Am Sonntag um exakt 14:36 kam es in Guinea zu einem Putsch. Die Uhrzeit lässt sich so exakt bestimmen, da zu diesem Zeitpunkt bei der englischen Wikipedia die erste Version der Geschichte des Putsches veröffentlicht wurde. Zum Verglich brachte Euronews erst um 16:39 den ersten deutschsprachigen Bericht über den erfolgreichen Umsturzversuch. Es ist wirklich beeindruckend, wie schnell Wikipedia heute ist und wie professionell die Plattform im Hintergrund von interessierten Stellen bearbeitet wird. Das aber nur nebenbei. Mir geht es eher um die Nähe zu Mali, wo es vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls zu einem erfolgreichen Putsch kam. Da die dortige Situation schon ein schräges Licht warf, stellt sich auch für Guinea die Frage, ob mehr hinter dem Putsch stecken könnte als nur lokale Warlords, die sich um persönliche Pfründe streiten.
Afrikanischer Frühling in afrikanischen Verhältnissen
Das für afrikanische Verhältnisse relativ kleine Guinea mit einer (für afrikanische Verhältnisse) nicht wirklich beunruhigenden Armut (~2.500 PPP-$) gab bislang kaum Grund zur Beunruhigung. Der größte Teil der Fläche in dem Landkartenland ist mit tropischen Wäldern bedeckt und weist momentan noch eine Bevölkerungsdichte in der Größenordnung Polens auf. Die sich aus der Bevölkerungsexplosion speisende allgemeine Armut konnte dank eines billigen Lebens nahe am Nichts gut geschluckt werden, wobei die bergige Topografie dazu beitrug, dass die Menschen in den einzelnen Regionen größtenteils unter sich blieben.
Es sieht ganz danach aus, als habe dieses Gleichgewicht in Guinea seine Belastungsgrenze erreicht, wie es auch in anderen Ländern der Fall ist. Dennoch ist die Putscherfahrung in Guinea keine neue. Vor gerade einmal 13 Jahren gab es schon einmal einen, an den sich mit Verweis auf die Bevölkerungspyramide jedoch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung erinnern kann. Vermutlich war es daher einfach nur an der Zeit, dass sich nach Mali auch in Guinea etwas tat. Das neue Sendungsbewusstsein in Afrika, das auch in Guinea einen islamischen Unterton aufweist, bricht sich nun offenbar auch in den Hinterhöfen von Hinterhöfen Bahn.
Rohstoffe und die üblichen Verdächtigen
In einem Land wie Guinea ist es ohne zuverlässige Infrastruktur von großem Vorteil, an der Küste zu leben, da der Zugriff auf die globalisierten Warenströme hier am ehesten möglich ist und der Handel mit dem Hinterland zuverlässige Gewinne zu erwarten lässt. Im Falle Guineas kommt als Besonderheit noch eine Hauptverkehrsachse in das von Land umschlossene Mali hinzu, dessen Bevölkerung wächst wie überall auf dem Kontinent. Für die Menschen in Guinea verspricht die Notwendigkeit für den Transit über Land ebenso gute Gewinne, und es nur als Tankstelle für die LKW Karawanen nach Bamako.
Gänzlich ohne Relevanz dagegen sind alle anderen Regionen im Land, die wenn sie rudimentär an die Hauptachsen angebunden sind, zu nicht viel mehr taugen als zur Ausbeutung der menschlichen und natürlichen Rohstoffe. Von letzteren sind laut Wikipedia in Guinea vor allem Gold und Aluminium interessant, wobei das Land insbesondere bei Aluminium vorne mitspielen könnte, jedoch weiterhin nicht einmal in der Liste der halbwegs größten Aluminiumproduzenten auftaucht.
Sucht man die Liste der Aluminiumproduzenten nach den üblichen Verdächtigen ab, dann lässt sich feststellen, dass sie alle relativ weit oben mitspielen. Das kommunistische China mit seinem unersättlichen Rohstoffhunger etwa steht auch bei der Aluminiumförderung mit Abstand ganz oben und konnte sich kürzlich in Afghanistan eine neue Quelle eröffnen. Auch die Türkei wird unter den großen Förderländern angeführt, wobei das Land selbst zwar nur auf ungefähr 0,5% der Weltförderung kommt, aber auch einige Freunde wie Aserbaidschan, Turkmenistan und Länder vom Arabischen Golf auf der Liste weiß, so dass im Zweifel gemeinsam dem heimischen Markt eine ausreichende Menge des Metalls bereitgestellt werden kann.
Für Öl und sonstige Rohstoffe ist Guinea zu unbedeutend, als dass sich ein derartiger Putsch lohnen würde. Lediglich Gold käme noch in Frage. Doch davon gibt es an anderen Orten mehr, die überdies besser erreichbar sind, bereits erschlossen wurden, aber dennoch ebenso anfällig für politische Unruhen sind (man denke etwa an Lateinamerika). Europäische Mächte oder gar die USA wiederum hatten mit Sicherheit kein Interesse an der rohstoffseitigen Ausbeutung Guineas. Denn ansonsten hätten sie dies schon längst in Angriff genommen. So bleibt als leicht unerwartetes Zwischenfazit, dass es sich bei dem Putsch kaum um eine profitorientierte Unternehmung handeln konnte. Schließlich hätten Putschisten aus dem Militär auch ein erheblich einfacheres Leben, wenn sie den Präsidenten um einen größeren Anteil am Kuchen gefragt hätten.
Ethnische Bruchlinien und der Islam als Klammer
In Guinea leben insgesamt drei relativ gleich große Volksgruppen, die überdies jeweils ihre eigenen Landstriche bewohnen. Das ist von Vorteil, da man sich gegenseitig in Ruhe lassen kann und sich eine Aufspaltung im Zweifel relativ simpel gestaltet. Auf der anderen Seite weiß jeder geopolitische Amateur allerdings auch, dass es oftmals auf die Position ankommt, die über Macht und Ohnmacht im Land entscheidet.
Mit den ungleich verteilten Pfründen (Küste für Welthandel, Achse nach Mali, Rohstoffe im Hinterland) liegt der Gedanke an einen Putsch aus Gründen des regionalen Proporz nicht fern. Gegen dieses Motiv spricht allerdings, dass eine Aufteilung entlang der ethnischen Bruchlinien erheblich einfacher ist als das Wagnis eines Bürgerkriegs, vor allem da ein Putsch als Hochrisikounternehmen mitten in der Ausführung durchaus ins Stocken geraden kann. Nicht zuletzt ist es auch in Afrika Brauch und Praxis, dass man sich regional auf die eigene Hausmacht stützt und nicht zum weit entfernten Feind in der Hauptstadt fährt, um diesen zu stürzen. Eine Stärkung des eigenen Lagers und nachfolgend eine Nachverhandlung des nationalen Proporz wäre daher wesentlich naheliegender als ein gewaltsamer Putsch.
Diese Umstände deuten darauf hin, dass in Guinea gerade etwas anderes gespielt wird. In der Hauptsache zumindest geht es dort wohl kaum um Rohstoffe, ethnische Konflikte oder die gute alte Korruption, wie die Putschisten behaupten. Nicht einmal religiöse Gefühle konnten in Guinea verletzt worden sein, da alle drei Ethnien im Land schon vor langer Zeit „islamisiert“ wurden. Überdies wurden die drei Ethnien im Land im Verlauf der beiden letzten Jahrzehnten wie auch in Mali und anderen westafrikanischen Ländern ein weiteres Mal die Segnungen des Islam beglückt. Diesmal allerdings mit dezidiert arabischer Note, die den vormals dominierenden Sufiilsam mit Vehemenz am verdrängen ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich damit auch eine ethnienübergreifende Leitkultur breitmachen konnte, die dank der zahlenmäßigen Dominanz der jüngeren Generation alte Animositäten überstrahlen kann.
Der goldene Zugang zur Küste
Zieht man alle anderen möglichen Faktoren ab – Bevölkerungswachstum und Dichtestress, Ausbeutung von Rohstoffen, ethnische und innerislamische Konflikte, sowie niedere Instinkte gefallsüchtiger Generäle – dann bleibt bei Guinea nur noch die Küste des Landes als triftiges Argument für einen Putsch. Dies eventuell mit der verbindenden Kraft des neuen politischen Islams unserer Tage. Schaut man auf die Karte, dann ahnt man, wie relevant dieser Faktor in den Kalkülen der Putschisten und ihrer Hintermänner womöglich sein könnte.
Nördlich von Guinea ist der Senegal, südöstlich davon die Elfenbeinküste. Beide Länder sind frankophon und für regionale Verhältnisse entwickelt und zivilisiert, die Verbindungen ihrer politischen Elite mit europäischen Machtzirkeln sind eng und traditionsreich. Man kann bezweifeln, dass sie sich gegen eine eindringliche Bitte aus Paris zur Wehr setzen würden. Das setzt anderen (oder neuen) Spielern auf dem globalen Markt für Macht und Einfluss enge Grenzen. Gleichzeitig sind der Senegal, die Elfenbeinküste und mittig Guinea elementar für das dahinterliegende Mali, wenn es um dessen Zugang zum Meer geht. Es sieht ganz danach aus, als könnte hier der wahre Grund für den Putsch in Guinea liegen.
Theoretisch gäbe es zwar noch eine Verbindung aus Mali über Mauretanien weiter im Norden. Doch diese ist erheblich länger als sämtliche Alternativen, sie führt darüber hinaus auch durch die Wüste und wäre vermutlich ein Fest für Landpiraten, so dass sie absehbar kaum passierbar werden dürfte. Nicht zuletzt ist Mauretanien in seiner jüngeren Geschichte politisch so wenig aufgefallen, dass sich international kaum jemand an deren weiterhin großer Sklavenbevölkerung stört. Mauretanien gibt es effektiv nicht und daher gibt es auch keine Route durch das Land.
Spekulationen auf Basis von Spekulationen
Dennoch könnte es in der Folge möglicherweise auch in Mauretanien noch zu einem Putsch kommen. Ein solcher Umsturz würde zumindest zur Schaffung einer sicheren Küstenpassage für Mali passen, an der laut er hier vorgetragenen Theorie zur Zeit gearbeitet wird. Vielleicht ist Mauretanien auch Plan B, falls in Guinea noch etwas schief laufen sollte. Man weiß es nicht. Immer deutlicher tritt allerdings die Erkenntnis hervor, dass es Mächte zu geben scheint, die sehr erpicht darauf sind, Mali als dem geopolitischen Dreh- und Angelpunkt Afrikas mit einem sicheren Küstenzugang auszustatten, nachdem das Land kürzlich nach einem erfolgreichen Putsch ebenso von Militärs übernommen wurde.
Weitere naheliegende Spekulationen auf Basis der Annahme über einen sicheren Meereszugang für Mali wäre ein Putsch im rohstoff-(und uran-)reichen Niger und komplementierend dazu in Benin. Das westlich von Benin gelegene Togo ist in dieser Hinsicht dagegen unbedeutend. Die aktuelle politische Elite des Benin würde vor allem auch dann auf der Abschussliste stehen, falls in es Burkina Faso zu einem weiteren Putschversuch kommt und dieser im Vergleich zu jenem von 2015 erfolgreich verläuft. Der Benin wäre in diesem Fall der logische nächste Schritt. Tatsächlich könnte der Putsch in Guinea eine direkte Reaktion auf das Scheitern in Burkina Faso sein, um auf einer anderen Route zu einem sicheren Zugang zum Meer zu gelangen.
Als Fazit für uns bleibt, dass sich die Bundeswehr und ihre Kollegen aus Frankreich und anderen Ländern, die derzeit weiterhin in Mali und in der Region jenseits der sicheren Länder Senegal und Elfenbeinküste (und Ghana) unterwegs sind, schon bald in jener Situation wiederfinden könnten, in die sie kürzlich in Afghanistan gerieten. Irgend jemand im Hintergrund dreht weltweit an einem Rad, das zu groß ist, als dass es sich mit einer Handvoll Radpanzer aufhalten ließe.