Früher grub man in den Hohen Tauern und in Nordtirol nach Gold und Silber. Heute gräbt man nach anderen Nuggets – etwa nach versteckten Perlen am Aktienmarkt oder nach seltenen Kartoffelknollen in der Erde. Von letzteren gibt es unzählige alte Sorten in Prägraten, einem kleinen Dorf am Fuße des Großvenedigers.
Schon den Kelten sollen in Österreich auf Goldsuche gegangen und fündig geworden sein. In der Römerzeit waren Münzen mit Gold oder Silber aus der Provinz Noricum – diese umfasste Großteils heutige österreichische Gebiete – beliebtes Zahlungsmittel im damaligen Römischen Imperium. Im 15. und 16. Jahrhundert, der Blütezeit des Edelmetallabbaus in Österreich, wurde hierzulande nach Silber u.a. in Schwaz in Nordtirol und Gold vor allem in der Großglockner-Region geschürft. Gold wurde aber auch aus vielen Flüssen wie Donau, Inn, Salzach, Enns oder Krems gewaschen.
Allerdings waren die hiesigen Gold- und Silbervorkommen nicht sehr ausgiebig. Mit Ende des zweiten Weltkrieges fand der offizielle Bergbau der beiden Edelmetalle in den Alpen sein Ende.
Neue Goldknolle
Ziemlich unbemerkt und parallel zum Abschwung des Gold- und Silberabbaus nahm die Verbreitung und Kultivierung eines anderen und immer wieder kehrenden Bodenschatzes seinen Lauf. Die Rede ist von der Kartoffel – oder Erdäpfel, Erdbirne, Krumbirne bzw. auch Eachtling genannt.
Diese ursprünglich aus den südamerikanischen Anden stammende Frucht wurde im 16. Jahrhundert nach Europa zuerst nur wegen ihrer schönen Blüte und des üppigen Laubes als reine Zierpflanze importiert. Nach und nach gelangte sie dann von Spanien aus nach Italien und breitete sich langsam auf dem europäischen Festland aus. In der Landwirtschaft und als Lebensmittel für Mensch und Tier entwickelte sich die Kartoffel nur zögerlich. Nicht wenige sollen nach dem Verzehr der Kartoffelstaude gestorben sein, bis man erkannte, dass nur die Knollen in der Erde genießbar und ein wahrer Schatz sind. Seither trat die Kartoffel als billig zu produzierendes Grundnahrungsmittel seinen unaufhaltsamen Lauf auf allen Kontinennt an.
Heute gibt es rund 7000 verschiedenen Sorten. Doch nur wenige, vor allem die ertragsreichsten von ihnen– überwiegend Hybridzüchtungen und gentechnisch veränderte Sorten – beherrschen den heutigen Anbau und die Märkte.
Schatz in Osttirol
Seit den 1990er Jahren und ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit betreibt Anton Kröll seine Anbauversuche mit seltenen Kartoffelsorten. Sein Experimentiergarten befindet sich auf dem kleinen elterlichen Bauernhof im osttirolerischen Prägraten. Die Landwirtschaft ist zwar verpachtet, doch Schwester Theresia und Schwager Roberto pflegen behutsam und mit viel Liebe die alte Hofstelle. Anton arbeitet unter der Woche in Innsbruck hauptberuflich als Biogärtner und kommt nur an den Wochenenden heim nach Prägraten.
Der große Stolz der beiden Geschwister ist das Feld hinter dem Bauernhof. Auf diesem widmen sie sich dem ursprünglichen Anbau und der Vermehrung von Gemüse und Kräutern. Neben Tomaten, Salaten, Paprika, Karotten, Sauerkraut, Rüben, Zwiebeln oder Knoblauch gedeihen heuer ein gutes Dutzend alter Kartoffelsorten. Über 200 verschiedene Kartoffelsorten haben die beiden auf über 1300 m Seehöhe schon ausgetestet und die besten für das inneralpine Klima herausgefiltert.
Doch woher kommt die Liebe zu solch einer unscheinbaren Erdfrucht? Schon seit Kindheitstagen habe er sich der Knolle verschrieben, erzählt Anton mit leuchtenden Augen wie ein Schulbub am ersten Schultag, wenn er die mit Zuckerln volle Schultüte erhält:
„Unsere Mutter erzählte uns immer wieder von rotschaligen Kartoffeln. Wir selbst hatten aber keine und so organisierte ich mir welche und pflanzte sie ein. Da war es um mich geschehen und meine unendliche Reise in die Welt der Kartoffeln hat begonnen“
blickt der 45jährige fast schelmisch zurück.
Mittlerweile hat er fast 100 alte Sorten gesammelt, vermehrt sie und genießt sie mit Freu(n)den und in der Familie. Darunter viele einzigartige Raritäten, an die er oft nur über Umwege und mit allerlei Tricks und Tauschgeschäften gelangte. Wie und wo genau, verriet er uns zwar nicht. Aber dass dies nicht immer leicht war und ist, können wir uns ausmalen.
Verein als Infodrehscheibe
Um das Wissen zu bündeln und an Interessierte weiterzugeben gründeten die Krölls gemeinsam mit Erik Peyrer, einem „zuagrasten“ früheren Erdöl- und Energiemanager den Verein Ackersegen. Dieser ist benannt – erraten – nach einer alten Kartoffelsorte aus dem Jahre 1929. Ziel des Non-profit-Vereins ist es unter anderem, das alte Wissen und Können der Kartoffeln, sowie seltene Sorten zu bewerben, um damit eine reiche Sortenvielfalt zu sichern und uraltes Saatgut zu erhalten. Denn durch die Abhängigkeit von den großen Saatgutherstellern mit deren Pflanzennachbauverboten wird es immer schwieriger, an alte und exzellente Pflanzenarten zu gelangen. Mayan Gold, die Schwarze Ungarin, die Alten Schweden oder Solid sind nur einige in der breiten Bevölkerung völlig unbekannte alte Kartoffelsorten, die die Krölls auf ihrem Acker und mit ihrem Verein hochhalten.
Ein weiterer Schwerpunkt des Vereins ist die Weitergabe des Wissens über Gesundheit, Ernährung und Verarbeitung der früher auch spanische Knolle genannte Kartoffel. Auch alte Rezepte wieder salonfähig zu machen ist eine Triebfeder von Theresia. Gerne gibt sie ihre Rezepte für aus gelben, weißen, blauen und roten Kartoffeln gezauberte und genussvolle Gerichte weiter.
Die meisten Menschen können heute ja nicht einmal zwischen mehligen und speckigen Kartoffeln unterscheiden. Und was heißt eigentlich festkochend? Außerdem weiß fast niemand, dass so manche Sorte mehr Vitamin C hat als eine Zitrone.
Reiche Ernte
Bald kommt die Erntezeit. Mitte September werden die Heurigen mit Freunden und Freiwilligen geerntet werden. Manche Helfer reisen extra dafür an. Anton und Theresia freuen sich schon darauf:
„Drei Tage lang wird hart gearbeitet, dann feiern wir.“
Die Erntehelfer werden mit dem Erntegut belohnt. Die restlichen Speisekartoffeln werden eingelagert. Ein Teil wird als künftige Pflanzkartoffeln gebraucht. Ob sich Anton einen großangelegten Anbau samt Vermarktung seiner Erdfrüchte vorstellen kann?
„Nein. Denn dann hätte ich sicher nicht mehr die Zeit und den Spaß, den ich mit meinen Kartoffeln habe“, wehrt er ab.
Dass er dann wohl im selben Hamsterrad wie die großen Kartoffelkonzerne und Lebensmittelvermarkter säße, lässt er unerwähnt. Lieber hütet er weiterhin gemeinsam mit seinen Verwandten und Freunden den Schatz von Prägraten – das nicht nur gelbe Gold namens Kartoffel.