Die Nationalratssitzung am heutigen Donnerstag hat es in sich. Bevor die umstrittene türkis-grüne Steuerreform und dann der Impfzwang durchgepeitscht wird, gab es eine “Aktuelle Stunde” zum Russland-Ukraine-Konflikt. Die Anregung dazu stammte von NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter. Der ehemalige Journalist ist der Ansicht, dass das kleine, neutrale Österreich dem russischen Bären eine Ansage machen muss. Die Grundlage ist ein Gespinst an Halbwahrheiten, die das Potenzial haben, ganz Europa ins Unheil zu stürzen.
In Siebenmeilenstiefeln wirkt die Ferne näher…?
Dass man es mehr mit den Ansagen als mit der Realität hat, wurde bereits in den ersten Worten offenkundig. Denn sowohl Brandstätter als auch Ex-Kanzler und Außenminister Schallenberg erinnern sich offenbar gerne an die Donaumonarchie. Die gemeinsame Geschichte mit dem westukrainischen Lemberg steht im Fokus. Die altehrwürdige Stadt – bzw. die nahe Westgrenze – liege ja ohnehin näher an Wien als der Arlberg. Nicht einmal das stimmt: Den 583 Straßenkilometern nach Stuben am Arlberg stehen 689 Straßenkilometer in die Grenzstadt Krakowez gegenüber. Aber was sind schon 100 Kilometer…
Das sollte man zumindest meinen, wenn man sich die Fakten besieht. Denn das ganze Aufsehen beschäftigt sich damit, dass Russland ein Militärmanöver etwa 300 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt vollzieht. Das ist aus geographischer Sicht ungefähr so, als würde die deutsche Bundeswehr eine Übung in Ulm abhalten und Österreich fühlte sich bedroht. Oder als würde Ungarn ein Milizwochenende in Mohács im Dreiländereck mit Kroatien und Serbien abhalten und es wäre ein Angriff auf unsere Grenzen. Aber weil es ja der russische Erbfeind ist, will man offenbar Vorsicht walten lassen…
Absurdes Framing: Neidhammel droht mit Dunkelheit
Dabei ist den Handelnden kein Vergleich zu abenteuerlich. Man stößt sich daran, dass das Heer eines souveränen Landes sich auf dem eigenen Territorium oder eines nahen Verbündeten bewegt. Das normalste der Welt, aber hier natürlich ein Vorzeichen eines feurigen Krieges in Europa. Die Zeiten des “kalten Krieges” sind vorbei, aber man fürchtet sich bereits vor einem “heißen Krieg”. Der absurde “casus belli” in der Welt des Ex-Schreiberlings im pinken Gewand? Putin hätte keinen Wohlstand geschaffen und will deshalb verhindern, dass sich die Ukraine diesen bei der EU abholt.
Deshalb will er nun Nord-Stream 2 “zur Verhandlungsmasse” machen, es brauche “Konsequenzen” gegen Putin, wenn man “auf Augenhöhe” diskutieren will. Dass einfache Bürger wenige Kilometer weiter im Gemeindebau auf die wichtige Gas-Pipeline hoffend frieren, weil sie sich infolge des eklatanten Preisanstiegs keine warme Wohnung mehr leisten können, scheint ihm einerlei. Bereits ab März soll in Österreich und Deutschland das Gas ausgehen aufgrund der irren Anti-Putin-Politik der EU, wie Wochenblick berichtete. Hauptsache gegen die “Dunkelheit” aus dem Kreml, die sich auch droht über den Balkan zu legen. Was wäre die Welt schon ohne Feinderzählung, in der russische Despoten stets hinter Zwiebeltürmen Böses aushecken?
Nicht alles das hinkt, ist ein Vergleich…
Nicht minder grotesk ist die Einstufung Schallenbergs. Der betont zwar die Wichtigkeit Russlands als Partner für die Stabilität in Europa. Aber es geht offenbar vor allem darum, die vermeintliche globale Drohkulisse aufzubauen. Die Androhung Putins, in Venezuela oder Kuba Raketen zu stationieren, reißt er dafür aus dem Kontext: Denn die NATO positioniert seit Jahren ihre Kernwaffen in Europa – in Abschussdistanz zu Russland. Und dann wären da noch Cyberangriffe in der Ukraine. Da wisse man zwar nicht, wer wirklich dafür verantwortlich ist. Aber Russland wird schon irgendwas damit zu tun haben.
Und daher befinde man sich im “Vorhof eines Kriegsschauplatzes”. Er vergleicht Russland vollmundig mit einem “Brandstifter, der Angst vor dem Feuer hat”. Und die Panzer, die in 300 Kilometer Distanz auffahren, sind ganz schlimm. Das erinnert ihn an das das Sowjet-Vorgehen gegen Volksaufstände in den Jahren 1956 und 1968. Wie ich bereits auf Twitter andeutete: Mich machen solche steilen Einstufungen – gelinde gesagt – ein wenig ratlos. Wir sind wieder bei den alten Feindbildern: Der glorreiche Westen – und die Gefahr des “Iwan”, der seit 200 Jahren vor der Tür steht, aber nie anklopft.
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Neutralität als Tugend statt als Worthülse verstehen
Man darf das Ganze nicht falsch verstehen. Ich bin ein Mensch, der zu Konflikten zwischen anderer Herren Länder traditionell eher eine Politik der Nicht-Einmischung befürwortet und eine tatsächlich neutrale Position einnimmt. Ich habe Verständnis für das Verlangen der Ukrainer, sich eine Art nationale Identität zu erschaffen und dabei auch über den Tellerrand zu blicken. Ebenso habe ich Verständnis dafür, dass Russland sich auch den Abermillionen von Russen in der Ukraine – im Süden und Osten in einigen Regionen in der Bevölkerungsmehrheit – verpflichtet fühlt.
Auch geopolitisch ist es nachvollziehbar, dass sich Russland sein Bruderland gerne nahe hält – anstatt einen Außenposten des transatlantischen Bündnisses vor die Tür gesetzt zu bekommen. Da können sich Schallenberg, Baerbock & Co. noch so auf die Hinterfüße stellen und aufmucken: Sie sind letztendlich nur Stellvertreter für Washington und seine Interessen. Dafür sind sie, wie das Gewurstel bei “Nord Stream 2” zeigt, sogar bereit, eigene Interessen hintan zu stellen. Und die Rolle des formal neutralen Österreichs sollte hier bestenfalls jene des Vermittlers sein – anstatt weiteres Öl ins Feuer zu gießen.