Horst D. Deckert

Die CSU ist der Wahlsieger, nicht die FDP

Eigentlich hatte ich meinen Senf schon zur Wahl dazu gegeben, möchte an dieser Stelle aber noch einmal spezifisch etwas nachlegen, da keiner der Kommentare auf etwas einging, das ich für die kommenden Koalitionsverhandlungen und die Regierung danach als bedeutend erachte. Es geht um die FDP, die bei vielen als Wahlsiegerin gehandelt wird, da sie sehr wahrscheinlich an der kommenden Regierung beteiligt sein wird. Gleichzeitig blieb kaum jemandem das schlechte Abschneiden der CSU verborgen, was als Hinweis auf eine mögliche Palastrevolte gedeutet wird. Beidem stimme ich nicht zu. Im Gegenteil sehe ich die Konstellation genau anders herum.

Vorteil GroKo

Insgesamt stehen unter den möglichen Varianten drei wahrscheinliche Konstellationen für die kommende Regierungskoalition zur Wahl. Diese wären:

  • Union, Grüne, FDP
  • SPD, Grüne, FDP
  • Union, SPD

Da die FDP bei beiden neuen Koalitionsmöglichkeiten mit im Kabinett ist, sehen die meisten die Partei in der komfortablen Situation, den übrigen Parteien ihre Bedingungen zu diktieren. Eventuell könnte es aber auch genau andersherum laufen. Denn auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, so könnten die Union und die SPD ihre Große Koalition weiterbetreiben. Dieser Verhandlungsvorteil ist nicht zu unterschätzen, was vor allem die CSU für sich ausnutzen wird, da sie ohnehin nicht den Kanzler stellen wird.

CSU als Interessent einer Großen Koalition

Vermutlich würde die Union nur ungern unter Scholz zum Juniorpartner degradiert zu werden. Mit dem Einfluss der CSU könnte es aber dazu kommen, dass die CDU den Kanzler stellt und die Ministerposten (fast) ausschließlich mit Politikern der CSU und SPD besetzt werden. Der argumentative Ansatz der CSU gegenüber der CDU für diese Option besteht mindestens im schlechten Wahlergebnis in Bayern, da die CSU bei einem Fall unter die 5%-Hürde bei den Erststimmen deutlich an Bedeutung verlieren würde, auch wenn sie dank der vielen Direktmandate (noch!) keine Angst auf einen Einzug in den Bundestag hätte.

Gleichzeitig ist die CDU ohne die CSU schwach wie nie. Die Partei konkurriert außerhalb Bayerns heute mit der SPD und den Grünen im Bereich zwischen 15 und 20%, so dass sie in ihrer Macht auf Bundesebene auf Gedeih und Verderb auf die CSU angewiesen ist. Diese relative Bedeutungsverschiebung trotz des CSU Niedergangs zugunsten der Partei wird sich auf die bundespolitische Landkarte auswirken und ihr unabhängig von der kommenden Koalition eine Bedeutung verschaffen, die weit jenseits ihrer 5% liegt, die sie auf das Gesamtwahlergebnis bezogen einfahren konnte.

Die SPD ist reiner Preisnehmer

Die SPD hat die Wahl zwar nach den reinen Prozentanteilen gewonnen, steht aber dennoch als schwächster Kandidat in der Runde möglicher Koalitionspartner. Der Grund hierfür liegt vor allem in der Unwahrscheinlichkeit einer rot-grün-gelben Koalition, da sich die FDP vergleichbar zu 2017 wohl kaum auf eine Übermacht an linken Programmpunkten einlassen würde. Diese Koalition würde nur dann in Frage kommen, sollte die Union mit keiner der drei möglichen Partner auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Im Vergleich zu den Inkompatibilitäten der FDP mit den beiden Linksparteien sind die Gegensätze der Union nach links deutlich geringer.

Damit bleibt die Perspektive der SPD beschränkt auf die Große Koalition. In diese könnte sie wie beschrieben entweder nur Minister schicken, oder aber Scholz könnte das Kanzleramt übernehmen, müsste in diesem Fall aber ebenso weitgehend auf Ministerien verzichten. Aufgrund der beschriebenen Machtverschiebung innerhalb der Union würde die CSU vermutlich auf die gleiche Zahl an Ministern kommen wie die CDU.

Die FDP als Opfer der CSU

Als momentan am heißesten gehandelt könnte es zu einer Jamaika-Koalition kommen mit der Union, den Grünen und der FDP. Diese Konstellation wäre für die CDU am optimalsten, da sie deutlich stärker ist als die übrigen drei(!) Parteien. Fraglos würde die CDU den Kanzler stellen, könnte aber kaum Minister stellen, da neben der CSU auch die beiden Koalitionspartner auf Ministerposten aus sind.

Der Verlierer wäre in diesem Fall vermutlich die CSU, da sie in dieser Konstellation ein geringeres Gewicht hätte als in einer Großen Koalition. Die Partei wird dies zu verhindern wissen und versuchen, trotz der Nähe zur FDP auf dem Papier die bestehenden Differenzen zwischen den Grünen und der FDP zu reizen. Sie wird ebenfalls darauf drängen, gut sichtbar in aller Heimlichkeit mit der SPD in Verhandlungen einzusteigen, um sowohl die FDP als auch die Grünen unter Druck zu setzen. Das Spiel der CSU ist dabei relativ sicher, so lange es nicht zu einer unwahrscheinlichen Annäherung zwischen der FDP, den Grünen und der SPD kommt.

Bayerisches Pingpong

Der CSU wird es letztlich weniger um Programmatik gehen, als vielmehr um die Zahl der Ministerposten, da sie mit diesen ihren Machteinfluss auf ganz Deutschland (und die EU) projizieren kann. Das Vertreten einer nicht-linken Programmatik in den Koalitionsverhandlungen wird sie daher der FDP überlassen, die sich als Stellvertreter bürgerlicher Positionen (oder was dafür gehalten wird) mit den Grünen über Verschuldungsgrade und Quotenfrauen streiten darf.

Einmischen wird sich die CSU inhaltlich nur dann, wenn es darum geht, einen Kompromiss zu finden. Dieser besteht für sie darin, dass wahlweise die FDP oder die Grünen bekommen, was sie wollen, das zuständige Ministerium aber einen CSU Minister bekommt. Im einen Fall kann die Partei dann auf ihre bürgerlichen Wurzeln verweisen und im anderen auf den grünen Aktivismus von Ministerpräsident Söder. In beiden gewinnt die CSU einen Posten hinzu und muss keine ihrer Positionen räumen.

Wie wichtig ist der CDU die Kanzlerschaft?

Letztlich wird der Hebel der CSU davon abhängen, wie sehr die CDU auf die Kanzlerschaft erpicht ist. Je bedingungsloser Laschet und die CDU-Führung das Kanzleramt besetzen wollen, desto schwächer wird die Verhandlungsmacht der CSU ausfallen – wenngleich auf hohem Niveau. Mit der CDU als gesetztem Kanzler wird eine Neuauflage der Großen Koalition kaum machbar sein. Sollte sie doch kommen, dann würde wie erwähnt kaum ein Minister der CDU angehören. In einer Dreierkoalition mit der CSU als viertem Wagenrad würde die CDU ebenso wenige Minister stellen können, diese allerdings nicht an die SPD verlieren, sondern an die CSU.

Sollte die CDU tatsächlich inhaltliche Akzente über den Schein des Kanzleramts setzen, dann würde für die CSU der größte Hebel entstehen. Sowohl die FDP als auch die Grünen säßen in diesem Fall am deutlich kürzeren Ende des Spiels, da ihr Gegenüber mindestens eineinhalb Optionen mehr auf dem Tisch liegen hat. Insgesamt ist ein Verzicht der CDU auf die Kanzlerschaft aber fast genauso unwahrscheinlich wie eine Koalition zwischen SPD, FDP und Grünen, während die inhaltliche Ausrichtung der CDU heute mehr oder weniger mittig zwischen der FDP und den Grünen liegt. Was wir erleben werden ist also ein CDU-Kanzler Laschet, der ein bayernlastiges Kabinett führen wird.

Schmutzeleien & Ämtergeschacher

Jegliche Avancen hin zu einer Großen Koalition in den kommenden Wochen können daher als bayerische Versuche des Absahnens von Ministerposten gewertet werden, was insbesondere dann gilt, wenn sie aus München geäußert werden. Heftiger Verhandlungsstreit und auch eine verlängerte Verhandlungsphase zwischen den zukünftigen Koalitionspartnern wird sich ebenso auf die Sticheleien der CSU zurückführen lassen. Sollte die CDU zwischendrin eingreifen und die CSU öffentlich über ihre Position informieren, dann wird dies als ein Zeichen zu interpretieren sein, dass es die Münchener Machtclique mit ihren Intrigen zu weit getrieben hat.

Die letzte Bundesregierung unter Angela Merkel umfasste jeweils sechs Minister der CDU und der SPD und drei Minister der CSU. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die kommende Regierung einen sechzehnten Bundesminister umfassen wird, um die vielen Extrawürste zu bedienen (Digitalminister und CO2-Minister kommen einem in den Sinn). Die CSU wird darauf bestehen, weiterhin mindestens drei Minister zu stellen und vielleicht sogar einen vierten Posten verlangen und bekommen.

Die Grünen und die FDP wiederum werden auf die gleiche Anzahl an Ministern bestehen, wobei sicherlich auch die Proportionalität zur den beiden Unionsparteien eine Rolle spielen wird. Die CDU ohne die CSU liegt nur wenige Prozente von den beiden künftigen Koalitionspartnern entfernt, während die CSU deutlich hinter den beiden Neuregierungsbeteiligten liegt. Unter Berücksichtigung all dieser Arithmetiken könnte es abhängig von der Kanzlerfragenbedeutung und zu einem späteren Zeitpunkt der finalen Ministerzahl sehr bunt zugehen im neuen Bundeskabinett.

Anzahl Minister CDU CSU Grüne FDP Wahrscheinlichkeit
16 2 4 5 5 5%
15 2 3 5 5 60%
15 1 4 5 5 30%
14 1 3 5 5 5%

Am generellen Niedergang der CSU oder Deutschlands im Allgemeinen wird dies alles natürlich nichts ändern. Doch bis zur kommenden Bundestagswahl könnte die Frage über einen Posten in Brüssel (oder auf der Anklagebank in Nürnberg) eine erheblich größere Rolle spielen, als das weitere politische Engagement auf Bundesebene.

Quelle Titelbild

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