Russland liefert nach wie vor die gleichen Mengen an Erdgas nach Europa und Deutschland. Die Bundesregierung widersteht bislang den allfälligen Aufforderungen, auf den Gasimport aus Russland zu verzichten, weil sie weiss, dass der wirtschaftliche Absturz Deutschlands verheerend sein würde. Die Räder der deutschen Produktionsmaschine würden stillgelegt, nichts würde mehr funktionieren, kaum etwas noch bezahlbar. Warum gerade Deutschland aber so hart getroffen würde, darüber schweigt die Bundesregierung. Es ist der Doppelausstieg der Energiewende, der durch Erdgas plus unstetige Wind- und Sonnenenergie uns so verletzlich gemacht hat. Wir wollen die Zusammenhänge weiter unten untersuchen.
Die Bundesregierung nähert sich der Realität aber verbirgt die ganze Wahrheit
Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr häufen sich die Stimmen, die einen Boykott der Energielieferungen aus Russland fordern. Der erste war der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck (Pension 385 000 €), der einen Stopp der russischen Energieimporte forderte : „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit.“ Bald verging kaum ein Tag, in dem nicht in „Bild“ („Schluss mit dem Russen-Gas“) oder „Die Zeit“ die Forderung nach einem Energieboykott erhoben wurde.
Die Tagesschau verbreitete die dümmlichen Kommentare von Martin Ganslmeier ( „Teuer, aber machbar“) oder Kai Küstner („Energieboykott gegen Putin jetzt“). Da wundert man sich nicht, dass die Mehrheit der Wähler der Grünen ( 71 %), der SPD (56 %), der CDU (55 %) einen sofortigen Energieboykott befürworten. Am Ende fand ein Energie-Embargo die überwältigende Mehrheit des EUParlament : 413 Ja Stimmen, 93 Nein Stimmen.
Vor diesem Hintergrund ist die Position der Bundesregierung erstaunlich standhaft. Sie weiss, was droht. Kein geringerer als Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in einem Bericht an den Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages vom 6.4.2022 ein sofortiges Embargo kategorisch ausgeschlossen.
Im Bereich Kohle, so der Bericht, mit einer Importabhängigkeit von 50 %, ist eine Umstellung auf andere Lieferländer (z.B. Australien) bis zum Herbst möglich.
Die Vorräte an den Kraftwerksstandorten reicht für etwa vier bis sechs Wochen. Ein früherer Ausstieg als Herbst würde nach etwa vier bis sechs Wochen zu Kraftwerksstillegungen führen.
Die 35 % Erdölimporte zu ersetzen wird „bis zum Jahresende angestrebt“(S.4 des Berichts). Die Druschba-Pipeline liefert 750 000 barrel Rohöl, davon 250 000 barrel durch den südlichen Zweig zur Versorgung von Ungarn, Slowakei und der Tschechischen Republik. Besonders heikel dabei ist, dass die ostdeutschen Raffinerien ausschliesslich durch die Druschba -Pipeline beliefert werden. Sie versorgen Ostdeutschland mit Benzin, Diesel und Chemierohstoffen und haben keinen Zugang zu einem Hafenstandort. Durch die nationale Ölreserve wird Rohöl im Umfang der Importe von 3 Monaten vorgehalten.
Die Abhängigkeit, in die sich die deutsche Energiepolitik im Zuge des Doppelausstiegs der drei letzten Regierungen Merkel gebracht hat, ist beim Erdgas am gravierendsten. Erdgas deckt eine Viertel des deutschen Energiebedarfs. Mehr als die Hälfte des importierten Erdgases (nur noch 5 % macht die Eigenförderung aus) stammt aus der Russischen Föderation. 38 % wird in der Industrie verwendet (S.5 des Berichts), 12 % im Gewerbe, 30 % in den Wohngebäuden, 13 % in der Stromversorgung und 7 % zur Fernwärmeerzeugung.
Der „Notfallplan Gas“ sieht vor, dass in einer Krisensituation die Bundesnetzagentur die Verteilung des restlichen Gases vornimmt. „Dabei sind bestimmte Verbrauchergruppen gesetzlich besonders geschützt, d. h. diese sind bis zuletzt mit Gas zu versorgen. Zu diesen geschützen Verbrauchern gehören Haushalte, soziale Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser und Gasheizkraftwerke“ (S.6 der Drucksache. )Sollten russische Gaslieferungen ausfallen, so der Bericht, „ist die Sicherstellung der Versorgungssicherheit ab dem nächsten Winter in Deutschland und seinen Nachbarstaaten gefährdet“. Im Klartext heisst das, dass die Arbeit von 6 Millionen Beschäftigten in 42 000 Industriebetrieben zum Erliegen kommt. Und zwar nicht nur für 3 Wochen, sondern bis zum Sommer
2024, so die Schätzung des Berichtes. Der BASF – Chef Brudermüller sieht einen Ersatz des russischen Erdgases realistischerweise erst in 4-5 Jahren und warnt vor beispiellosen wirtschaftlichen Schäden : „„Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben? Ich glaube, ein solches Experiment wäre unverantwortlich“. Auch der Bericht von Robert Habeck sieht selbst bei günstigstem Verlauf – Bau von Flüssiggas LNG-Terminals und Regasifizierungsanlagen (schwimmende LNG-Terminals) von bis 2022-24 noch einen ungedeckten Restbedarf in 2024 von 10 %, immerhin ein Drittel des industriellen Bedarfs. Allerdings müsste Robert Habeck seine schleswig-holsteinischen Grünen noch überzeugen, denn die gehen mit einer Absage an einen LNG-Terminal in Brunsbüttel in den Landtagswahlkampf : „Schleswig-Holstein braucht kein LNG Terminal.“ (Wahlkampfprogramm S.133)
Die Bundesregierung verschweigt uns, dass auf diesem Pfad ein großer Teil der Industrie nicht überleben wird. Schon vor dem Krieg Russlands hatte Deutschland die höchsten Strompreise weltweit, die Gaspreise waren bereits auf Grund der Energiewende auf das Vier-bis Fünffache gestiegen. Im Vergleich zu den US-amerikanischen Gaspreisen (Henry Hub etwa 20 € /MWh) liegen wir bei 100- 150 € /MWh. LNG – Gas war vor der Gaspreisexplosion aber bis zu dreimal so teuer wie Pipeline-Gas. Die Versorgung mit LNG-Gas anstatt mit Pipeline Gas wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie weiter verschlechtern.
Die Entwicklung des Gaspreises in €/MWh Quelle TTF Dutch Gas price
Was fehlt, ist das Eingeständnis, dass die Energiewende undurchführbar geworden ist. Der Ausstieg aus der Kohle und dem Rest der Kernenergie hätte 30 bis 50 Gaskraftwerke erfordert (siehe Koalitionsvereinbarung), die durch zusätzliche Gasimporte über Nordstream 2 herangeschafft worden wären. Das heisst: zusätzlich zu den zu ersetzenden Mengen aus Russland müssten noch einmal eine ähnlich große Menge aus Übersee beschafft werden. Heute verbraucht Deutschland etwa 95 Mrd. m³, 50 Mrd. m³ stammen aus Russland. Der Ausstieg aus Kohle und Kernenegie würde etwa 30-50 Mrd. m³ zusätzlich erfordern. Wo sollen 100 Mrd. m³ herkommen ? Das ist mehr als das LNG Aufkommen der USA (61) und entspricht der gesamten Menge Katars(106). Dass man nun Wind -und Solarenergie ohne Rücksicht auf die Natur über die deutsche Landschaft ausrollen will, hilft da wenig. In 2021 war der Primärenergieanteil von Sonnen- und Windenergie bei 5,1 % (siehe Grafik meiner letzten Kolumne) !
Wer sich in der Realität von der russischen Erdgasabhängigkeit verabschieden möchte, kommt an drei Alternativen nicht vorbei:
- Fortführung und Erweiterung der Nutzung der heimischen Braunkohle,idealerweise mit der in Deutschland entwickelten CO2-Abscheidung,
- Fortsetzung der Nutzung der Kernenergie und Reaktivierung der vor 4 Monatenstillgelegten Kernkraftwerke
- Nutzung der 1300 Mrd. m³ Schiefergas in Norddeutschland und unter der Nordsee
Braunkohle, Kernenergie und Schiefergas sind die gutmütigen großen Elefanten, die im Raum stehen, die aber von Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz übersehen werden. Diese Elefanten gehören uns. Das wäre Energie- Souveränität. Das ist allemal besser als ein Weg des „Energie–Patriotismus“ Robert Habeck), ein Begriff der nur notdürftig kaschiert, dass dieser Weg in Richtung 100 % Erneuerbare Energien die deutsche Landschaft und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zerstört.
Die Merit-Order des Strom – und Gaspreises
Viele Leser fragen sich, wie kann es zu einer Explosion der Strom- und Gaspreise kommen? Russland liefert doch nach wie vor die gleiche Menge Erdgas, auch die anderen Zulieferer. Allerdings liefern nicht alle zu Festpreisen. Und wie beim Strom wird der Gaspreis der handelbaren Mengen vom teuersten Lieferanten bestimmt.
Die Ursache liegt in der Merit order. Ich will das an Hand der Strombörse erläutern.
Als Merit-Order wir die Einsatzreihenfolge der an der Strombörse anbietenden Kraftwerke bezeichnet. Diese werden aufsteigend sortiert. Das Kraftwerk, das als letztes mit dem teuersten Preis zugeschaltet wird, bestimmt den Börsenpreis. Im Beispiel unten aus dem Jahre 2019 also bei 60 000 MW Nachfrage etwa 60 €/MWh (6 €ct/kWh). Wenn nun der Gaspreis steigt und die hellbraun gezeichneten Gaskraftwerke im Preis nach oben gehen und das teuerste Gaskraftwerk bei 200 €/MWh (20 €ct/kWh) Strom produziert, ist das der Börsenpreis, den alle bezahlen müssen. Erneuerbare Energie-Anlagen, die eine fixe EEG-Vergütung erhalten, speisen in das Netz ein, unabhängig davon, welcher Preis am Markt erzielt werden kann. Sie schieben die Kraftwerksreihenfolge nach rechts, der Preis sinkt. Bei großen Angeboten an Wind- oder Sonnenstrom sinkt der Strompreis gegen Null oder sogar unter Null (negative Strompreise). Nachts oder bei Windflaute schiesst der Preis wieder in extreme Höhen. Die Grafik zeigt aber auch, was passiert, wenn die gelben, dunkelbraunen oder schwarzen Flächen der Kernenergie, der Braunkohle oder der Steinkohle verschwinden. Wenn Wind da ist oder in den Sommermittagsstunden wird das mengenmässig funktionieren. Aber da der Normalzustand der Windräder der Stillstand ist (Vollaststundenzahl 25 % des Jahres), werden immer öfter extreme Preisspitzen entstehen und wenn die hellbraunen Gaskraftwerke und die Ölkraftwerke nicht ausreichen: Strommangel, Abschaltung der Verbraucher, brown-out. Das nützliche tool des EWI kann hier kostenlos heruntergeladen werden.
Nachtrag der Redaktion:
Was Herr Vahrenholt hier nicht erwähnt, ist der unglaublich reiche Vorrat an Schiefergasen und Methan aus Kohlenflözen, über den Deutschland verfügt und über den es innerhalb von 6 bis 12 Monaten verfügen könnte. Die Standorte sind bekannt, die Lagerinhalte sind bekannt, die Technik ist bekannt und weitgehendst auf Abruf verfügbar. Ließen sich alle bekannten Vorräte gewinnen, genügte deren Menge um die russischen Mengen für ca. 50 Jahre komplett ersetzen. Die einzige Voraussetzung dafür wäre das Frackingverbot von 2017 aufzuheben. Mehr hier