Unter einer „zweiten Chance“ habe ich mir immer vorgestellt, jemandem, der es bereut Mist gebaut zu haben, die Möglichkeit zu geben, dies wieder auszubügeln. Weil man weiß: Wir alle machen Fehler, biegen auch mal in die falsche Richtung ab oder verrennen uns in eine Idee, die sich im Nachhinein als ziemlich blödsinnig erweist. Gerade bei jungen Menschen ist man geneigt, das als Ergebnis der „Sturm- und Drangzeit“ zu entschuldigen – wenn sie zur Einsicht gekommen sind und einen Neustart benötigen.
Wer den jüngsten Gastkommentar von Nemi al-Hassan in der „Berliner Zeitung“ liest („Ich bin Palästinenserin – deal with it!„), darf allerdings bezweifeln, ob sie überhaupt begriffen hat, worin das Problem ihrer Äußerungen liegt. Gleichzeitig weiß sie allerdings genau, welche Knöpfe sie bei linksliberalen Deutschen drücken muss: Es wird uns zwar seit Jahren von Migrationsstämmigen eingetrichtert, wie böse und rassistisch es ist, jemanden nach der ursprünglichen Heimat seiner Familie zu fragen, auch wenn es aus freundlichem Interesse am Gegenüber geschieht – aber es ist im Gegenzug jederzeit möglich, diese Herkunft als Joker einzusetzen, wenn man dann auch nach den selben Maßstäben wie ein Deutscher beurteilt wird.
Die üblichen doppelten Maßstäbe
Wir sollen in al-Hassan nun also die Palästinenserin sehen, denn sie weiß genau, wie das auf viele Deutsche wirkt. Da flammt bei letzteren ein nicht ganz uneigennütziger Beschützerinstinkt auf, denn hinter der Fassade des angeblichen Freiheitskampfes kann man seine apologetische Philosophie à la „Die Juden sind auch nicht besser als wir“ gut verstecken. Wenn man nun aber an einer Demonstration teilgenommen hat, bei der „Juden ins Gas“ gerufen wurde, ist das nun aber auch für linke Antisemiten zuviel des Guten. Wäre diese Veranstaltung von der NPD organisiert worden, hätte unsere freundliche Journalistin garantiert kein Bein mehr auf den Boden bekommen. Aber die Unterschiede bei den angelegten Maßstäben kennen wir alle zur Genüge.
Nemi al-Hassan versuchte daraufhin, die Kritik an ihrem Tun als rechtsextreme, rassistische Menschenjagd – wie originell! – erscheinen zu lassen, und schaffte es sogar, dass sich einige Juden auf ihrer Unterstützer-Liste einfanden, die sie in Schutz nahmen. Das finden ihre linken Fans natürlich großartig, denn wenn sie etwas noch lieber mögen als tote Juden, dann sind das solche, die sie vor ihren Anti-Israel-Karren spannen können.
Natürlich steht es Nemi al-Hassan frei, sich zu ihrem Palästinenser-Sein zu bekennen, was per se nichts Negatives ist. Schließlich wird auch der bekannteste Wassersprudler in deutschen Haushalten von Israelis und Palästinensern Seite an Seite gefertigt. Auch wäre es eine gute Sache, sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen in manchen Teilen Gazas einzusetzen. Nemi al-Hassan allerdings kommt gar nicht erst auf die Idee, dass einige der Probleme dort hausgemacht sein könnten; sie unterstützt nicht von ungefähr die BDS-Bewegung.
Blind für hausgemachte Probleme in Gaza
BDS ist die „Quassam-Rakete light“ unter den Pro-Palästina-Bewegungen, die vorgibt, im Interesse der Palästinenser zu handeln, aber mitnichten eine Zwei-Staaten-Lösung anstrebt. Vielmehr will man Israel durch Boykotte „austrocknen“. Was nur wenig netter klingt als die iranische Atombombe, steht im besten Einklang mit der Hamas-Charta. Deshalb ist die BDS-Bewegung, auch wenn sie in Deutschland sogar auf evengelischen Kirchentagen wohlgelitten ist, keine harmlose Bürgerinitiative, die sich um den sozialen Wohnungsbau in Gaza kümmert. Wer sie unterstützt, weiß genau, was ihre Ziele sind.
Nemi al-Hassan ist eigenen Angaben nach seit letztem Jahr ausgebildete Humanmedizinerin. Wenn es sie tatsächlich so sehr drängt, etwas für ihr „geschundenes“ Volk zu tun, würde man sich sicherlich in einer Klinik im Gaza-Streifen über ein Hilfsangebot freuen (auch wenn die dortige Bevölkerung den israelischen Kliniken mehr Vertrauen schenkt und scharenweise die Grenze überwindet, um sich im Feindesland kurieren zu lassen). Dort könnte sie sich auch mit eigenen Augen überzeugen, warum die Hilfsgelder aus Europa nicht bei der Bevölkerung ankommen.
Aber nachdem der WDR sich schweren Herzens von ihr getrennt hat, nutzt sie diese Chance keineswegs. Ihr Weg führt sie stattdessen direkt zum ZDF. Dort weiß man – das ist leidgeprüften Nachrichten-Sehern bekannt – palästinensische Expertise sehr zu schätzen. Durch die Drehtür hinaus aus dem Sender und direkt in den nächsten hinein: Da haben sich wohl einige Redakteure auf Verstärkung gefreut und schon einmal den Sekt kaltgestellt.