Deutschland ist im Juni Gastgeber des größten militärischen Luftmanövers seit NATO-Gründung. Das ist kein Grund zur Freude, sondern ein Grund zum Protestieren. Warum? Die Freunde des Militarismus jubeln in diesen Wochen Tag für Tag. Die Rüstung brummt, die verbalen Wehrertüchtigungen und das Werben für Wehrhaftigkeit, Feindbildpflege und Mobilmachung von Körper und Geist werden lauter und lauter. Wer sich dagegen wehrt, Einspruch erhebt, Sorgen äußert, wird als „kriegsmüde“ diffamiert. Doch der Einspruch, der Protest der Kriegsmüden gegen die Unmüdigkeit der Fanatiker, der Gewinnler und atemlosen, gedankenlosen Mitmacher der bedrohlichen Entwicklung gegen unsere zivile, friedliche Gesellschaft ist notwendige Bürgerpflicht. Ein Kommentar von Frank Blenz.
Air Defender 23 und Deutschland mittendrin
Das bevorstehende größte Luftkriegsmanöver seit Ende des Kalten Krieges in Europa heizt die hysterische Atmosphäre weiter auf. Deutschland wird im Sommer zur Drehscheibe von „Air Defender 23“. Währenddessen könnte es im Osten des Kontinents zu einer Eskalation des Krieges in der Ukraine kommen. Welch ein Mix… Nebenbei, die Bundesrepublik ist schon lange Drehscheibe militärischen Handelns, unser Territorium, unsere Ressourcen werden machtvoll be- und genutzt von mächtigen Verbündeten. Wohin aber soll diese Spirale fern von Entspannung und Vernunft noch drehen? Statt mitzujubeln, mitzumachen oder wegzusehen und zu schweigen, ist es geboten, als friedliebender, engagierter Bürger die Begeisterung der Militaristen und ihrer Mitläufer nicht zu teilen – auch versus Air Defender 23.
Das Foto auf der Bundeswehr-Seite verrät viel
Das Foto auf der chic gestalteten Internetseite unserer Bundeswehr lässt tief blicken: Ein Militärflugzeug mit dem Hoheitszeichen der Bundeswehr (!) steht im Abendrot auf einem Flugplatz. Auf der Flossenfläche des deutschen Hecks leuchtet ein Aufkleber mit dem US-Sternenbanner (!) und dem Namen des Manövers „Air Defender 23″. Die Botschaft des Bildes lautet wohl, dass 23 Staaten (inklusive Deutschland und die USA) an dem großen Manöver teilnehmen und sie doch lediglich brave Adjutanten der US-Luftwaffe sein werden. Im Air-Defender-Projekt werden 10.000 Soldaten mit bis zu 210 Militärflugzeugen, darunter US-Kampfjets des Typs F-35, eingebunden sein, so Informationen der Seite. Dem Bürger wird das Trainingsprinzip richtig populär nahegebracht:
„Die verbündeten Streitkräfte trainieren die internationale Verteidigung gemeinsam in einem realen Übungsraum. Es ist ein Unterschied, ob – bildlich betrachtet – auf einem Kleinfußballfeld oder einem richtigen Fußballfeld gespielt wird. Das Prinzip Train as you fight bedeutet, dass Übungen möglichst real gestaltet werden müssen, um optimal auf den Ernstfall vorbereitet zu sein.“
Unwohlsein kommt auf ob der Transparenz und der Vielzahl der Informationen zum Manöver, die vielen einzelnen Punkte des Manövers zu unserem Einblick wirken verdächtig. Frei nach dem Motto „man hat ja nichts zu verbergen“ wirken die Ausführungen, die Grafiken der geplanten Einsatzrouten und Gebiete. Doch beruhigter wird man dadurch nicht. Dass ausdrücklich keine Benennung eines Feindes geschieht, also Luftkämpfe im Nirgendwo gegen Nirgendwen stattfinden sollen, das klingt unglaubwürdig, vor allem, weil die Flugrichtung der modernen Jets gen Osten weist. Das große Vorhaben und seine Tragweite – trotz dessen könnte der Bundesbürger eigentlich ein wenig gelassen bleiben, weil unsere Bundeswehr alles andere als kriegstauglich und erfahren ist – siehe Artikel der NachDenkSeiten.
Materialverlegung von den USA nach Deutschland zeigt, wo der Hase langläuft
Doch der Schein trügt, die lediglich geübte Simulation eines Krieges wie auf einem großen Fußballfeld kann kippen… Wie das Training hoch zu Luft über unserem Land und über weiteren Nationen Europas ablaufen soll, das wurde in der Zeitung Junge Welt zusammengefasst, wobei es eben nicht nur um die Aktivitäten auf dem Kontinent, sondern auch um eine große Verlegung geht:
„„Air Defender 2023“ hat laut Angaben der Bundeswehr einen doppelten Trainingszweck. Zum einen wird die möglichst schnelle Verlegung von etwa 100 Militärflugzeugen aus den USA nach Europa geprobt. Darin ähnelt die Übung den „Defender Europe“-Manövern, bei denen bislang jeweils die Verlegung großer Einheiten der US-Landstreitkräfte nach Europa auf dem Programm stand. Politischer Kontext ist der Machtkampf des Westens gegen Russland; sollte der zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO eskalieren, gilt es, US-Einheiten so schnell wie möglich heranführen zu können. In einem zweiten Schritt sollen auch Operationen „zur Verteidigung des NATO-Luftraumes“ geübt werden, heißt es bei der Bundeswehr.
Deutschland wird dabei, wie die Luftwaffe erläutert, „seine Rolle als kollektiver Verteidigungsknotenpunkt innerhalb Europas“ wahrnehmen. Dazu gehören unter anderem logistische Aufgaben, die laut Angaben der Bundeswehr nicht zuletzt über den Fliegerhorst Wunstorf in Niedersachsen abgewickelt werden sollen. Kampfjets werden während des Manövers auch von anderen Flugplätzen aus starten. Hauptstandorte sind, neben Wunstorf, Jagel beziehungsweise Hohn in Schleswig-Holstein sowie Lechfeld in Bayern. Daneben werden Laage in Mecklenburg-Vorpommern und Spangdahlem in Rheinland-Pfalz genutzt, (…) Besonders von den Übungsflügen betroffen sind drei riesige Gebiete. Zum einen handelt es sich um große Teile Mecklenburg-Vorpommerns, Berlin und Teile von Brandenburg und Sachsen. Luftkriegsübungen finden darüber hinaus über Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie über dem Saarland und Teilen von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern statt.“
Der militaristische Geist ist aus der Flasche, man bedenke immer: Die Ausgaben der einen sind die Einnahmen der anderen
Nun wird also Manöver abgehalten. Hochgerüstete Zeiten. Dazu passt: Das Lesen der Zahlen über Militärausgaben in Veröffentlichungen des schwedischen Forschungsinstituts SIPRI macht einen sprachlos. Diese Entwicklung (mehr und mehr Rüstung und Bedrohung) muss gestoppt werden. Auffällig ist, dass gerade der Westen noch immer eine Schippe drauflegt:
„Die Staaten Europas haben ihre Militärausgaben im vergangenen Jahr stärker gesteigert als jeder andere Kontinent. Damit waren sie treibende Kraft beim Anstieg der Aufwendungen für die Streitkräfte weltweit auf rund 2,2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung: 2,24 Billionen US-Dollar. Der Anstieg in Europa erreichte gut 13 Prozent (inflationsbereinigt), während etwa Afrika, Lateinamerika und Südostasien Rückgänge bei ihren Militärausgaben verzeichneten. Das geht aus einer gestern publizierten Studie des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor.“
Ein historisches Ereignis fällt einem ein. Vor mehr als einem Jahrzehnt hat Europa, unsere gemeinsame Institution Europäische Union, den Friedensnobelpreis erhalten (2012). Der Preis wurde zur Anerkennung des europäischen Engagements für Frieden, Versöhnung und Demokratie verliehen. Aber jetzt?
Nicht nur materiell, auch sprachlich tobt entfesselt die Aufrüstung
Da redet eine weißhaarige Frau zum Bundesparteitag ihrer FDP über die nun ihrer Meinung nach wieder fällige militärische Führungsrolle Deutschlands und überschlägt sich mit ihrer Stimme und ihren Gesten. Sie schwadroniert über Geschlossenheit und über eine angebliche Angsthasen-Mentalität der Deutschen und über Ehre und geniert sich nicht, ihre Wahrnehmungsstörungen zum Besten zu geben, sei es bei einer angeblichen europäischen Geschlossenheit, bei einer wieder entflammenden Kriegsfreudigkeit oder bei einer etwaigen deutschen Führungspflicht. Es gruselte einen, als sie im Stil einer Sprache aus vergangenen Zeiten sagte:
„Die europäischen Staaten ohne Ausnahme warten darauf, wenn man eine gemeinsame Wehrfähigkeit aufbaut, Deutschland eine Rolle übernimmt, seine Rolle übernimmt, mit zu führen und auch den Takt vorzugeben. Mir sagte ein osteuropäischer Diplomat gerade gestern noch, Europa, vor allem Osteuropa, hat vor nichts Angst – außer vor den Russen, Deutschland hat vor allem Angst – nur nicht vor den Russen. Uns sollte klar sein, es ist ein Kompliment, wenn knapp 80 Jahre nach Kriegsende die europäischen Staaten die Deutschen bitten, mehr zu führen. Meine Damen und Herren, das ist Ehre, das ist Auftrag, das ist ein Kompliment. Und das wurde an unserer Wiege, selbst an meiner, und ich bin in den 50er-Jahren geboren, nicht gesungen. Und deswegen haben wir die verdammte Pflicht, diese Rolle als Deutsche anzunehmen in Kooperation mit den Partnern. Aber nicht an der Startlinie stehen und warten, bis alle losrennen. Und dann gucken wir mal, wo die Karawane hinzieht. Und dann bewegen wir uns. Nein, wir haben mitzuentscheiden, in welche Richtung es geht.“ (Quelle Phoenix TV)
Ja, wir haben mitzuentscheiden – aber, in welche Richtung es nicht geht
Wahr ist, dass der einfache Bürger in seinen Möglichkeiten, sich einzubringen, gar Entscheidungen gegen sein Wohl zu verhindern, sehr eingeschränkt ist. Umfragen in Sachen Zustimmung zur Demokratie geben dazu gerade ein ernüchterndes Bild ab. Wobei zu sagen ist, dass die Fragestellung der Umfragen schon im Ansatz beeinflussend und somit falsch ist: Die Frage über die Zustimmung zur Demokratie stellt sich nämlich nicht, die Frage, ob man dem gegenwärtigen Zustand der Demokratie zustimmt, dagegen schon. Doch diese Frage wird so nicht formuliert. Man müsste ja eingestehen, dass im Staate etwas faul ist. Ja, dieser Zustand ist schlecht, sagen die Bürger, weil die Mitsprache gering ist und der Missbrauch der demokratischen Werkzeuge und Möglichkeiten durch die Entscheider, die eigentlich vom Volk gewählten Persönlichkeiten und Institutionen hingegen groß. Und genau dieses Bürgerempfinden drückt sich in den Umfragen aus. So sieht es aus, liebe Umfrage-Auftraggeber. Ihr beklagt, dass Bürger der Demokratie skeptisch gegenüberstehen. Es ist nicht so. Die Ohnmacht der Bürger bleibt, letztlich doch donnernde Jets im Sommer über ihre Köpfe gen Osten fliegen zu sehen. Sie ist Teil des Bildes des Zustandes unserer Demokratie (und vieler in den Nachbarländern, die jetzt, so eine Dame mit weißen Haaren, alle so gern unter Führung Deutschlands eine wehrhafte Karawane bilden wollen). Die FDP-Frau sollte mal die Seite der Bundeszentrale für politische Bildung aufschlagen. Sie erführe dann, was man unter Militarismus versteht. Könnte sein, dass sie sich wiederfindet:
„Unter „Militarismus“ versteht man eine Einstellung, die militärische Denk- und Verhaltensweisen zur Grundlage des Staates und der Gesellschaft machen will.“
Was aktuell bleibt – ja, es scheint wenig, aber es ist etwas –, das sind kreative Aktionen vs. Air Defender. Kinder könnten Friedenstauben malen, Menschen in den Fluggebieten am Boden große Plakate „NO zum Manöver“ auflegen, Menschenketten bilden, Grünflächen, Felder so beschneiden, dass die Piloten Botschaften des Protests lesen können. In den sozialen Medien, auch bei Facebook (kleiner Einwand als NachDenkSeiten-Autor), sollten Menschen ihre Meinung zum fortwährenden Säbelrasseln kundtun. Und ja, es tut gut zu erfahren, dass Demonstrationen in Deutschland geplant sind (Beispiele: friedenskooperative.de/termine/demo-gegen-nato-manoever-air-defender-23, frieden-hannover.de).
Der Juni 2023 wird ein ereignisreicher Monat, vor allem in der Luft. Und das werden, so die Informationen seitens Bundeswehr und Bundestag, auch die Flugreisenden zu spüren bekommen. Flughäfen als Orte des Protests – das wäre doch auch eine Idee, oder?
Titelbild: © Bundeswehr.de
Quellen: Bundeswehr, Bundestag, Bundeszentrale politische Bildung