Horst D. Deckert

Immer öfter wird geduzt: Cool oder peinlich?

Auf Du und Du mit jedermann (Symbolbild:Imago)

Schon seit einigen Jahren stelle ich fest, dass immer mehr Menschen, auch ältere, nicht mehr gesiezt, sondern mit dem vertrauten „Du“ angesprochen werden möchten. Als Begründung kommt dann oft, auch wenn es nicht zutrifft: „So alt bin ich doch noch gar nicht.“ Manche verbieten einem sogar regelrecht das „Sie.“ Ich stehe diesem Brauch mit gemischten Gefühlen gegenüber. Man muss es ja nicht wie der neurechte Verleger Götz Kubitschek übertreiben und die eigene Ehefrau siezen – doch immer mehr Leute zwingen einem das Du geradezu auf.

So hatte ich bereits zu Schulzeiten, was jetzt 10 bzw. 15 Jahre her ist, Lehrer, die geduzt werden wollten oder es uns zumindest freistellten – wobei fast alle beim Sie blieben, was zeigt, dass die anderen Schüler dies ebenso befremdlich fanden wie ich. Meiner Meinung nach handelt es sich bei den Krampf-Duzern um Leute, die einfach nicht wahrhaben wollen, dass auch an ihnen der Zahn der Zeit nagt. Dass man ja ach so jung geblieben sei und sich gar nicht so alt fühle wie man ist, behauptet fast jeder von sich, doch wenn sich alle jung fühlen, ist es keiner mehr.

Immer mehr Unternehmen duzen ihre Kundschaft

Auch in der Geschäftswelt hat das vertrauliche Du längst Einzug gehalten. Immer mehr Firmen tun so, als seien ihre Mitarbeiter und Kunden Kinder, Familienmitglieder oder gute Freunde.Zum einen erhoffen sich diese Unternehmen, bei ihrer Kundschaft auf mehr Anklang zu stoßen und diese nicht zu vergraulen, andererseits ziehen einige sicher nur aus Gruppenzwang mit. Hier sollte mehr differenziert werden: Wenn die Zielgruppe im Durchschnitt tatsächlich ziemlich jung, also unter 30 ist, habe ich dagegen wenig einzuwenden. Dies ist jedoch oft nicht der Fall. Im Aldi zum Beispiel deckt sich das Durchschnittsalter der Kunden mit dem der Allgemeinbevölkerung: Sehr oft sind dort auch Rentner zugegen. Wieso muss man auch Menschen jenseits der 60 so anreden, als seien sie gute Freunde? Ich finde, das ist auch eine Frage der Höflichkeit und des Respekts.

Sauer aufgestoßen ist mir diesbezüglich auch der Online-Bezahldienst „Klarna”. Als ich vor einigen Jahren dort mal angerufen habe, um etwas zu klären, fragte mich der Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung gleich, ohne auch nur irgendetwas über mich zu wissen, geschweige denn mein Alter: „Wie kann ich dir helfen?“ Dieser Trend spiegelt sich auch immer mehr in den Medien wider. Bereits 2015 waren etliche Radiosender auf diesen progressiven Zug aufgesprungen – und seitdem haben sich noch viele weitere in die lange Liste derer eingereiht, die sich gerieren, als würden sie alle ihre Zuhörer persönlich kennen. Dasselbe gilt natürlich auch für allerhand Sprecher im Fernsehen, die ebenfalls meinen, mit dem „Du“ ihren Zuschauern auf die Pelle rücken zu müssen.

„Du“ gaukelt ein inexistentes Gefühl der Gleichheit vor

Da wäre es interessant zu erfahren, was all diese Duz-Fetischisten zu dem selbst eingeführten Brauch sagen. Dr. Sabrina Zeplin von dem Karriere-Netzwerk „Xing„, das seit 2020 das Siezen aus seinem Wortschatz verbannt hat, begründet ihre Entscheidung folgendermaßen: „Das ‚Sie‘ steht für eine hierarchische Denk- und Arbeitsweise, mit der wir uns bei Xing nicht mehr identifizieren können. In der Zukunft der Arbeit sollte sich unserer Meinung nach niemand mehr aufgrund des Alters oder der Position wichtiger fühlen dürfen als irgendjemand anderes. Das ‚Du‘ schafft Nähe und eine emotionale Verbundenheit, die auch in einem professionellen Umfeld zu einem signifikant besseren Miteinander führt. Schließlich kommt man mit dem ‚Du‘ deutlich leichter zum ‚Wir‘ als mit dem traditionellen ‚Sie‘.

Diese Begründung ist Wokeness und Heuchelei vom Feinsten. Es geht mal wieder darum, dass sich niemand diskriminiert fühlen darf und alle angeblich gleich gestellt sind. Was für eine Lüge! Wenn es in einem Unternehmen tatsächlich keine Hierarchien gäbe und alle Mitarbeiter gleichrangig wären, dann dürfte es doch zum einen keinerlei Arbeitskräfte in Führungspositionen geben und zum anderen, noch wesentlich entscheidender, müssten doch auch alle Mitarbeiter gleich viel verdienen! Natürlich liegt nichts der Wahrheit ferner: Wer ein höheres Gehalt bezieht und eine größere Verantwortung in einem Unternehmen trägt als andere Mitarbeiter, der darf sich nicht nur zurecht wichtiger fühlen, er ist es auch! Dasselbe gilt natürlich erst recht für selbstständige Unternehmer, die sich mit harter Arbeit etwas aufgebaut haben und eine Schar von Mitarbeitern beschäftigen. Dieser Boss kann seinen Kollegen noch so oft auf die Schulter tätscheln und den Angestellten, am besten noch den Putzfrauen, gebetsmühlenartig versichern: „Wir sind alle ein Team, ihr seid für das Unternehmen alle gleich wertvoll„, doch wird das an den Fakten nichts ändern.

Duzen aufgrund von Gender-Wahn

Noch irrerere Blüten treiben Zeplins Ausführungen am Ende des darauffolgenden Absatzes, in dem sie sich Sorgen um eine Diskriminierung des sogenannten dritten Geschlechts macht: „Mal ganz abgesehen davon, dass die binäre Anrede mit ‚Frau‘ oder ‚Herr‘ das dritte Geschlecht völlig außer Acht lässt und damit auch nicht mehr in unsere Zeit passt.“ Wenn die gute Frau Zeplin sich solche Sorgen um Geschlechtergerechtigkeit bzw. ein Geschlecht macht, das in Wirklichkeit gar nicht existiert, warum nennt sie sich dann selbst „Insider für Diversity, Data, Karriere“ und eben nicht „Insiderin”? Auch sonst wendet sie in ihrem Text oft nur die männliche Form, höchstens noch die weibliche an – jedoch keine, die sich an „alle Geschlechter“ richtet.

Wenn sie ganz konsequent wäre und ihr „Geschlechtergerechtigkeit” ein solch großes Anliegen ist, dann dürfte sie Menschen in der dritten Person auch nicht als „sie“ oder „er“ bezeichnen, sondern müsste sich irgendwelche Fantasiewörter ausdenken; wenn schon, denn schon!

Ältere und Konservative legen noch Wert auf „Sie“

Zudem werden bei diesem neuen Sittenverfall alle Menschen diskriminiert, die eben nicht geduzt werden möchten. Gerade ältere und konservativ eingestellte Personen legen noch viel Wert auf das höfliche Sie, vor allem, wenn man sich nicht kennt oder nur eine recht oberflächliche Geschäftsbeziehung zueinander pflegt. Viele Menschen willigen einem „Du” nur aus Höflichkeit ein, fühlen sich aber tatsächlich in unangemessener Weise auf die Pelle gerückt. Gerade in der Arbeitswelt kommt es immer wieder vor, dass sich manche Kollegen in Wirklichkeit spinnenfeind sind. Wieso müssen diese Menschen dann so tun, als ob sie ein vertrauliches und inniges Verhältnis zueinander pflegen würden? Nur weil Mitarbeiter einander siezen, heißt das noch lange nicht, dass sie miteinander auf Kriegsfuß stehen und umgekehrt, duzen sie sich, müssen sie noch lange keine Freunde sein.

Als Fazit lässt sich ziehen, das die „Du„-Anrede heutzutage viel zu inflationär gebraucht wird und es sich dabei fast schon um einen schalen Kult handelt. Wenn die angesprochene Zielgruppe oder die Kollegen untereinander besonders jung sind, ist es angemessen, sonst jedoch nicht, zumindest nicht, wenn man sich nicht gut kennt oder befreundet miteinander ist. Zudem verfehlt dieser Brauch sein eigentliches Ziel, nämlich, dass alle gleich und für immer jung sind.

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