«Die Welt steht für mich am Rande eines Atomkriegs, einer grossen Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Osten», sagt Journalist Roger Köppel gleich zu Beginn, so unfassbar dies auch klingen möge. «In der Geopolitik muss man auch immer mit den schlechtmöglichsten Varianten rechnen.» Das Kriegsrisiko steige stündlich.
Dabei zieht Köppel auch die westlichen Leitmedien in die Verantwortung. «Die Medien haben sich geradezu hineingesteigert in eine Art Kriegsbegeisterung, hypnotisiert von ihren Dämonisierungen und Feindbildern.» Dies sei eine höchst alarmierende brodelnde Stimmung.
Wladimir Putin sei wild entschlossen, in der Ukraine einen Erfolg herbeizuführen: «Einen Misserfolg kann er sich gar nicht leisten.» Er habe alles auf eine Karte gesetzt: «Das ist entweder der Anfang vom Ende von Putin oder ein geostrategisches Abenteuer mit offenem Ausgang.» Offensichtlich sei Putin aber zum Äussersten bereit. Er selbst hätte nicht geglaubt, dass der russische Präsident tatsächlich in die Ukraine einmarschieren würde, sagt Roger Köppel. Dies sei durch nichts zu rechtfertigen. Über Putins wahre Motive und Hintergründe könne man letztlich nur rätseln.
Der Westen habe mit den Sanktionen bereits «die finanzielle Atombombe» gezündet. «Der russische Staat sieht sich durch diese Massnahme existenziell bedroht.» Roger Köppel erinnert dabei an historische Begebenheiten wie Pearl Harbor, als die USA Japan von der Lieferung von Rohstoffen abschnitten. Wenn sich eine Grossmacht existenziell bedroht sehe, passiere eine Eskalation: «Wie ein wildes Tier, das sich in die Ecke gedrängt fühlt.»
Der Westen habe nun alles andere als deeskaliert, hält der Weltwoche-Chefredaktor fest. Die EU sei rhetorisch in den Krieg eingetreten und sie liefere der Ukraine Waffen. Dies erinnere an die Situation vor dem Ersten Weltkrieg. «In Sarajevo geschah ein politischer Mord und am Ende wurde die ganze Welt in Brand gesteckt.» Er wolle keine Horrorszenarien an die Wand malen, aber «es ist eine Plausibilität da, dass eine ganz tragische Situation heraufbeschworen wird».
«Es besorgt mich darüber hinaus, dass ich keine mässigenden Stimmen mehr finde.» Die fortschreitende Dämonisierung Putins bestätige den Westen darin, «dass man selbst überhaupt keine Fehler gemacht hat». Man sei nicht mehr bereit, zu differenzieren. «Die Medien heizen diese Stimmung an», klagt Köppel an. Um eine friedliche Koexistenz anzusteuern, brauche es doch «die Bereitschaft zur Verständigung», betont er.
Zur Schweiz: «Ich bin entsetzt über das, was der Bundesrat entschieden hat.» Der Bundesrat habe sich dem Druck gebeugt und die EU-Sanktionen gegen Russland übernommen. Die Schweiz hätte für die Kriegsparteien einen neutralen Ort bieten können, «einen Fluchtort, wo man aus dem Wahnsinn des Krieges wieder ausbrechen kann». Aber tragischerweise sei die Schweiz eingeknickt. «Die Schweiz ist eine Kriegspartei in den Augen der Russen.» Es sei unglaublich, dass der Bundesrat nicht der Auffassung sei, die Neutralität gebrochen zu haben. Die Welt habe dies mit einer gewissen «Schockiertheit» zur Kenntnis genommen. «Das wird international nicht bejubelt», so Roger Köppel.
Die Schweiz dürfe sich nicht in Kriege der anderen hineinziehen lassen, warnt Köppel: «Wenn die Russen uns als Kriegspartei sehen und die EU schon das Gefühl hat, wir seien Mitglied, (…) dann plötzlich können auch Raketen in die Schweiz fliegen.» Man müsse sich fragen, ob «die in Bern», die die Neutralität noch immer gewahrt sähen, in einem Metaversum unterwegs sind.
«Wir sind genauso Gefangene dieser Feindkonstellation» wie Putin es dem Westen gegenüber sei: «Zu lange hat man im Westen die Dämonisierung dieses Kreml-Herrschers als Strategieersatz genommen.» Man habe einfach gesagt, Putin sei der üble Kerl im Kreml und wir im Westen seien die «good guys». In der Geopolitik dürfe die Situation aber keinesfalls emotional betrachtet werden. «Wie kommen wir wieder aus dieser Situation?», fragt sich Roger Köppel: «Wäre es nicht vernünftiger, dass wir wieder etwas abrüsten, und zwar mental, geistig und bei der Selbstgerechtigkeit?»
Genau da brauche es eine glaubwürdige Schweiz, einen neutralen Ort, mahnt Köppel. «Eine Friedensinsel.»
Das ganze Video von Roger Köppel sehen Sie hier.