Als ich am Montag den Supermarkt meines Vertrauens mit meiner Assistenzfee betrat, lugten wir beide erst einmal vorsichtig um die Ecke. Die Maskenfreiheit – hatte sie sich hier schon herumgesprochen? Es ist ein relativ kleiner Laden mit engen Gängen, daher wäre ich nicht verwundert gewesen, wenn der Inhaber sich an Karl Lauterbachs Appell orientiert und sein Hausrecht durchgesetzt hätte. Die Corona-Schilder waren allerdings schon vom Eingang entfernt worden. Die Medien vermeldeten heute, dass die großen Supermarktketten sich allesamt weigern, eine Masken-Aufsichtspflicht zu übernehmen. Pflichtschuldigst beteuerte man zwar, wie „bedauerlich” man die Abschaffung des Vermummungszwangs fände, aber zwischen den Zeilen klang ein deutliches „Mach‘ deinen Quatsch doch alleine, Karl!” an.
Da standen wir nun wie ein FBI-Team auf der Schwelle und sondierten vorsichtig die Lage. Ein kurzes konspiratives Nicken ließ uns zu Rebellen werden, die sich todesmutig unter maskierte Kunden mischen würden. Ganz vorne befindet sich die Gemüseabteilung, dort standen schon die ersten Kunden mit FFP2-Maske und wogen ihre Tomaten ab. Der Vorgang des Abwiegens erforderte offenbar höchste Konzentration, unser Sakrileg blieb unbemerkt. Fast war ich ein bisschen enttäuscht, meine vorbereiteten Sprüche nicht loswerden zu können – ist doch das Netz voll von Schlagfertigkeiten, welche renitenten Fans der Maskenpflicht an den Kopf geworfen wurden. Auf nichts ist mehr Verlass, oder war der Laden zu einer Art Vorreiter des Waffenstillstands zwischen den Parteien geworden?
In der Maskenschicksalsgemeinschaft
Aber mal im Ernst: Nachdem wir unbehelligt durch den Laden bis zur Kasse gelangt waren, fragte ich mich, warum ein so friedliches Miteinander nicht schon vorher möglich war. Man lässt den anderen einfach tun, was er für richtig hält, um sich zu schützen. Mittlerweile gibt es einige Geimpfte, die der Impfpflicht öffentlich eine Absage erteilen. Henryk Broder hat schon vor Monaten verkündet, zwar selbst geimpft zu sein, er stellte seine Entscheidung aber nicht ins Zentrum des Corona-Universums. So geht es mir mit der Maske: Wer sich etwa aufgrund einer Vorerkrankung damit sicherer fühlt, dem werde ich nichts Gegenteiliges einreden; allerdings werde ich im umgekehrten Fall meine Entscheidung vehement zu verteidigen wissen. Denn ich lehne nicht das Recht des Einzelnen ab, Maßnahmen gegen eine Infektion zu ergreifen – auch wenn diese von zweifelhaftem Nutzen sind. Es geht dabei um den Respekt vor anderen Meinungen. Nur: Warum war das von einem Tag auf den anderen plötzlich der Fall, wie auf ein geheimes Signal hin?
In den Medien werden derzeit wieder Grafiken aus der Frühzeit des Maskentragens ausgegraben. Daraus sollen wir ablesen, wie wenig nutzbringend die Gesichtsbedeckung sei, wenn das Gegenüber es nicht auch tut. Nach dieser Darstellung leben wir in einer „Maskenschicksalsgemeinschaft”, die uns gnadenlos aneinanderkettet. „Die Masken hoch, die Reihen fest geschlossen”, spuckt mein Gehirn gerade spontan als Assoziation aus – wir sollen glauben, dass jeder einzelne, der „oben ohne“ geht, das Sicherheitskonzept unweigerlich zum Kollabieren bringt.
(Screenshot:Twitter)
Man könnte glauben, die Masken reagieren aufeinander, gesteuert durch eine chemische Reaktion, zu der es zweier getrennter Komponenten bedarf. Nur dann machen sie die Schotten dicht und nichts dringt mehr durch. Besonders überzeugt vom Nutzen der Maske scheinen demnach noch nicht einmal ihre PR-Vertreter zu sein. Man könnte schließlich den besonders Vorsichtigen auch raten, einfach zwei Masken übereinander zu tragen, was ihnen nach dieser Logik ausreichend Schutz bieten müsste. Aber das ist nicht der Sinn der Übung: Man soll sich vielmehr wie ein Sozialschwein fühlen, wenn man nicht mitspielt.
Der Trick ist alt. Wir wurden schon als Kinder mit dem geflügelten Wort „Wenn das alle machen würden…“ auf Linie gebracht. Da wollte man ein Blümchen pflücken und schon rückte in der Fantasie der Eltern ein ganzer Schwarm von Blumenkillern an, welcher der Wiese den Garaus machte. Selbstverständlich trat dieses Szenario niemals ein, aber das schlechte Gewissen hielt noch Jahre an und verhinderte jeden spontanen Alleingang. Egal ob Blümchen, Maske oder Impfung: Es geht nicht um den Schaden, den der Ausreißer eventuell anrichten könnte, sonst würde die Diskussion sachlicher verlaufen. Vielmehr soll er sich angepasst verhalten, damit niemand sieht, dass eigenständiges Handeln eben nicht zur Katastrophe führt. Würde uns der Alltag vermitteln, dass Atmen ohne Maske eine tatsächliche Gefahr darstellt, wären solche Druckmittel nicht nötig.
Halbblind durch den Nebel
Für mich und meinen Hang zur Sozialphobie ist es eine riesige Erleichterung, unbehelligt und ohne Maske einen öffentlichen Raum zu betreten. Wenn man ohnehin verunsichert ist, dann macht einem das eingeschränkte Sichtfeld schwer zu schaffen – denn die Brille beschlägt noch zusätzlich. Man tappt also mit Maske an einem Ort, der einem ohnehin nicht geheuer ist, halbblind durch den Nebel. Wieder besser die Umgebung im Blick zu haben, auch das schafft Sicherheit. Wenn das Seite an Seite mit Maskierten möglich ist, ohne dass man beschimpft wird, soll es mir recht sein.
Die Menschen müssen nach zwei Jahren verfestigter Gewohnheit auch erst wieder lernen, loszulassen – sie haben schließlich fest an die Maskenpropaganda geglaubt. Nur die Tatsache, dass es dazu offenbar eines Signals „von oben“ bedarf, macht Angst. Schon morgen könnte die Bundesregierung eine neue Schikane erfinden. Wären dann wieder alle so unkritisch dabei?
The post Die Masken nieder! first appeared on Ansage.