Horst D. Deckert

DIE NATO: Die Gründungslüge

Das jahrzehntelang gepflegte Lügengebäude der NATO ist brüchiger denn je, schreibt Werner Rügemer.

Nach dem 2. Weltkrieg 1945 wussten die USA: Von der geschwächten Sowjetunion geht keine Gefahr aus. Doch mit dem Zangengriff des Marshallplans und der NATO banden die USA die west-, nord- und südeuropäischen Länder in ihre wirtschaftliche und militärische Expansion ein. Ex-Nazis und Ex-Nazi-Kollaborateure wurden gefördert, andererseits wurden antifaschistische Parteien, Bewegungen, Personen ausgeschaltet, infiltriert, gekauft. Gleichzeitig unterstützten die USA auch die Regierungen im Kampf gegen die Befreiungsbewegungen in den Kolonien – auch wegen der Rohstoffe für die US-Konzerne. Nach 1990 wurde die Gründungslüge und damit der militärisch-kapitalistische Zangengriff mit der „Osterweiterung“ fortgesetzt: Immer erst NATO-Mitgliedschaft, dann EU-Mitgliedschaft. Damit verbunden ist der Abbau von Wohlstand und Freiheit für die Mehrheitsbevölkerung: Die EU und immer mehr US-Konzerne, Investoren und Berater organisieren die Amerikanisierung mit working poor, working sick sowie legalisierter und illegaler Arbeitsmigration – gleichzeitig wird die Militarisierung und Feindschaft gegen Russland ausgebaut: Die Beherrschung Eurasiens von Lissabon bis Wladiwostok war von Anfang an der Plan.

Wir bringen ein Kapitel aus dem Buch von Werner Rügemer: Imperium EU – Arbeitsunrecht, Krise, neue Widerstände, tredition 2021. Natürlich spielt der Krieg in der Ukraine darin noch keine Rolle, aber er wird in mancher Hinsicht erklärbar. Quellenangaben wurden weggelassen.

„Russland“ nach dem 2. Weltkrieg: Keine Gefahr

Im Vorfeld der NATO-Gründung wussten die Verantwortlichen in den USA: Von der Sowjetunion ging keine militärische Gefahr aus. Die geschwächte Macht könnte einen Angriff auf Westeuropa nicht durchhalten, selbst wenn sie es wollte: Die Wirtschaft der Sowjetunion ist weitgehend zerstört und technologisch veraltet, ihr Transportsystem ist zu primitiv, ihre Ölindustrie ist leicht angreifbar. Außerdem verfügt die Sowjetunion nicht über die Atombombe. „Die Männer im Kreml sind kluge Tyrannen, die ihre Macht im Innern nicht durch militärische Abenteuer im Ausland riskieren wollen. Sie wollen den Kampf um Deutschland und Europa gewinnen, aber nicht durch militärische Aktionen“, urteilte George Kennan, der Chefplaner im Außenministerium, 1948 in verschiedenen Memoranden für den Chef des Außenministeriums Marshall, für Präsident Truman und für die US-Botschafter.

Warum aber gründeten die USA und ihre damals noch wenigen Verbündeten dennoch die NATO, ein ausdrücklich gegen die Sowjetunion gerichtetes Militärbündnis?

Die Legende vom „Kalten Krieg“

Die Legende besagt, dass die NATO ein „Produkt des Kalten Krieges“ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war. In Wirklichkeit ist die NATO ein Produkt der amerikanischen Expansion, die bereits vor der militärischen Intervention der USA im Zweiten Weltkrieg im Gange war.

Der „Kalte Krieg“ ist eines der einfallsreichsten ideologischen Konstrukte, das von der US-Meinungsmaschine verwendet wird, um US-Praktiken vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart zu verschleiern. Populär wurde der Begriff durch den wichtigsten US-Ideologen des 20. Jahrhunderts: Walter Lippmann, Vater des „Neoliberalismus“.

Der „Kalte Krieg“ soll bedeuten: Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der militärische Krieg vorbei, und es beginnt die Phase der nichtmilitärischen Konfrontation zwischen dem „freien Westen“ und dem „kommunistischen Ostblock“. Doch während des „kalten Krieges“ führten die USA und die ersten NATO-Staaten heiße, sehr heiße Kriege, z.B. in Griechenland, Korea, auf den Philippinen, in Afrika und Indochina – darauf wird man zurückkommen müssen.

In Wirklichkeit begann der „kalte“ Krieg kurz nach Kriegsbeginn, etwa 1941. Roosevelt und Churchill griffen so spät wie möglich militärisch in den Krieg ein – trotz wiederholter Bitten ihres Verbündeten Stalin: Die Rote Armee und die deutsche Wehrmacht sollten sich gegenseitig so weit wie möglich vernichten. Auch die US-amerikanische und die britische Regierung lehnten es grundsätzlich ab, den internen Widerstand gegen Hitler zu unterstützen. Der Wall-Street-Anwalt Allen Dulles wollte als Chef des in der Schweiz ansässigen Geheimdienstes Office of Stragic Services (OSS) nicht, dass die Attentäter vom 20. Juli 1944 Erfolg hatten – das US-Militär wollte einen vorzeitigen Waffenstillstand mit der Sowjetunion um jeden Preis verhindern. Die Rote Armee sollte im weiteren Kampf gegen Hitlers Wehrmacht möglichst hohe Verluste erleiden.

Vorverlegung der amerikanischen „Verteidigungslinie“ nach Europa

Walter Lippmann, ein Harvard-Absolvent, der sich zunächst als Linker und Sozialist verstand, hatte während des Ersten Weltkriegs für das US-Kriegsministerium die Propaganda für den Kriegseintritt der USA mitorganisiert (Committee on Public Information, CPI): Im Jahr 1917 sollte das pazifistische Neutralitätsversprechen von US-Präsident Woodrow Wilson aufgehoben und der Kriegseintritt der USA gerechtfertigt werden.

Danach hatte Lippmann an prominenter Stelle die globale Expansion der USA theoretisch begründet und journalistisch begleitet – vor allem mit Blick auf Europa und Japan. Als Gegner von Roosevelts Reformkurs (New Deal) hatte er 1938 die späteren Gurus der „neoliberalen“ Wirtschaftstheorie wie Friedrich Hayek, Alexander Rüstow und Raymond Aron zusammengebracht: Hier wurde der euphemistische Begriff „Neoliberalismus“ für die globale, gewerkschaftsfeindliche, antikommunistisch zugespitzte Doktrin des Kapitalismus geprägt.

Im März 1943 schrieb Lippmann: Nach der Eroberung Nordamerikas, Mittelamerikas, der Karibik, der Philippinen und mehrerer Inseln im Pazifik (Wake, Guam, Hawai, japanische Mandatsinseln) seien die USA gezwungen gewesen, „zwei Drittel der Erdoberfläche von unserer kontinentalen Basis in Nordamerika aus zu verteidigen.“ Mit der absehbaren Niederlage der Achsenmächte Deutschland, Japan, Italien und ihrer Verbündeten und Kollaborateure eröffnet sich nun jedoch ein viel breiterer Zugang.

Die USA werden nun nicht mehr in der Lage sein, ihre zuvor eroberten Gebiete nur von ihrem nordamerikanischen Territorium und den verstreuten Inseln im Pazifik aus zu „verteidigen“, so der Geostratege. Vielmehr könne und müsse Amerika seine „Verteidigungslinie“ nun entscheidend ausbauen, „indem wir unsere Außenpolitik auf verlässliche Allianzen in der alten Welt stützen.“ Neue US-Basen könnten nun in Europa und Japan eingerichtet werden. Dies würde es den USA ermöglichen, von der bisherigen passiven zur aktiven „Verteidigung“ ihrer nationalen Interessen überzugehen.

USA 1947: Das „Kriegs“-Ministerium wird zum „Verteidigungs“-Ministerium

Zu dieser Strategie gehörten auch ideologische Kunstgriffe: Die antiliberale und antidemokratische Doktrin des intensivierten Kapitalismus wurde „Neoliberalismus“ genannt.

Und die verstärkte militärische Expansion wurde als „Verteidigung“ ausgegeben. Seit 1789, seit ihrer Gründung, hatten die USA faktisch ein Kriegsministerium: Durch Kriege wurde der nordamerikanische Kontinent in das Staatsgebiet integriert, dann wurden Mittelamerika, die Karibik, Kuba, dann die Philippinen, Puerto Rico, China usw. militärisch durchdrungen, zeitweise besetzt, Vasallenregierungen installiert, Inseln – oder Teile von Inseln wie Guantanamo auf Kuba – besetzt und als permanente Militärbasen ausgebaut.

Doch gerade auf der höchsten Stufe seiner bis dahin auch militärischen Expansion wurde 1947 das Kriegsministerium euphemistisch und faktenlos in Verteidigungsministerium umbenannt. Deshalb wurde die aggressive NATO als „Verteidigungs“-Bündnis bezeichnet.

Der Zwilling: Marshallplan und NATO

Die 1949 gegründete NATO war der Zwilling des Marshall-Plans. Der doppelte militärisch-zivile Charakter wurde von George Marshall selbst verkörpert: Während des Zweiten Weltkriegs koordinierte er als Stabschef das US-Militär auf allen Kriegsschauplätzen zwischen Nordafrika, Europa und Asien. Nach dem Krieg, als Außenminister von 1947 bis 1949, organisierte er den Marshall-Plan. Und 1950 schlüpfte der agile Mann in die Rolle des US-Verteidigungsministers und organisierte brutale Interventionen, darunter Napalm-Bombardements, gegen Befreiungsbewegungen rund um den Globus, in Korea ebenso wie in Griechenland.

Ab 1947 erhielten alle späteren Gründungsmitglieder der NATO Hilfe aus dem Marshallplan: Großbritannien, Frankreich, Portugal, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Dänemark, Island, Italien und Norwegen. Dies setzte sich nach der Gründung der NATO bis zum Ende des Marshall-Plans im Jahr 1952 fort. Darüber hinaus genehmigte der US-Kongress 1949 Hilfen in Höhe von 1 Milliarde Dollar für die Wiederbewaffnung der NATO-Gründungsstaaten. In einigen Fällen wurde die Marshallplanhilfe für militärische Zwecke umgewidmet.

Alle diese Staaten – außer Luxemburg, Italien und Norwegen – waren auch aktive Kolonialmächte. Die meisten von ihnen waren außerdem Monarchien und keine Vorbilder der Demokratie. Die USA selbst unterhielten in neokolonialer Manier zahlreiche abhängige Gebiete rund um den Globus und beherrschten mit Hilfe von Diktatoren Staaten in Mittelamerika und der Karibik – am bekanntesten in Kuba.

Vorläufiger Brüsseler Pakt: „Deutsche“ und „kommunistische Gefahr

Vor der Gründung der NATO durften die zuverlässigsten europäischen Staaten, die als Gründungsmitglieder vorgesehen waren, ihr Vorspiel geben. Im März 1948 verabschiedeten die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und der drei kleinen Benelux-Monarchien, hoch subventioniert durch den Marshallplan, den „Brüsseler Pakt“. Er verstand sich als ein Militärbündnis gegen eine erneute deutsche Aggression und gegen eine drohende sowjetische Aggression.

Diese von den USA geführten Verschwörungspraktiker simulierten Gefahren, die nicht existierten: Deutschland war vollständig entwaffnet und stand unter militärischer Kontrolle der Alliierten, einschließlich der Mitglieder des Brüsseler Paktes selbst – Frankreich, Großbritannien, Belgien und die Niederlande waren Besatzungsmächte in Westdeutschland; und sie konnten mitbestimmen, ob Westdeutschland oder die Bundesrepublik Deutschland wieder aufgerüstet wurde oder nicht. Die Sowjetunion war weder fähig noch willens, Westeuropa anzugreifen, und schon gar nicht bereit, es dauerhaft zu besetzen – diese Einschätzung der US-Regierung war auch den Staaten des Brüsseler Paktes bekannt.

Im Brüsseler Pakt schlossen sich neben Großbritannien die Staaten zusammen, deren Regierungen und Wirtschaftseliten sich nicht gegen die Besatzung durch die Wehrmacht gewehrt hatten, sondern mit Nazideutschland kollaboriert hatten und ebenfalls den „Kommunismus“ als Hauptgefahr sahen. Sie alle fürchteten Bestrafung, Entflechtung oder gar Enteignung nach dem Krieg, die Militärs und Geheimdienste fürchteten Einflussverluste. Doch die USA hielten eine schützende Hand über sie.

Am 4. April 1949 – wenige Monate vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland – wurde in Washington das Militärbündnis North Atlantic Treaty Organization, NATO, gegründet. Es wurde in Anlehnung an den amerikanischen Sprachgebrauch als „Verteidigungs“-Bündnis bezeichnet. Alle anderen Mitglieder waren von den USA abhängig, nicht nur durch den Marshallplan, sondern auch durch zusätzliche Kredite, Militärhilfe und Investitionen. Das Hauptquartier der NATO befand sich bis 1952 in Washington.

Auch dort: Diktator Franco mit Sonderstatus

Die herrschenden Kreise in den USA hatten Mussolinis Faschismus bewundert: Er hatte gezeigt, wie man die „kommunistische Gefahr“ im Westen besiegen konnte. Mussolini wurde von der Wall Street mit Krediten überhäuft, und US-Investoren kauften Anteile an italienischen Unternehmen wie Fiat. Mit Mussolini und Hitler belieferten die US-Konzerne den Faschisten Franco, der die Republik in einem brutalen Bürgerkrieg zerstörte.

Franco hatte am 1. April 1939 den Sieg erklärt – nur zwei Wochen später hatte die Regierung Roosevelt ihren Botschafter in Madrid einbestellt. Nur Mussolini, Hitler, Papst Pius XII. und die britischen faschistischen Förderer König Georg VI. und Premierminister Neville Chamberlain waren schneller gewesen, die Diktatur diplomatisch anzuerkennen.

Aus kosmetischen Gründen wurde Spanien während der Franco-Herrschaft zunächst nicht Mitglied der NATO. Doch die Vereinigten Staaten bezogen Spanien auch ohne formale Mitgliedschaft in ihre europäische Expansion ein. Sie unterhielten hier Militärstützpunkte und förderten die wirtschaftliche Entwicklung, etwa den Tourismus. Der Faschismus war mit „Freiheit und Demokratie“ und der NATO vereinbar.

Krieg gegen Befreiungsbewegungen in europäischen Kolonien

Mit der NATO, mit zusätzlichen US-Militärbasen in den NATO-Mitgliedsstaaten und zusätzlichen Partnerschaften wie mit Spanien drängten die USA nicht nur ihre „Verteidigungslinie“ im Sinne Lippmanns nach Westeuropa. Sie unterstützten auch die von den europäischen Kolonialmächten geführten Kriege gegen die nach dem Krieg erstarkten Befreiungsbewegungen in den Kolonien. Und damit verschafften sich die USA auch Zugang zu den Rohstoffen in diesen Kolonien.

Großbritannien

Großbritannien war während des Krieges von den USA mit Rüstungsgütern, Schiffen und Lebensmitteln beliefert worden und war nun hoch verschuldet. Die USA sorgten dafür, dass der von ihnen 1944 gegründete und kontrollierte Internationale Währungsfonds (IWF) 1947 seinen ersten großen Kredit an Großbritannien vergab: Er diente der Beschwichtigung und Erpressung der Labour-Regierung.

Großbritannien wurde auch in anderer Hinsicht geschwächt: Seine wichtigsten Kolonien, wie Indien, gingen verloren. Bereits während des Krieges hatte Großbritannien mehrere Militärstützpunkte im Commonwealth an die USA abgetreten (Land-Lease-Programm). Zur Zeit der NATO-Gründung bekämpfte die von der Labour-Partei geführte Regierung die Befreiungsbewegung in Ghana, nannte den Führer der Convention People’s Party, Kwane Nkrumah, einen „kleinen lokalen Hitler“ und ließ ihn 1950 ins Gefängnis werfen. Erst 1957 konnte Ghana mit Nkrumah unabhängig werden.

Die USA, die bereits seit 1943 mit ihrem Geheimdienst OSS in Griechenland und der Türkei präsent waren, lösten dort 1948 den britischen Militär- und Geheimdienst ab und übernahmen den Krieg gegen die antifaschistische Befreiungsbewegung in Griechenland.

Kanada

Kanada war als Mitglied des Commonwealth in doppelter Weise abhängig: Seit dem späten 19. Jahrhundert war das Land eine Wirtschaftskolonie der Vereinigten Staaten. Die kanadischen Truppen und ihr Geheimdienst standen unter britischem Kommando, und die britischen Truppen und die gesamte britische Kriegswirtschaft waren den Vereinigten Staaten unterstellt.

Frankreich

Das zweitwichtigste NATO-Mitglied nach Großbritannien war Frankreich. Die US-Armee hatte zusammen mit den Briten und Kanadiern das Land 1944 von den Nazis und der kollaborierenden Vichy-Regierung unter Marschall Pétain befreit. Die linke Résistance, die vom US-Geheimdienst OSS infiltriert worden war, wurde nach und nach ausgeschaltet.

Der unbeliebte General Charles de Gaulle, der gegen Hitler gekämpft hatte und ein unabhängiges Frankreich vertrat, musste bei der Siegesparade auf den Champs Elysées in Paris mitlaufen dürfen, woraufhin er eine provisorische Regierung bildete, der auch die Kommunistische Partei angehörte, die die Résistance angeführt hatte. Diese Regierung wurde jedoch von den Vereinigten Staaten nie anerkannt. Die Weltbank unter Präsident John McCloy gewährte Frankreich noch vor dem Marshallplan ein Darlehen unter der Bedingung, dass die Kommunisten und De Gaulle die Regierung nicht anerkennen: De Gaulle und die Kommunisten müssen aus der Regierung entfernt werden! US-Außenminister Byrnes, Marshalls Vorgänger, versprach einen 650 Millionen-Kredit und die zusätzliche Lieferung von 500.000 Tonnen Kohle.

Christlich lackierte Politiker wie George Bidault, eng befreundet mit dem CDU-Vorsitzenden und späteren westdeutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und wie dieser in Kontakt mit CIA-Chef Allen Dulles, wurden in die Regierung manövriert. De Gaulle wurde hinausgeworfen. Der Kredit wurde bewilligt. Außerdem rüsteten die USA 1948 drei französische Divisionen auf, so dass Frankreich in den besetzten Gebieten in Westdeutschland sogar als ernsthafte Besatzungsmacht auftreten konnte.

Algerien war nicht nur eine französische Kolonie, sondern wurde als Teil Frankreichs betrachtet, wenn auch mit einem rassistischen Apartheidsystem. Dies störte die NATO nicht im Geringsten: Algerien wurde sofort in das NATO-Vertragsgebiet aufgenommen. Der brutale Kolonialkrieg der französischen Regierung verschärfte sich. Bis zur Unabhängigkeit hatte das französische Militär Hunderttausende von Unabhängigkeitskämpfern und Zivilisten getötet.

Gleichzeitig forderte die französische Regierung militärische Hilfe gegen den „Kommunismus“ in der Kolonie Indochina: Die Demokratische Republik Vietnam, die im September 1945 von der Unabhängigkeitsbewegung Viet Minh unter Ho Chi Minh ausgerufen worden war, sollte vernichtet werden – die USA halfen Frankreich mit Militärberatern, Nahrungsmitteln und Rüstungsgütern. Auch McCloy, als Präsident der Weltbank, bewilligte 1949, dem Jahr der NATO-Gründung, einen Kredit für diesen Zweck.

Belgien, Niederlande, Luxemburg

Die drei Benelux-Staaten hatten keinen militärischen Beitrag gegen Hitlerdeutschland geleistet. Ihre Regierungen und Unternehmen hatten im Krieg mit den Nazis kollaboriert. Doch Belgien und die Niederlande wurden NATO-Mitglieder und durften als Besatzungstruppen von US-Gnaden in Westdeutschland einmarschieren.

McCloy gewährte dem Königreich der Niederlande 1949, dem Gründungsjahr der NATO, auch ein Darlehen der Weltbank, damit die Unabhängigkeitsbewegung in der Kolonie Indonesien bekämpft werden konnte. Gegen die 1945 nach der japanischen Besetzung gegründete Republik Indonesien bombardierten die 145.000 niederländischen Soldaten Städte, ermordeten Zehntausende von Widerstandskämpfern und anderen Einheimischen und nahmen die Regierung gefangen.

Belgien

Das Königreich Belgien hielt seine rohstoffreiche Kolonie Kongo auch nach 1945 mit Zustimmung der USA unter Waffen. Die USA hatten sich in der belgischen Kolonie mit Uran eingedeckt, das sie für ihre Atombomben benötigten. Die Bergbaugesellschaft Union Minière du Haut Katanga – an der die Rockefellers beteiligt waren – hatte bereits 1939 ihren Sitz von Brüssel nach New York verlegt.

Nach 1945 wurde der antikoloniale Widerstand im Kongo gnadenlos bekämpft: Gewerkschaften wurden verboten, Streikende wurden erschossen oder öffentlich ausgepeitscht. Später, 1961, wurde in belgisch-amerikanischer Komplizenschaft (König Baudouin, US-Präsident Eisenhower, CIA, einheimische Kollaborateure) der erste Premierminister des neu unabhängigen Kongo, Patrice Lumumba, nach kurzer Zeit bestialisch ermordet.

Portugal

Das faschistische Portugal hatte sich im Krieg neutral verhalten und war deshalb für Nazi-Deutschland wirtschaftlich umso wichtiger gewesen: Als wichtigster Staat lieferte Portugal das kriegswichtige Edelmetall Wolfram zur Stahlhärtung, das zum Beispiel für Gewehr- und Kanonenrohre benötigt wurde. In Portugal wurden raubkopierte Aktien und Raubgold gewaschen, um die deutschen Kriegsanstrengungen zu finanzieren.

Nach 1945 gaben die USA die asiatischen Kolonien Timor und Macau, die von Japan besetzt worden waren, an Portugal zurück. In den afrikanischen Kolonien Mosambik und Angola herrschten kolonialistische Zwangs- und Plantagenwirtschaft (Kaffee, Baumwolle). Die Kommunistische Partei, die wichtigste Befreiungsorganisation, war verboten und wurde verfolgt.

Und die USA und die NATO konnten nun Portugals Atlantikinseln, die Azoren, als Militärstützpunkte nutzen.

Kleinstaaten und spätere NATO-Mitglieder

Island, eine dänische Kolonie, war 1940 von Großbritannien und den Vereinigten Staaten besetzt worden. Das Land hatte 1944 seine Unabhängigkeit von Dänemark erklärt. Daher erhielt Island Mittel aus dem Marshallplan und stimmte seiner NATO-Mitgliedschaft zu. Das kleine Land unterhielt kein eigenes Militär, diente aber als Stützpunkt der USA und der NATO.

Dänemark: Nach der Nazizeit wurde hier eine antifaschistische Regierung gebildet. Ihr gehörte auch die Kommunistische Partei an, die sich den Nazis widersetzt hatte. Auch hier verdrängten die USA mit Hilfe der Sozialdemokratie und des Marshall-Plans die ursprünglich angestrebte Blockfreiheit.

In der dänischen Kolonie Grönland hatten die USA bereits 1941 Militärbasen eingerichtet. Die dänische Regierung, die sich die außen- und sicherheitspolitische Herrschaft über Grönland vorbehalten hatte, stimmte zu: Grönland wurde 1951 zum NATO-Verteidigungsgebiet erklärt. Der US-Militärstützpunkt in Thule auf Grönland wurde zu einem der größten ausländischen US-Stützpunkte ausgebaut und diente der Spionage gegen die Sowjetunion und später gegen Russland und bestimmte die dänische Außenpolitik.

Norwegen: Hier wollte die sozialdemokratische Regierung nach der deutschen Besatzung bündnisfrei bleiben. Doch mit Hilfe des Marshallplans und zusätzlicher Aufrüstungshilfe manövrierten die USA Norwegen in die NATO.

Griechenland: Im Gründungsjahr der NATO zerstörten US-amerikanische Sturzkampfbomber die Stellungen der bereits siegreichen antifaschistischen Befreiungsbewegung in Griechenland und rüsteten das monarchietreue Militär, das mit den Nazis kollaboriert hatte, auf. Dies war die einzige Möglichkeit, die Befreiungsbewegung zu besiegen. Nachdem die USA hier wie in der benachbarten Türkei eine von den USA abhängige Regierung sichergestellt hatten, nahmen sie die beiden Länder 1952 in die NATO auf.

Bundesrepublik Deutschland: Größte US-Festung in Europa

Die USA wollten vor allem die westlichen Besatzungszonen Deutschlands in die NATO bringen. Doch erstens war dieses Westdeutschland noch kein Staat, und zweitens lehnten die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens die Wiederbewaffnung der Deutschen wegen der kritischen öffentlichen Meinung in beiden Staaten zunächst ab.

Doch kurz nach der Gründung des neuen Staates Bundesrepublik Deutschland (BRD) stimmte dessen christlich geprägter Kanzler Konrad Adenauer 1950 (heimlich) der Wiederbewaffnung zu. Er ließ die Friedens- und Neutralitätsbewegung als „kommunistisch“ bekämpfen und aufhetzen. Die USA förderten bereits 1950 die Rüstungsproduktion in der BRD für den Bedarf des Krieges gegen die Volksbefreiungsbewegung in Korea. Die westdeutschen Rüstungsindustriellen setzten sich für die NATO ein. Und bereits im September 1950 nahm die NATO die BRD in den NATO-Verteidigungsraum auf – fünf Jahre vor dem formellen Beitritt zur NATO.

Heute, im 21. Jahrhundert, beherbergt kein anderer Staat der Erde so viele zusätzliche US-Militärstützpunkte – etwa 30 – wie das NATO-Mitglied Westdeutschland.

Die USA überfallen die europäischen Kolonien

Die NATO war also ein Bündnis gegen die postfaschistische und antifaschistische Demokratisierung in Europa und gegen die nationale Selbstbestimmung in den Kolonien. Und der neokoloniale NATO-Führungsstaat USA fiel in die alten Kolonien der Europäer ein.

In den französischen Kolonien Indochina (Vietnam, Laos, Kambodscha) und Afrika (ein gutes Dutzend Kolonien, vor allem von Frankreich, dann auch von Belgien und Portugal) lagerten wichtige Rohstoffe. Die amerikanischen Unternehmen wollten so billig wie möglich an sie herankommen. Unter Evan Just unterhielt die Marshallplanbehörde in Paris die Abteilung „Strategische Rohstoffe“. Sie erkundete und inventarisierte in den Kolonien der europäischen Kolonialmächte zum Beispiel Mangan und Graphit in Madagaskar, Blei, Kobalt und Mangan in Marokko, Kobalt, Uran und Kadmium im Kongo, Zinn in Kamerun, Chrom und Nickel in Neukaledonien, Kautschuk in Indochina, Öl in Indonesien sowie Industriediamanten, Asbest, Beryllium, Tantalit und Kolombit.

Die Marshallplan-Behörde und das Außenministerium organisierten beispielsweise ab 1948 Rohstoffkaufverträge zugunsten der US-Konzerne United Steel, Bethlehem Steel und Newmont Mining. Investmentbanken wie Morgan Stanley und Lazard Frères gründeten gemeinsame Holdinggesellschaften, um Bergwerke in den Kolonien zu modernisieren. Für die Atombomben brauchten die USA nach dem Krieg sogar noch mehr Uran als während des Krieges.

Endlich, endlich Russland erobern? Widerstand!

Für die NATO ging es bei der Gründung nicht darum, den „Kommunismus“ zu besiegen, das war nur eine Vorstufe. Es ging und geht um die US-geführte Eroberung und Ausbeutung Europas, insbesondere Russlands, also ganz Eurasiens von Lissabon bis Wladiwostok (so der US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski 1996) und zwar unabhängig davon, ob es kommunistisch oder kapitalistisch ist.

Die NATO war und ist ein Bündnis, das von Anfang an und dauerhaft gegen die UN-Charta, Artikel 1 „Selbstbestimmung der Nationen“, verstoßen hat. NATO-Mitglieder – und auch assoziierte Mitglieder wie die Schweiz und Österreich – haben sich in unterschiedlicher Weise an den zahlreichen US-geführten Kriegen des zu Unrecht so genannten „Kalten Krieges“ beteiligt, beginnend mit dem Koreakrieg und zuletzt z.B. zwei Jahrzehnte lang in Afghanistan, und dabei verarmte, verwüstete Länder hinterlassen, mit hohen Profiten für die Rüstungs-, Energie-, Zuliefer- und private Militärdienstleistungsindustrie.

Und selbst unter dem ansonsten eher kritisch eingestellten Präsidenten Donald Trump folgten die europäischen Partner der NATO in der antirussischen Agitation und Aufrüstung zur Eroberung des eurasischen Theaters, notfalls auch wieder mit Krieg, diesmal mit Atombomben, der Führungsmacht der NATO.

Mit der Osterweiterung der NATO wurde die Gründungslüge fortgesetzt. Die EU-Mitgliedschaft der ex-sozialistischen Staaten folgte immer einige Jahre nach der NATO-Mitgliedschaft. Die EU ist nach wie vor ein Anhängsel der NATO. Die relative wirtschaftliche Unterstützung durch den Marshallplan brachte nur relativen Wohlstand – und das war nur ein vorübergehendes Zugeständnis. Er endete 1990. Seitdem demontiert die EU gemeinsam mit US-Konzernen, Investoren und Beratern Schritt für Schritt den relativen Wohlstand, zunächst in Osteuropa, spätestens seit der Finanzkrise“ von 2008 aber immer schneller auch in den reichen“ Staaten Westeuropas.

Es steht viel auf dem Spiel. Das jahrzehntelang gepflegte Lügengebäude der NATO ist brüchiger denn je. Der Widerstand dagegen muss und kann auf allen Kontinenten eine neue Kraft bekommen. Die rechtlich-politische Grundlage sind das ursprüngliche UN-Völkerrecht und die UN-Menschenrechte, zu denen auch Arbeits- und Sozialrechte gehören. Und dass das Militär der Umwelt mehr schadet als andere, können auch Umweltschützer noch lernen.

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