Horst D. Deckert

Die Sache mit dem Testkauf

Wissen Sie was ein Testkauf ist? Testen hört sich eigentlich gut an und scheint wichtig zu sein. Kaufen gehört ja auch zu unserer schönen heilen Welt der Konsumgesellschaft. Im Handel laufen Testkäufe vergleichsweise so ab, wie es Tester von Restaurants oder Hotels handhaben, um Leistungen zu bewerten und zu honorieren, mag man denken. Weit gefehlt, erfuhr ich in Gesprächen mit einer Betroffenen. Die Arbeitnehmerschaft erlebt einen Alltag im Handel, der von vielen Faktoren negativ beeinflusst wird, die zudem ebenso nicht kundenfreundlich sind. Es scheint wie ein Wunder, dass viele aus der Branche für die Kunden durchhalten und mitunter lange Berufsjahre für die Supermärkte tätig sind. Sie hoffen auf Besserung eines Zustandes, der viel über unsere aktuelle Gesellschaft verrät. Von Frank Blenz

Schöner Alltag Supermarkt

Der Laden für die Waren des täglichen Bedarfs bei mir um die Ecke hat – gefühlt – immer auf. Das Geschäft ist ein mittelgroßer, gut sortierter Supermarkt mit einem stabilen Mitarbeiterstamm, der besteht aus etwas mehr als ein halbes Dutzend Frauen, die stoisch ruhig und zuverlässig ihrer ganz und gar nicht einfachen Arbeit nachgehen. Zwei Mal die Woche (mindestens) rollt ein LKW an, der von einem Mann im Alleingang geleert wird. Be- und Entladen von Waren auf Paletten sowie Leergut und Pappe inklusive. Diese angestellten Leute haben es nicht leicht, die Tage für die Frauen sind lang, die Waren viel. Die Backshop-Zeile muss bestückt werden, nachdem der Backofen geleert wurde. Der Leergutautomat streikt immer mal wieder, die Preisschilder müssen aktualisiert, die Sonderangebote präsentiert werden.

An der Kasse „stauen“ sich die Kunden und einer ruft sicher zeitnah und ungeduldig, ob nicht noch eine weitere Kasse geöffnet werden könne. Derweil steht eine junge Verkäuferin draußen am Tor der Anlieferzone. Sie raucht eine Pausenzigarette in der Kälte, sie wischt ein paar Minuten Neuigkeiten auf ihrem Smartphone. Es scheint, als gäbe es keinen Pausenraum. Gleich muss sie wieder ran, neue Ware einsortieren. Drinnen tobt derweil das Leben. Die Ordnung der Regale löst sich über den Tag auf, mehr und mehr Waren landen an Orten, wo sie nicht hingehören – achtlose Kunden lassen liegen, was sie dann doch nicht kaufen wollten. Milchkartons im Schokoladenregal, Kaffeeverpackungen im Kassenbereich, eine Melone liegt neben den Blumen. Manchen Kunden scheint es egal, abends wird das Supermarkt-Team ja wieder alles schön aufräumen.

Und noch ein Problempublikum nimmt sich seinen Teil. Über den Tag verteilt, bedienen sich weitere, andere Besucher der Waren, in dem sie die n i c h t bezahlen… Manchmal schafft es ein Ladendetektiv, einen Dieb zu stellen. Die Schlange an der Kasse lichtet sich. Ein alter Mann legt seinen kargen Einkauf auf das Band, er stellt fest, die Himbeeren sind doch zu teuer, sein Geld reicht dafür heute nicht mehr. Freundlich tröstet die Kassiererin und storniert den Posten Frischobst.

Der beschriebene Supermarkt steht für viele, behaupte ich, der nicht nur den bei sich um die Ecke besucht, der Ort des Handels präsentiert sich an und für sich als ein moderner, schicker Ort. Der alte Mann mit seinem Himbeererlebnis wie auch die anderen Kunden werden aber schon länger mitbekommen haben, dass damit eine Scheinwelt vorgegaugelt und der Kunde verschaukelt wird. Das fängt schon bei der Auspreisung an: Warum muss jeder Preis mit der Zahl 9 enden? Das ist eine Täuschung, eine Irreführung, der Versuch, dem Kunden, selbst dem aufmerksamen, Mathematik affinen das Vergleichen mit anderen Preisen zu erschweren. Die Taktik der Mogelpackung ärgert die Einkaufenden nicht minder. Waren früher 200 Gramm Käse in einer gwohnten Packung, sind es neuerdings schon mal 150, bei der Wurst wird aus 100 auch mal 80 Gramm. Die Absicht dahinter ist durchschaubar: Weniger Ware für das gleiche Geld. Das sind lediglich zwei Beispiele. Es bleibt ja auch nicht bei den gleichen Preisen. Die ziehen weiter an, spürbar und dreist. Einfache Nudeln, Soßen – sie kosten jetzt teils das Doppelte. In des Kunden Geldbörse verdoppelt sich der Bestand nicht.

Verärgert rollt man den Wagen gen Kasse, begleitet von der Durchsage aus dem Markt-Radio, die von einer sonoren Frauenstimme gesprochen wird, welche eine glänzende Karriere im Markt verspricht, falls man Lust hätte, ins Team zu kommen. Interessant, vielfältig, fair entlohnt und familienfreundlich betreffs der Arbeitszeiten gehe es zu, so das Versprechen…

Testkauf und andere Arbeitgeberideen

Die Verkäuferinnen und Verkäufer, die Zuarbeiter, die Transportarbeiter arbeiten also in diesem Umfeld, mit all diesen teils zermürbenden Aufgaben, unter der Verpflichtung der Supermarkt-Konzerne, diesen Kurs versus Kundschaft und sich selbst durchzuziehen. Gerade herrscht Hochkonjunktur des Wortes Inflation. Die sei verantwortlich für die gestiegenen Preise, heißt es heuchlerisch. Richtig ist hingegen, dass die Großen im Markt das Sagen haben, also die Preise bestimmen. Die Wirtschaftsexpertin Friederike Spieker sagte vor kurzem in einem Interview:

„Wenn der Wettbewerb zu schwach ist, können Unternehmen ihre Gewinnmargen ausbauen. Da hilft nur genaues Hinschauen und im Zweifel hartes Durchgreifen der Kartellbehörden, vor allem wenn es sich um Bereiche des grundlegenden Bedarfs wie Lebensmittel oder Energie handelt.“

Mitten im Gedränge des Tages schlichtet ein weiter Kunde seine Waren auf das Band. Die Kassiererin scannt die Positionen, fragt dann den Kunden nach seiner Bonuskarte und weiteren Wünschen aus und wünscht schließlich einen schönen Tag. „Ebenso“, wird ihr geantwortet.

Das war ein Testkauf.

Eine meiner engsten Bekannten, die in der Lebensmittelbranche tätig ist, beschrieb mir das Vorgehen und meinte: „Klar, die Kassiererin ist stets angehalten, die Waren ordentlich zu registrieren, richtig zu kassieren, aufzupassen, dass nichts geklaut wird. Der Supermarkt sorgt weiter für Sicherheit mittels Diebstahlsicherungen und Detektiven.“ Der Testkauf stehe aber für etwas anderes, so die gelernte Einzelhandelskauffrau. „Die Verkäuferinnen werden unter Druck gesetzt und kleingehalten. Schnell setzt es bei einem Fehler eine Abmahnung, die Frauen wissen nie, wann ein Testkauf kommt, was dann passiert.“ Sie berichtet mir von Testkäufen in Baumärkten, wo „Diebesware“ so unter gekaufter Ware platziert werde, dass es der Kassiererin unmöglich sei, das – mitunter gar in der Hektik einer Kundenwarteschlange – zu erkennen.

„Das ist gewollt, man provoziert den Fehler, man ertappt sie dann und kann drohen.“ Gerade in dieser Situation werde sehr genau hingesehen und gefordert. „Bei Angelegenheiten hingegen, die die Verkäuferin direkt betrifft, Lohn, Arbeitszeit, Kleidung, Arbeitsumfang, Prämien, herrsche eine enorme Trägheit der Arbeitgeberseite. Es sei kein Wunder, dass sich das herumspricht, und die Bewerberzahlen in diesen Berufen nicht noch oben schnellen. „Es geht nicht nur denen im Handel so, auch die LKW-Fahrer werden ausgeschmiert. Und dann noch gegeneinander ausgespielt.“

Wo sollte die Reise hingehen?

Mehrere Jahrzehnte habe sie im Handel in verschiedenen Märkten und Branchen gearbeitet, berichtete meine Bekannte, sie, die den Lebensmittelmarkt liebt, diesen Dialog mit den Kunden, das Versorgen der Menschen. Sie weiß um die Wichtigkeit eines Lebensmittelladens, um die „Systemrelevanz“. Nicht umsonst heißt so eine Einrichtung ja auch „Laden für Waren des täglichen Bedarfs“. Sie bedauert, dass diese Arbeit so wenig gewürdigt werde, beobachtet und erlebt am eigenen Leib, wie der Druck schleichend und andauernd mindestens beibehalten und sogar für ein „verbessertes Betriebsergebnis“ erhöht werde. „Früher war der Laden einer mit Regalen, jetzt ist da auch eine Bäckerei drin. Die Verkäuferin wird zur Bäckerin sozusagen. Nun kommen die ersten Selbst-Scanner-Kassen in Mode, die Kassiererin wird zunehmend überflüssig. Und der Kunde versteckter Weise gar zum Mitarbeiter, zum Selbstbediener – ohne dass der Preis geringer wird.“

Was tun? Die Lage verbessere sich nur, wenn die Arbeitnehmer ihre Rechte besser einklagen, erstreiten können, wenn sie besser organisiert sind, so die altgediente Einzelhandelskauffrau. Die Kunden seien auch gefordert, mehr in kleinen Läden kaufen, solche Geschäfte unterstützen, die gerade neu gegründet wurden. Ja, die großen Player dürfe nicht der ganze Kuchen überlassen werden.

Der Handel muss sich wandeln: kürzere Öffnungszeiten, mehr Personal, das dann zu haben ist, wenn das Umfeld stimmt. Der Druck würde geringer, das merkten auch die Kunden, die Verwahrlosung bis hin zu der ganzen Unordnung fände so nicht statt.

„Es reicht nicht, wenn die Musik aus dem Supermarkt-Radio fetzig klingt und die Stimme der Moderatoren warmherzig, die Waren bunt und ansprechend präsentiert und eine heile Supermarkt-Welt vorgespielt wird – die Menschen müssen in den Vordergrund rücken und es muss um das Kerngeschäft gehen, der Handel ist ein Ort des Vertrauens und der Begegnung.“

Titelbild: Ground Picture/shutterstock.com

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