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Graichen-Affäre: Wie US-Kapital das Wirtschaftsministerium penetriert
Die Grünen tun gut daran, die Affäre um Staatssekretär Patrick Graichen als „Fehler“ in einer Personalfrage abzutun. Denn der eigentliche Skandal ist das Geflecht aus gemeinnützigen GmbH und US-Stiftungen, für die Graichen lobbyiert hat und die bei der „Energiewende“ in Deutschland die Fäden ziehen.
Von Björn Kawecki
Erst Familienbeziehungen beim Öko-Institut, dann die Beteiligung an der Wahl des eigenen Trauzeugen zum neuen Geschäftsführer der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur: Die Art, wie Robert Habecks Staatssekretär Patrick Graichen Personalfragen klärt, ist nicht ohne. Sowohl der Wirtschaftsminister als auch sein Staatssekretär haben mittlerweile einen „Fehler“ eingeräumt. Und Graichen gab sogar zu, er habe „nicht richtig aufgepasst“. Von personellen Konsequenzen wollen aber weder er noch Habeck etwas wissen.
Doch der Druck durch Medien und Opposition war zeitweise so groß, dass die grüne Parteispitze ihrem Wirtschaftsminister zur Hilfe eilen musste. Jürgen Trittin witterte sogar eine Verschwörung. Dem Deutschlandfunk sagte er, bei den Reaktionen auf die Graichen-Affäre handele es sich um „eine gezielte Kampagne“ aus der „rechten Ecke“ und einen „Aufstand der fossilen Lobby“. Ziel der Kampagne sei es, die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes aufzuhalten.
Früher Top-Lobbyist, heute Staatssekretär
Dabei wurde von Habeck doch mit Graichen gerade ein Top-Lobbyist an die Spitze des Wirtschaftsministeriums gestellt. Bei der Agora Energiewende gGmbH, deren Direktor Graichen von 2014 bis 2021 war, handelt es sich nämlich um eine grüne Denkfabrik und Lobby-Organisation, die auch im EU-Transparenzregister geführt wird, wo es heißt, dass sie „evidenzbasierte und politisch umsetzbare Strategien“ entwickle, „um das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt voranzutreiben“.
Zwar wird behauptet, man sei frei von ideologischen Vorfestlegungen und weder der Wirtschaft noch der Politik, sondern nur dem „Klima“ verpflichtet. Doch wenn man sich nur ein paar Zeilen tiefer die wichtigsten anvisierten Strategien bzw. Legislativvorschläge ansieht, hat es sich mit der Unabhängigkeit: EU-Strommarktdesign, EU-Rahmen für erneuerbare Energien, EU-Klimaschutzpolitik, EU-Beihilferahmen für Umwelt und Energie, European Green Deal, EU-Rahmen für eine treibhausgasneutrale Industrie, Klimaschutzziel 2030 – Wirtschaftsprogramme, von denen Milliardeninvestitionen abhängen. Der Verdacht liegt also nahe, dass Graichen dieselben wirtschaftspolitischen Schablonen, für die er als Direktor der Agora Energiewende zuständig war, nun im Wirtschaftsministerium umsetzt.
Wer finanziert Agora Energiewende?
Der Wirtschaftsminister tut also gut daran, es bei der Graichen-Affäre entgegen Trittins Vorwurf an die „Fossil-Lobby“ bei einem Fehler in einer Personalfrage zu belassen und das böse L-Wort besser nicht in den Mund zu nehmen: „Diesen persönlichen Fehler hat nicht die Gaswirtschaft begangen.“ Und auch Omid Nouripour hat offenbar verstanden, dass man nicht den Eindruck entstehen lassen sollte, hier handele es sich um ein größeres Ding, weswegen er vorsorglich noch ein paar Nebelkerzen wirft: „Wir reden nicht über systematische Netzwerke, wie wir sie kennen aus der Maskenaffäre, wie wir sie kennen aus der Moskau-Connection.“ Man möchte ja nicht schlafende Hunde wecken.
Die sind aber längst wach. So stellten bereits die Bild und Boris Reitschuster die berechtigte Frage, wer an der Arbeit einer Denkfabrik Agora Energiewende eigentlich so ein großes Interesse hat, dass er für das nötige Kleingeld von vielen Millionen Euro pro Jahr ohne ersichtliche Gegenleistung aufkommt. Die Suche nach einer Antwort führt unter anderem in die USA. Ein Blick in den Finanzbericht von Agora Energiewende zeigt nämlich, dass die Denkfabrik allein im Jahr 2022 fast sechs Millionen Euro von einer US-amerikanischen Stiftung erhielt, der Climate Imperative Foundation. Ein weiterer Top-Sponsor mit 1,5 Millionen Euro ist die European Climate Foundation. Beide Stiftungen hat der US-amerikanische Investor Hal Harvey gegründet.
Wer ist Hal Harvey?
Viele öffentliche Informationen findet man nicht über Harvey. In den häufig gleichen Porträts wird Harvey gerne als Pionier der grünen Agenda dargestellt, der heute mit dem Geld aus seinen Stiftungen den Planeten retten will. Fest steht aber, dass Harvey mehr als ein gewöhnlicher Investor ist, bzw. weniger.
Das Potenzial von Stiftungen als Großspender soll Harvey schon früh erkannt haben. Bereits Anfang der 1990er-Jahre gründete er die Stiftung Energy Foundation. In den 2000er-Jahren unterstützte er die Gründung weiterer Stiftungen, die eine grüne Agenda verfolgen, in China und Indien. In der EU gründete er die bereits erwähnte European Climate Foundation. Von 2002 bis 2008 war Harvey zudem der Direktor des Umweltprogramms der William and Flora Hewlett Foundation, der Stiftung des 2001 verstorbenen Co-Gründers des IT-Konzerns HP, William Hewlett.
2008 gründete Harvey seine eigene Stiftung, die ClimateWorks Foundation (nicht: Climate Work Foundation). Das nötige Kapital stammte wiederum von anderen Stiftungen, darunter Bezos Earth Fund (von Jeff Bezos, Amazon), Chan Zuckerberg Initiative (Mark Zuckerberg, Meta) und Gates Ventures (Bill Gates, Microsoft), also von Gründern einiger der mächtigsten und umsatzstärksten Konzerne auf dem Planeten.
Spätestens 2012 wurde Harvey direkt in Deutschland aktiv, als er Agora Energiewende mitgründete. Ebenso war Harvey Mitinitiator der 2020 gegründeten Climate Neutrality Foundation, zu deutsch Stiftung Klimaneutralität, deren Vizepräsident er immer noch ist und die ihr Geld offenbar vollständig von der Climate Imperative Foundation erhält, die Harvey 2020 gründete.
Wer ist also Harvey? Man könnte ihn als Netzwerker bezeichnen oder als graue Eminenz, die durch die Gründung eines ganzen Organisationsgeflechts den richtigen Akteuren unter dem Deckmantel des guten Zwecks Geld zufließen lässt. Akteure, die sich hehre Ziele wie Klima- und Umweltschutz auf die Fahne schreiben. Geld, das man als grün gewaschenes US-Kapital bezeichnen könnte. Und wenn Graichen und Habeck die Bauern eines solchen grünen Kapitals sind, dann ist Harvey sein Läufer. Doch was will Harvey in Deutschland?
Grünes Kapital bei der Arbeit
In einem Interview mit der deutschen Stiftung Mercator im Jahr 2011 (ebenfalls ein großzügiger Spender der Agora Energiewende), die sich damals als „neuer, aber ambitionierter Akteur in der Klimaszene in Deutschland und Europa“ bezeichnete, wurde Harvey gefragt, wie die Möglichkeit steht, den Klimawandel doch noch aufzuhalten. Darauf antwortete Harvey, dies sei noch möglich, aber unter der Bedingung, dass es in den nächsten zehn Jahren geschieht. Hierfür müsse man in Schwellenländern wie China und Indien für den rechtzeitigen Aufbau einer kohlenstoffarmen Industrie sorgen. In den entwickelten Ländern wie Deutschland oder den USA müssten hingegen die alten Industrieanlagen und Kraftwerke umgerüstet werden:
„Deutschland hat die Chance, als erstes modernes, voll industrialisiertes Land eine kohlenstoffarme Nation zu werden, und die Welt braucht dieses Modell dringend. Wenn es dieses Modell nicht gibt, dann kann der Rest der Welt es auch nicht umsetzen.“
Es ist erstaunlich, dass gerade Deutschland als Modell für die Welt herhalten soll. Warum zum Beispiel nicht die USA? Als Grund nennt Harvey bloß die Entscheidung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die deutschen Kernkraftwerke bis 2022 außer Betrieb zu nehmen, ein Zeitplan, der übrigens nur um wenige Monate überschritten wurde.
Zehn Jahre und einige Stiftungsgründungen später. Harvey spricht auf der Konferenz der Stiftung Klimaneutralität am 21. Mai 2021 in Berlin. Das Motto: „Was jetzt zu tun ist. Deutschlands Weg zur Klimaneutralität“. Ein Blick auf die Rednerliste zeigt: Die Klimaagenda ist längst kein Spleen der grünen Partei mehr. Hohe Tiere aus der Industrie, dem Stiftungssumpf und der Bundespolitik. Rainer Baake, bis 2014 Direktor von Agora Energiewende, seit 2020 Direktor der Stiftung Klimaneutralität, Felix Matthes vom Öko-Institut, Christian Bruch, Vorstandsvorsitzender der Siemens Energy AG, Bernhard Osburg, Sprecher des Vorstands von Thyssenkrupp Europa, und Werner Baumann, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG.
Die Reden der Konferenzteilnehmer sind so vielsagend, dass sie eine eigene Analyse rechtfertigen würden. Zum Beispiel die Stelle, an der Baumann mit Blick auf die „noch“ nicht vorhandenen Zukunftstechnologien auf den „Erfolg“ des neuen mRNA-Impfstoffes verweist, der „noch nicht getestet ist“. Oder Osburg, der verlautbart, dass die Stahlindustrie an Rhein und Ruhr entweder klimaneutral wird oder keine Zukunft mehr hat.Harveys Rede ist weniger spezifisch, gibt aber Tempo und Stimmung vor: Gleichschritt und die gewohnte grüne Panik.
„Wenn wir dieses nächste Jahrzehnt vergeuden, wenn wir es nicht schaffen, wirklich klug und schnell zu handeln, gibt es keinen sicheren Hafen.“
Der Menschheit bleiben also erneut zehn Jahre, bis die Welt untergeht. Zehn Jahre, ein Zeitraum, der jedem greifbar erscheint. Für diese nächsten zehn Jahre brauche es „einen klaren Plan für den Nullpunkt in jedem Sektor“. Gemeint ist eine Nullbilanz beim CO₂-Ausstoß in den Bereichen Energieerzeugung, Verkehr, Gebäude, Industrie und Forst.
„Wenn wir nicht verstehen können, wie sich die physischen Dinge in der Wirtschaft verändern, wie sich Heizkessel, Kraftwerke, Fahrzeuge und Gebäude physisch verändern, dann haben wir keinen Plan.“
Der Fahrplan, den Harvey vorlegt, erinnert erstaunlicherweise an das Wunschdenken in den klimaneutralen Konzepten der Bundesregierung. Null CO₂ bei der Erzeugung von Elektrizität, da von der Energieerzeugung auch die anderen Bereiche abhängen. Der Verkehr als nächster „großer Hebelarm“, mit dem man schon beginnen müsse. Danach der Gebäudesektor. Bei der aktuellen Sanierungsrate in den USA von ein bis zwei Prozent werde es hingegen 100 Jahre dauern, bis alle Häuser mit grüner Technologie umgebaut sind. Was ist zu tun?
„Es ist nicht elegant, aber es funktioniert: Ersetzung von Brennern und Heizkesseln durch Wärmepumpen und der Betrieb durch ein Null-Kohlenstoff-Netz. Das erfordert baurechtliche Standards. Kein Verkauf konventioneller Öfen mehr, kein Anschluss von Erdgas mehr. Wenn wir dem nicht entschlossen entgegentreten, scheitert der Sektor Gebäude.“
(Mindestens) drei Gründe, warum Lobbykontrolle nicht funktioniert
Grund 1: Die Arbeit von Personen wie Harvey zeigt, dass Lobbyismus als direkter Einfluss von Interessenvertretern auf politische Entscheidungsträgern ein Geschäft für Amateure ist. Wer smart ist und die Ressourcen besitzt, klopft nicht im Büro des Parlamentariers an, sondern bezahlt die Experten, die den Politiker informieren, und beeinflusst die Wähler, die ihn wählen. Effiziente Lobbyarbeit richtet sich im vor- bzw. metapolitischen Raum ein, im Kampf um die Köpfe der Wissenschaft, der Medien, der Öffentlichkeit. (Antonio Gramsci und Edward Bernays lassen grüßen.) Der Politiker ist im besten Fall nur noch der Kellner, der serviert, was andere für ihn gekocht haben.
Grund 2: Die Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol, die sich ja auf die Fahne schreibt, den Einfluss von Lobbys zu kontrollieren, ist selbst eine Lobbyorganisation, die sogar im Lobbyregister des Bundestags geführt wird. Zudem lässt sie sich aus dem deutschen Stiftungsgeflecht bezuschussen, nämlich der Olin-Stiftung und der Schöpflin-Stiftung.
Die Olin-Stiftung bezieht ihr Geld vermutlich aus dem Kapital der Familien Szlovak und Schmidt, die laut dem Hamburger Abendblatt mit einem geschätzten Vermögen zwischen 100 und 200 Millionen Euro zu den 80 reichsten Familien Deutschlands gehören. Der Großteil der Mittel der Schöpflin-Stiftung stammt aus dem Family Office von Hans Schöpflin. Öffentliche Informationen über das Vermögen der Familie Schöpflin gibt es zwar nicht. Zu einem guten Teil seines Vermögens dürfte Hans Schöpflin aber als Seed-Investor bei Costco und Qualcomm gekommen sein, die heute Umsätze in Milliardenhöhe erzielen.
Zur früheren Lobbyarbeit von Graichen teilte eine Sprecherin von Lobbycontrol übrigens mit, dass man es grundsätzlich weniger kritisch sehe, wenn von der Interessenvertretung in die Politik gewechselt werde.
„Zudem ist es aus unserer Sicht schon ein Unterschied, ob man zuvor Gemeinwohlinteressen vertreten hat oder die Interessen eines Wirtschaftsunternehmens.“
Grund 3: Auf derselben Konferenz der Stiftung Klimaneutralität 2021 waren auch der damalige Bundesvorsitzende der Grünen Habeck und der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz als Redner geladen – so viel in Richtung der offenen Münder, die sich fragen, warum der Kanzler seinen Wirtschaftsminister so wenig Paroli bietet. Im Gegenteil: Scholz präsentierte sich auf der Konferenz als der Mann, der die „Bewältigung eines historischen industriellen Umbruchs“ umsetzen wird. Diese gehe nicht nach dem Motto „Allen wohl und niemand weh“. Deutschland sei mit seinem klimaneutralen Transformationsprogramm eine „Wette“ eingegangen, so Scholz wörtlich, und man müsse alles tun, um diese Wette auch zu gewinnen.
„All diese Ziele gelingen nur, wenn ich Bundeskanzler werde.“
Man könnte also schließen, dass es die grüne Lobby mit Graichen als Staatssekretär nicht nur geschafft hat, das Wirtschaftsministerium zu penetrieren. Sie sitzt sogar im Kanzleramt.
Der Beitrag Graichen-Affäre: Wie US-Kapital das Wirtschaftsministerium penetriert ist zuerst erschienen auf anonymousnews.org – Nachrichten unzensiert und wurde geschrieben von Redaktion.