Horst D. Deckert

Die heutigen Bedrohungen der Energiesicherheit: Sind sie überraschend?

IX Global Baku Forum: Ich fürchte, dass ich hier heute – ungewollt und nicht zu meiner großen Freude – die Rolle eines Bilderstürmers spielen werde.

von Vaclav Klaus, Präsident der Tschechischen Republik von 2003 – 2013

Mein Land, die Tschechische Republik, ist ein „Netto-Energieimportland“, was unsere Position mehr oder weniger vorgibt. Wir haben Kohleminen und Kernkraftwerke (und sind nicht bereit, sie aufzugeben). Bis jetzt hatten wir einen Überschuss an elektrischer Energie. Dagegen importieren wir praktisch vollständig Erdöl und Erdgas, vor allem aus dem Osten – 50 % des Öls und 96,5 % des Gases aus Russland und 16 % des Öls aus Aserbaidschan (plus 18 % aus Kasachstan).

Wir sind daher für eine größtmögliche Kontinuität des internationalen Handels mit Erdöl und Erdgas zu sinnvollen Preisen, die deren wahre wirtschaftliche Substanz widerspiegeln – sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Als ehemaliger Finanzminister, ehemaliger Premierminister und ehemaliger Präsident kann ich – so hoffe ich zumindest – einige Bemerkungen zu den allgemeinen Aspekten der Energiesituation machen. Als nicht mehr aktiver Politiker bin ich aber weder in der Lage noch bereit, in den täglichen Frühnachrichten kurzfristige politische Fragen zu kommentieren.

Unsere heutige Realität ist sehr einfach, aber frustrierend: die rapide steigenden Energiepreise und die allgemeine und übergreifende Inflation stellen ein grundlegendes, seit Generationen unbekanntes Problem für die tschechischen Verbraucher und Unternehmen dar.

Als Wirtschaftswissenschaftler, der vor Jahrzehnten seine Doktorarbeit über die Inflation geschrieben und damit versucht hat, die Logik und die Mechanismen der nachfrageseitigen und der kostenseitigen Inflation zu verstehen, und als Politiker, der nach dem Fall des Kommunismus und seiner zentralen Planwirtschaft die Preise liberalisiert und alle Arten von Subventionen abgeschafft hat, bin ich ein großer Befürworter der freien Märkte und konsequenter Gegner von Preismanipulationen. Ich werde niemals Verfechter einer Politik von Preisstopps oder Preisobergrenzen sein. Wir, die wir in der kommunistischen Ära gelebt haben, wissen, wie zerstörerisch solche Maßnahmen für das Funktionieren der Märkte sind.

Der Mensch hat ein soziales Bewusstsein, und ich habe kein Problem damit, das zu akzeptieren. Unser soziales Bewusstsein darf aber unser Denken nicht vernebeln. Wir sollten diese Vorstellung zu unserer Prämisse machen. Ohne Preise, welche die wirtschaftliche Knappheit widerspiegeln, können wir kein funktionierendes Wirtschaftssystem haben.

Wir sollten daher die Bereiche der Wirtschafts- und der Sozialpolitik strikt voneinander trennen. Die Wirtschaft muss so autonom wie möglich sein. Sie darf nicht durch politische Entscheidungen gelenkt werden. Diese Schlussfolgerung mag altmodisch klingen. Sie ist auch nicht politisch korrekt und fortschrittlich oder progressiv genug, aber ich muss auf ihr bestehen. Die Bürger der ehemals kommunistischen Länder sind froh, dass sie nicht mehr mit zentraler Planwirtschaft, Fünfjahresplänen und irrationalen Preisen leben müssen.

Dreißig Jahre nach dem Fall des Kommunismus sind einige von uns frustriert, dass wir nicht laut genug protestiert haben, als in den letzten zwei Jahrzehnten, langsam und Stück für Stück, wieder eine postmoderne, weitgehend zentral verwaltete Wirtschaft eingeführt wurde. Das heutige System basiert wieder einmal auf vielen nicht-ökonomischen, apriorisch auferlegten Zwängen, die vor allem mit der wachsenden Rolle der grünen Ideologie zusammenhängen. Das zerstört die Rationalität des Systems der wirtschaftlichen Anreize und führt uns in die Irre.

Der tragische Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Preissteigerungen und Kürzungen der Energieversorgung, die wir jetzt erleben, sind nicht vom Himmel gefallen und kamen zudem nicht zu einem wirtschaftlich gesunden Zeitpunkt. Damit meine ich nicht nur die Covid-Pandemie. Der Krieg kam nach Jahren der Panik vor einer globalen Erwärmung und – besonders für uns in Europa – nach der Verabschiedung eines wirtschaftlich Projekts namens „Green Deal“ voller Fehler. Die enormen Energiepreissteigerungen in den Ländern Mittel- und Osteuropas in den letzten Wochen und Monaten sind die unvermeidliche Folge eines solchen Spiels mit den Märkten. Es fing lange vor dem Ukraine-Krieg an.

Im Dokument zum Baku-Forum, das wir vorab erhielten, warfen die Organisatoren die Frage auf: „Welche Schritte sollten die erdgas- und erdölproduzierenden Länder unternehmen“? Ich bin nicht so ambitioniert zu wagen, souveränen Ländern Ratschläge zu erteilen. Aber es ist offensichtlich, dass diese Länder kein Problem mit den steigenden Energiepreisen haben dürften. Sie sollten diesen Moment als eine historische Chance nutzen, um ihre Länder wirtschaftlich zu stärken und sie auf eine ungewisse Zukunft vorzubereiten. Die schon immer bestehende Unsicherheit hat sich durch den unverantwortlichen Krieg auf dem Territorium der Ukraine radikal verstärkt.

Die gas- und ölproduzierenden Länder könnten – im Interesse ihrer eigenen Entwicklung – von dem weltweiten Nachfrageüberhang profitieren, der das Ergebnis einer mehr als ein Jahrzehnt andauernden geldpolitischen Maßnahme der quantitativen Lockerung (Monetarisierung der Staatsschulden) und riesiger Haushaltsdefizite in den westlichen Ländern ist. Das garantiert die anhaltende Nachfrage nach Energielieferungen. Die Länder, die auf der Angebotsseite stehen, werden die Gewinner sein. Wir auf der Nachfrageseite, vor allem die kleinen europäischen Länder – werden eher die Verlierer sein. Das unverantwortlich herbeigeführte inflationäre Ungleichgewicht wird unsere Chancen auf einen Neustart unseres Wirtschaftswachstums blockieren. Leider haben wir das verdient, denn wir haben uns nicht ausreichend bemüht, die Inflationspolitik zu stoppen.

Der Zweck von Zusammenkünften wie dem bereits 9. Global Forum in Baku ist es, Menschen zusammenzubringen, um dringende Fragen und anstehende Herausforderungen offen zu diskutieren und um gegenseitiges Verständnis zu werben. Ich bin erfreut, hier zu sein und an dieser Zusammenkunft in Baku teilzuhaben.

Václav Klaus, IX Global Baku Forum, Panel 3: “Today’s Threats to Energy: Their Nature, Scope and the Need to Address Them in New, Wise Ways”, Baku, Azerbaijan, June 16, 2022.

 

Anmerkungen der EIKE-Redaktion

Wir danken dem ehemaligen Tschechischen Staatsprädidenten Dr. Vaclav Klaus ganz herzlich für die freundliche Genehmigung, seine Rede in Baku in den EIKE-News abzudrucken (Übersetzung des Englischen Originals (hier) von Prof. Dr. H.-J. Lüdecke)

Es dürfte unsere Leser kaum überraschen, dass EIKE den Inhalt der Rede von Vaclav Klaus vollumfänglich teilt, nämlich gegen Planwirtschaft und für freie soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Ehrhards. Auch in der Ablehnung von „Klimaschutz“, Energiewende und „great reset“  (auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos propagierte Weltdiktaturbestrebungen (hier), (hier), (hier)) sind EIKE und Vaclav Klaus deckungsgleich. Zwei EIKE-Mitglieder sind mit Vaclav Klaus anlässlich von Vorträgen auf gemeinsamen Veranstaltungen persönlich bekannt.

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