Horst D. Deckert

Geopolitik: Polens Establishment drängt in den Ukraine-Krieg

Gleich zwei Seiten nahm sich die pro-westliche Warschauer Zeitung Gazeta Wyborcza am Wochenende für ihre Vision des Jahres 2024. Dann, so der Autor Miroslaw Czech, werden die „Autokratien“ in ihren letzten Zügen liegen. Das Pamphlet gipfelte in der Erwartung einer Weltordnung, in der „die wichtigen Entscheidungen in Washington getroffen werden“. Für etwas unfreiwillige Komik sorgte lediglich der Titel der atlantischen Vision: „Panzer werden den Frühling gewinnen“ erinnert ein wenig an eine sowjetische Fernsehserie zur Verherrlichung des KGB.

Ein möglicher Grund für die Frühlingsgefühle des Blattes, das jedenfalls indirekte Beziehungen zum US-Einmischungszentrum National Endowment for Democracy zu unterhalten scheint: In den Tagen zuvor hatte sich der westliche Hegemon spendabel gezeigt. Auf seinem zweiten „Gipfel für Demokratie“ versprach US-Präsident Joe Biden umgerechnet 637 Millionen Euro für „freie Wahlen und demokratiefördernde Technologien“, also für die Gleichschaltung von Gesellschaften im Sinne der „wertebasierten“ Geopolitik. 

Drohung an Minsk

In Deutschland wurde das weitgehend virtuelle Treffen eher am Rande vermeldet. In Polen erfreute sich die Konferenz hingegen eines breiten Medieninteresses. Dort hatte Präsident Andrzej Duda sein Land erneut als Rammbock für sogenannte westliche Werte empfohlen. Polen werde auch seine „Unterstützung für die Demokratie in Weißrussland fortsetzen“, zitiert ihn der Fernsehsender TVP. Erst vor rund zwei Wochen hatte Warschaus Botschafter in Paris, Jan Emeryk Rosciszewski, öffentlich über einen Kriegseintritt seines Landes spekuliert. 

Die Stimmung kippt

Geld aus dem Weißen Haus kann das Establishment an der Weichsel durchaus gebrauchen. Polen bezahlt seinen Kurs bereits heute mit einer Inflation von über 16 Prozent. Die Preissteigerungen bleiben nicht ohne Einfluss auf die Stimmung im Land. Selbst nach einer Erhebung des stramm atlantischen Warsaw Enterprise Institute hegen mittlerweile 62 Prozent der Bürger Zweifel an der Unterstützung der Ukraine – teils aus Sorge vor den Kosten, teils aus Furcht vor weiteren Migrationswellen aus dem Nachbarland. 

Politisch nutzt diese Entwicklung vor allem dem rechten Parteienbündnis Konfederacja, das in Umfragen gegenwärtig bei zehn Prozent rangiert und die zunehmende Kritik an der Ukraine-Politik kanalisiert. Bislang galt Konfederacja als aktuelle Erscheinungsform dessen, was in Polen „Plankton“ genannt wird: Protestparteien, die ihre erste Legislaturperiode im Parlament selten überstehen. Mitglieder der Organisation sollen auch in der neu entstandenen „Polnischen Antikriegsbewegung“ aktiv sein, als deren Kopf der Politologe Leszek Sykulski gilt. Dessen offene Begeisterung für Moskau dürfte sich in der anti-russischen Gesellschaft Polens jedoch als Hemmschuh erweisen. 

Kosten des Krieges

Und weitere Kosten erscheinen bereits am Horizont, nachdem sich das Warschauer Establishment den USA auch als potentielle Militärmacht anbietet. So warnte die Zeitung Dziennik Gazeta Prawna jüngst, die geplante Erweiterung der Armee auf 300.000 Soldaten könnte das Land neun Prozent Wirtschaftswachstum kosten. Der aufgeblähte Militärhaushalt von bald mehr als 100 Milliarden Zloty sei zwar richtig. Jedoch müsse man sich „der Konsequenzen bewusst sein und sich auf diese vorbereiten. Denn jeder Stock hat zwei Enden.“ 

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