Horst D. Deckert

Energiepolitik. Hätte der Ukraine-Krieg verhindert werden können?

von Edgar L. Gärtner

Die EU-Kommission hat sich durch ihr Nachgeben gegenüber der in Brüssel einflussreichen grünen Lobby deutscher Provenienz in der Energiepolitik selbst erpressbar gemacht. Sie hat damit (ungewollt) Wladimir Putin ermutigt, seine Probleme mit der Ukraine und der NATO militärisch zu lösen. Samuele Furfari, ehemaliger Top-Beamter der EU-Direktion Energie, wird nicht müde, das zu wiederholen. Er verweist dabei auf das mit seiner maßgeblichen Beteiligung entstandene EU-Grünbuch zur Energieversorgungssicherheit, das die Kommission im Spätherbst 2000 vorlegte. Darin schlägt die Kommission eine Strategie der Diversifizierung der Energieversorgung vor – und zwar auf dreierlei Weise: Diversifizierung der Energiequellen (Kohle, Öl, Gas, Kernkraft, Wasserkraft usw.), zweitens Diversifizierung der Herkunftsländer und drittens Diversifizierung der Versorgungswege. Doch stattdessen setzte Angela Merkel ab 2005 auch in Brüssel ihre Agenda der „Energiewende“ durch. Deutschland und einige seiner Nachbarländer wurden nach und nach mit riesigen Windrädern bepflanzt. Da deren Leistung stark wetterabhängig ist, benötigen sie Backup-Kraftwerke, wozu sich am besten schnell hochfahrbare Gasturbinen eignen.

Schon im September 2008 (ich nahm gerade am 8. Economic Forum über das Thema Energiesicherheit im Badeort Krynica-Zdrój in den Karpaten teil) wies ich in einem Meinungs-Beitrag im „Wall Street Journal“ darauf hin, dass der Anstieg des deutschen Gasbedarfs eng mit dem Rhythmus des Ausbaus der Windkraftanlagen korreliert ist und dass daraus – angesichts der damaligen russischen Invasion in Georgien – eine Gefahr für die Energiesicherheit Deutschlands und Europas durch eine zu große Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland erwächst. Heute ist die EU zu über 45 Prozent von russischen Gasimporten abhängig, Deutschland sogar zu 55 bis 60 Prozent. Zuletzt strömten Jahr für Jahr 155 Milliarden Kubikmeter russisches Gas in die EU-Länder. Die EU wurde dadurch zum mit Abstand wichtigsten Gas-Kunden der Russen. Im Rahmen der von der NATO und der EU gegen Russland verhängten Sanktionen soll die EU bis Ende 2027 nun ganz auf russisches Gas verzichten können. Schon in diesem Jahr sollen die Gas-Importe nach dem Willen Ursula von der Leyens um ganze 100 Milliarden Kubikmeter reduziert werden. Doch das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch physisch unmöglich.

Die ratlose Ampel-Regierung in Berlin setzt nun auf Flüssiggas-Importe aus den USA – Gas, das zum größten Teil mithilfe der Fracking-Methode gewonnen wird, die die EU-Staaten verboten haben, um sich selbst zu kastrieren. Das amerikanische Flüssiggas, abgekürzt LNG (Liquid Natural Gas), kostet etwa dreimal so viel wie das Russengas. Andere bedeutende LNG-Lieferanten wie etwa Australien, Katar, Algerien, Malaysien oder Nigeria kommen dafür kaum in Frage, da ihre Kapazitäten längerfristig durch Lieferverträge mit China, Japan und Südkorea gebunden sind oder in Algerien hauptsächlich der Eigenversorgung dienen. Um allein die 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die die Pipeline Nord Stream 1 jährlich von Sibirien durch die Ostsee nach Mecklenburg-Vorpommern transportiert, durch LNG aus den USA zu ersetzen, müssten allerdings jeden Tag über 1.000 Gastanker der bislang üblichen Größe deutsche Häfen anlaufen. Noch gibt es aber an der deutschen Nordseeküste kein einziges LNG-Terminal, weil die Grünen deren Bau bislang verhindert haben. Die Entladung eines LNG-Tankers dauert übrigens 20 Stunden, bei größeren Tankern entsprechend länger.

Immerhin gibt es in anderen EU-Ländern einige LNG-Terminals. Auf der Iberischen Halbinsel gibt es acht, die aber nicht an die Gasnetze jenseits der Pyrenäen angeschlossen sind, weil der französische Staat das abgelehnt hat. Sie können also bis auf weiteres nicht dazu dienen, auf relativ kurzem Weg Gas aus Algerien nach Westeuropa zu transportieren. In diesem Jahr kann die EU nach Schätzungen von Samuel Furfari und Alain Préat voraussichtlich nur 15 Milliarden Kubikmeter LNG zusätzlich importieren. Dadurch sänke die Abhängigkeit vom Russengas um acht Prozentpunkte, während die Abhängigkeit vom US-Schiefergas von 7 auf 15 Prozent stiege. Ein Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft wäre dadurch nicht abwendbar. Kurz- und mittelfristig hilft uns deshalb bei der Gasversorgung nur die Erschließung der heimischen Schiefergas-Vorkommen, die in Deutschland auf etwa zweieinhalbtausend Milliarden Kubikmeter geschätzt werden. Dafür müssten allerdings die Grünen ihre nicht nachvollziehbare Ablehnung der Fracking-Technik aufgeben.

Die nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa sich entwickelnde tiefe Energiekrise ist also in jeder Hinsicht hausgemacht. Unsere Lage wird noch durch die von der Biden-Administration, EU-Kommission und den nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten nun geforderte Moralisierung der Geschäftspolitik noch verschlimmert. Im Klartext: Russland soll durch harte Wirtschafts-Sanktionen im Sinne westlicher „Werte“ umerzogen werden. Den Russen wird dadurch das Recht abgesprochen, anders zu ticken als die Westeuropäer. Der Energie-Charta-Vertrag (ECT) von 1994 hätte demgegenüber die Chance geboten, eine europäische Sicherheitsarchitektur auf der Basis verlässlicher Rohstoff-Lieferungen aufzubauen. Ich gehe davon aus, dass Wladimir Putins Angebote auf der Münchner Sicherheitskonferenz und vor den Deutschen Bundestag am Beginn dieses Jahrhunderts keine hinterhältige Taktik waren, um die Deutschen in eine Falle zu locken. Erst der von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Reaktor-Unglück von Fukushima überraschend verkündete „Atom-Ausstieg“, das Verbot der Erdgas-Prospektion und der nur wenige Jahre später von den Grünen aller etablierter Parteien beschlossene „Kohle-Ausstieg“ machten Deutschland erpressbar. US-Präsident Donald Trump hat ausdrücklich davor gewarnt.

Konkreter Auslöser von Putins militärischem Eingreifen in der Ukraine scheint deren dauerhafte Missachtung der Minsk-Abkommen I und II zu sein, die von Frankreich und Deutschland ausgehandelt wurden. Diese Abkommen gestehen den russophonen Donbass-Republiken eine Selbstverwaltung innerhalb eines neutralen und entmilitarisierten ukrainischen Staates zu. Die vom westfälischen Frieden von 1648 inspirierten Abkommen, in der Ukraine nach dem damaligen deutschen Außerminister Frank Steinmeier als „Steinmeier-Formel“ benannt, stießen beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij und seinen Beratern jedoch auf Unverständnis. Dahinter steht vermutlich der Versuch der US-Außenpolitik, eine europäische Lösung des Ukraine-Konflikte zu verhindern. Die US-Politik kann sich aufgrund der weitgehenden Energie-Autarkie der USA die Konfrontation mit Wladimir Putin auf Kosten europäischer Interessen leisten. Immerhin ist von der US-Vize-Außenministerin Victoria Nuland der Ausspruch „Fuck the EU!“ dokumentiert.

 

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