1,5 Millionen Überstunden angefallen – bei steigender Tendenz.“
Aus Teggatz` Worten spricht tiefer Frust, fast am Rande der Resignation. Mit Recht: An den deutschen Grenzen herrscht einmal mehr eine katastrophale Lage, und alle Appelle der Vernunft stoßen bei der Ampelregierung auf taube Ohren. Kanzler Olaf Scholz sagt diesmal zwar nicht explizit „Wir schaffen das” – aber sein Schweigen ist nicht minder verhängnisvoll.