In der EU wird die Auflösung der Grundrechte weiter vorangetrieben. Wie die österreichische Tageszeitung Der Standard berichtete, hat das EU-Parlament am 6. Juli einer stärkeren Kontrolle und Überwachung von Chats und anderer elektronischer Kommunikation zugestimmt. Offiziell heisst es in der Ausnahmeregelung für die E-Privacy-Verordnung (2002/58/EG), dies solle der «Bekämpfung von Kindesmissbrauch» dienen.
Der Standard schrieb: «E-Mail- und Messenger-Dienste können in Hinkunft automatisch und in Echtzeit die Kommunikation der Nutzer, darunter auch hochgeladene Bilder, nach potenziellen Abbildungen von Missbrauch und anderer Kindeswohlgefährdung scannen. Verdachtsfälle sollen automatisch an Ermittlungsbehörden weitergeleitet werden. Dies betrifft vorerst nicht verschlüsselte Inhalte, die teilweise schon zuvor auf freiwilliger Basis durchleuchtet worden waren. Das Vorgehen hat nun eine gesetzliche Basis erhalten …»
Doch das Vorhaben sei seit seinem Bekanntwerden stark umstritten, liess Der Standard wissen. Der Nutzen für Missbrauchsopfer werde angezweifelt und Datenschützer würden in der automatischen Echtzeitüberwachung «eine erhebliche Gefährdung der Privatsphäre im Netz für alle User» sehen. Es werde von einem «Angriff auf das Briefgeheimnis» gesprochen.
In einer ersten Stellungnahme äusserte sich die deutsche Piratenpartei kritisch zum Beschluss. Es brauche keine automatisierten Kommunikations-Scans, sondern mehr sichere Räume, in denen sich Betroffene von Missbrauch trauen, ihre Erfahrungen anzusprechen. Der Polizei selbst stünden bereits ausreichende Onlinetools zur Verfügung, die aber gezielt gegenüber Verdächtigen und auf richterlichen Beschluss hin eingesetzt werden.
Ausserdem wird um die Sicherheit der Kommunikation gefürchtet. Denn um konkrete Inhalte scannen zu können, wie es in der fertigen Verordnung festgelegt werden könnte, müssten die Serviceanbieter Schwachstellen in ihre Programme einbauen. Dies sei etwa nötig, um die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu umgehen, die die Inhalte von Botschaften eigentlich vor dem Mitlesen – auch seitens der Messenger-Betreiber selbst – schützen soll.
Derartige absichtlich implementierte Lücken würden jedoch das Potenzial bergen, auch von Dritten missbraucht zu werden, für die sie eigentlich gar nicht gedacht sind. 2015 habe etwa der US-Geheimdienst NSA solche vorgeschriebenen Hintertüren genutzt, um in einem anderen Staat Spionage zu betreiben.
Wie Der Standard informierte, hat auch der einst selbst von Missbrauch betroffene Privacy-Forscher Alexander Hanff gewarnt, dass die Chatkontrolle zu einer «Auflösung von Grundrechten der Europäischen Grundrechtecharta (…), zum Beispiel das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf Vertraulichkeit in der Kommunikation», führen könne.
Die für den Einsatz vorgeschlagenen, von künstlicher Intelligenz gestützten Tools, würden häufig falsch-positive Ergebnisse erzeugen, also in diesem Szenario eigentlich unproblematische Kommunikation unter Verdacht stellen. «Hanffs Einschätzung nach ist diese Überwachungsmassnahme nicht mit europäischem Recht vereinbar», so Der Standard.