
Bei ihren Versuchen, ihre wortbrüchige Kehrtwende hin zur Impfpflicht irgendwie argumentativ zu begründen, greifen maximalverlogene politische Entscheider und ihre publizistischen Adjutanten inzwischen in die unterste Schublade. Jetzt folgt die bislang mieseste Nummer überhaupt: In einer Art umgekehrten Psychologie heucheln sie plötzlich Mitgefühl für die Ungeimpften, die unter Diskriminierung litten. Sie meinendamit allerdings nicht die von ihnen selbst entfesselte, institutionalisierte und proaktiv geförderte Diskriminierung durch Staat, Gesellschaft und Geimpfte – sondern die angebliche „Diskriminierung“, die Ungeimpften durch anderen Ungeimpften drohe für den Fall, dass sie sich doch zur Impfung entscheiden sollten. Diese behauptete „Angst vor Ausgrenzung“ innerhalb der eigenen Minderheit soll nämlich – so will uns diese neueste Propaganda-Volte weismachen – der wahre Grund dafür sein, warum sich viele Ungeimpfte weiterhin vor der Nadel drücken.
Und natürlich hat der Staat auch gleich eine Lösung des Dilemmas parat: Eben die allgemeine Impfpflicht. Denn wenn alle gleichermaßen „müssen“, braucht sich auch niemand mehr zu rechtfertigen, warum er das eigene Lager verraten hat oder schwach geworden ist. Auf diese Weise soll „Spaltung“ überwunden werden; und genau so drücken sie es offen aus. Markus Söder – nunmehr buchstäblich von allen guten Geistern verlassen – sagte heute wörtlich genau dies: „Eine Impfpflicht wird die Spaltung der Gesellschaft überwinden.” Dass diese Spaltung laut Bundeskanzler Scholz gar nicht existieren soll, darauf geht er nicht ein.
Zynisch, hinterhältig, raffiniert
Zum einen zeugt Söders Gedankengang natürlich von einem sprachlos machenden Zynismus, von einer Hinterhältigkeit und Raffinesse, die eines Lenin, Ilja Ehrenburgs oder ein Joseph Goebbels würdig gewesen wäre: Die Unterstellung, Opfer bereits bestehender gesellschaftlicher Diskriminierung fürchteten mehr die mögliche Diskriminierung durch andere ebenfalls Diskriminierte, sobald sie etwas gegen ihre Diskriminierung unternehmen, weshalb ihnen gleiche Zwangsmaßnahmen für alle einen Ausweg aufzeige: Sie ist argumentativ ähnlich perfide wie die berüchtigte „Schutzhaft“ aus früheren Kapiteln unserer Geschichte, als Delinquenten von einem fürsorglichen Staat bekanntlich ja auch „in Sicherheit gebracht wurden“ – ganz so, wie sie jetzt zu ihrem Impfglück gezwungen werden sollen.
Zum anderen aber scheint hier natürlich eine Verachtung für Pluralismus, Individualismus, Meinungsfreiheit und -vielfalt, für Streitkultur, für Privatautonomie und Selbstbestimmung durch, die einem „nordkoreanischen“ Verständnis von Gemeinschaft und Volkssolidarität in nichts mehr nachsteht: Zwang für alle soll die uniforme Schicksalsgemeinschaft. Nicht mehr vor dem Gesetz, sondern vor Verboten und Zwangsmaßnahmen sind fortan alle gleich. Der Staat ebnet alle Widerstand ein und hält alle Bürger gleichermaßen nieder. Die Söder’sche „Überwindung von Spaltung“ ist eine Friedhofsruhe, in der Andersdenkende zum „Mitmachen“ gezwungen werden – beziehungsweise dann, wenn immer noch bockig und standhaft bleiben, eben entsprechend den Methoden des jeweils vorherrschenden Systems sanktioniert werden: Bei den Bolschewisten durch Gulag, bei den Nazis durch Deportation oder Lagerhaft, bei der DDR durch Zuchthaus – und bei uns heute, im Gerade-noch-Rechtsstaat BRD, sind es dann eben – zumindest einstweilen noch – Bußgelder oder Beugehaft. Und sollte auch das nicht ausreichen und die Infektionsgefahr nicht sinken (wofür bedarfsgerecht gesorgt werden kann), dann wird man auch in diesem besten Deutschland aller Zeiten über härtere Mittel gegen Impfverweigerer reden. Entweder dann doch Zwangsimpfung – oder Quarantänecamps für Ungeimpfte nach australischem Vorbild, und irgendwann dann Schlimmeres. Rote Linien gibt es ja bekanntlich keine mehr.
Friedhofsruhe als „Überwindung von Spaltung“
Ansage-Autor Wolfram Ackner schreibt dazu heute auf Facebook: „Eine Lage zu schaffen, in der du als Ungeimpfter quasi von jedem öffentlichen Leben ausgeschlossen bist, wo die Impfverweigerer tagtäglich mit der Drohung vor Existenzverlust und brutalstmöglicher sozialer Ächtung malträtiert werden … und dann zu behaupten, dass die, die trotz monatelangem Psychoterror immer noch ungeimpft sind, sich nur deswegen nicht die Spritze abholen, weil sie Angst vor sozialer Ächtung durch die anderen Ungeimpften haben und eine Impfpflicht helfen könnte – diesen Zynismus hätte sich die Obrigkeit nicht einmal zu DDR-Zeiten erlaubt.”
Klar ist:Wer Abweichler, unfolgsame und unbeugsame Randgruppen (konkret also Impfgegner, die sich gegen die Mehrheit der Impfbefürworter stellen) dadurch auf Linie zwingen will, dass er einfach nur noch ein bestimmtes, „richtiges“ Verhalten für gesetzlich erklärt, der zeigt damit zwar maximale „Toleranz“ gegenüber denen, die ohnehin auf seiner Linie liegen – aber maximale Intoleranz gegenüber der abweichenden Minderheit. Dies ist das finale Ende der Demokratie. Und weil es so gruselig ist, kommt man wiederum nicht umhin, sich aufdrängende Vergleiche mit früheren dunkeln Phasen der Geschichte auszusprechen. In der Spätphase der Weimarer Republik wurde die Masse der oppositionellen Kleinparteien des gesamten politischen Spektrums – heute würde man von Querdenkern und Schwurblern reden – von vielen als Hauptproblem gesehen. Das Parlament war eine „Quassel-“ oder Schwatzbude“, dessen Chaos die simplen, heilsamen Lösungen verhinderte. Hitlers Wahlkampfrede in Eberswalde im Juli 1932 gipfelte in der später vielzitierten Aussage: „Ja, wir sind intolerant. Ich habe mir ein Ziel gestellt, nämlich die 30 (anderen) Parteien aus Deutschland hinauszufegen.” Übertragen auf die Gegenwart könnte man hier von der Vorwegnahme einer „Wahlpflicht“ sprechen, mit der dann die gesellschaftliche Spaltung überwunden wurde. Mit bekanntem Ausgang.