Keine muslimische Lehrerlaubnis mehr für muslimischen Pädagogen? Badische Zeitung: „Ein abservierter Reformer?“ Wer steckt dahinter? Frankfurter Allgemeine: Ein Islamreformer, der nicht reformieren darf. Rückblick auf seine 40 Thesen zur Reform des Islam (meine Rezitation). Sein Kernsatz: „Nur ein liberaler Islam – mein Islam – ist zukunftsfähig“
Von Albrecht Künstle
Es wird immer skurriler in unserm Land. Der (sunnitische) Islamwissenschaftler und Buchautor Dr. Abdel-Hakim Ourghi bildet seit Jahren an der PH Freiburg islamische Religionslehrer aus. Eigentlich ist er bekannt wie „ein bunter Hund“, sollte man meinen. Vor vier Jahren verfasste ich eine Buchrezension seiner 40 Thesen zur Reform des Islam. Sowohl er als auch ich haben das überlebt. Aber dieser Tage wurde Ourghi auf einer Veranstaltung gegen Antisemitismus auf dem Platz der Alten Synagoge von einem jungen Araber angegriffen, „Was war 1948 – ihr tötet unsere Kinder“. Die Polizei konnte verhindern, dass der Angriff über die verbale Attacke hinausging. Gibt es denn unter dieser Spezies nur noch Messerhelden und Psychopathen?
Dr. Abdel-Hakim Ourghi versucht sich als Reformer, weil er erkannt hat, das Erscheinungsbild des Islam passt nicht zu Deutschland. Er träumt wie einige andere von einem Europäischen Islam. Das ist für die überwiegenden Hardliner der Islam-Oberen eine halbe Kriegserklärung – der Islam lasse sich nicht reformieren, weil der Koran weder im Komma noch im Strich verändert werden dürfe. Und dessen Auslegung sei Sache der selbsternannten Religionswächter, die es nicht nur in Teheran gibt.
Das Kultusministerium will seine Hände in Unschuld waschen und übertrug die Personalhoheit im letzten Jahr einer eigens gegründeten und vom Land finanzierten „Stiftung sunnitischer Schulrat“. Diese wird von nur zwei Organisationen getragen, einer türkischen und einer bosniakischen, die nicht nur geographisch auf einer Linie liegen. Und diese mögen Ourghi offensichtlich nicht, zweifeln sogar seine Eignung an. Auch eine Brüskierung der Pädagogischen Hochschule, von der er einen Lehrauftrag hat – hatte.
Ist Ourghi ihnen nicht islamisch genug? Weil er sich gerne als einen Martin Luther sieht, den großen Reformator der damaligen Amtskirche, die seinerzeit ebenso auf Abwegen war wie heute der Islam. Aber das unterscheidet den arabisch geprägten Islam des Vorderen Orients von den europäischen Kirchen: Die evangelischen und katholischen Christen verstehen sich inzwischen recht gut und sind sogar leidenschaftliche Islamversteher. Die muslimischen Richtungen haben aber nichts mit dem Christentum zu schaffen und bekämpfen sich sogar gegenseitig, von Anfang an. Es fing schon bei der Beerdigung des „Propheten“ an. Ourghi hat Recht, DIESER Islam passt nicht zu Europa. Ich füge hinzu, er passt nicht in diese Welt.
Die Bedeutung dieses Vorgangs wird an der ganzseitigen Story der Badischen Zeitung deutlich. Auch die F.A.Z. berichtete am 30. Juni über den Reformer, der nicht reformieren darf. Hier soll nicht alles mit anderen Worten wiederholt werden. Stattdessen verdeutliche ich die Brisanz mit dem Auszug meiner damalige Buchbesprechung REFORM DES ISLAM – 40 THESEN dieses islamischen Reformators in spe:
Als das Buch des Freiburger Islamwissenschaftlers Dr. Ourghi im Oktober 2017 erschien, gab es in den Zeitungen leider nur wenige Würdigungen wie diese aus einem Studiennachmittag der ev. Pfarrkonvente der Ortenau: Journalistisch sauberes Werben des Islamwissenschafters für eine neue Koranauslegung. Doch am 18.10. titelte dann eine Annemarie Rösch abwertend in der Badischen Zeitung, „Kein Martin Luther der islamischen Welt“.
Hier meine kritische Sicht auf das Reformwerk: Die ersten 18 Thesen sind im Grunde eine Bestandsaufnahme des Koran und den Hadithen. Sämtlichen Thesen sind jeweils maximal sechs Seiten gewidmet, nur der 13. These 14 Seiten. Diese These wurde von den muslimischen Gegenspielern, den Imamen, Islamgelehrten und deren „Wissenschafter“ am stärksten angegriffen. Sie lautet:
These 13. Der Islam ist keine universelle Religion, denn der Koran ist eine an die Araber adressierte Religionsschrift. Ourghi begründet diese Behauptung auch. Der Prophet Allahs, Muhammad, war zur „Verkündigung der Koranverse an seine Gemeinde gesandt; „… eindeutig, dass Muhammad nur den Einwohnern der Stadt Mekka die Koranverse verkündet“. Zum Beweis Sure 42:7: „Und so haben wir dir einen arabischen Koran (als Offenbarung) eingegeben, damit du die Hauptstadt (d.h. Mekka) und die Leute in ihrer Umgebung warnst (…).“ Auch in der Sure 4:79 gehe es um „Menschen“ im Sinne von arabischen Leuten, dem Volk des Propheten. Dagegen spreche Sure 21:107 von Allah „den Menschen in aller Welt“. Doch ist bekannt, dass Muhammad am Beginn seines Prophetentums nur zu den heidnischen Arabern gesandt wurde.
Das deckt sich auch mit meinen früheren Erkenntnissen, siehe Koranauswertung vom Sept. 2017:
„Muhammads Ehefrau Chadidja glaubte seinen Eingebungen und ging zu ihrem Vetter Waraqa – einem christlichen Priester der größten Kirche in Mekka, damals mit der Kaaba Stadt der Götzendiener. Der alte Mann war zwar erblindet, aber Blindheit soll den Blick in andere Sphären vertiefen. Jedenfalls sagte Waraqa zu Chadidja: „Heilig, heilig, heilig – ich schwöre im Namen Gottes … dass dies das große Zeichen ist, das Mose empfing und dass Muhammad der Prophet dieses arabischen Volkes ist.“ (siehe Abdullah bin al Zubair, Sohn eines der engsten Freunde Muhammads, überliefert bei Ibn Hisram, Band 1 Punkt 2, S.73). Am nächsten Tag traf sich Muhammad mit Waraqa bei der Kaaba, und Waraqa schwor erneut: Du bist der Prophet dieses arabischen Volkes … (Jesus und Mohammed, Mark A. Gabriel, S.56).
Jedoch braucht man sich über diese These 13 in Deutschland nicht streiten. Dem Islamwissenschaftler Dr. Abdel-Hakim Ourghi wird von den wahren Religionsverstehern (?) im Berliner Reichstag widersprochen. Alle Parteien (alle?) behaupten hartnäckig, „dieser Islam gehört zu Deutschland“ – wie das Amen in der Kirche. Da können sich Islamwissenschafter noch so sehr den Kopf zerbrechen und die Finger wund schreiben, basta.
Die Begründung der These 21 beendet Ourghi mit dem versöhnlichen Satz, „Anstatt den Menschen ein religiöses Joch aufzuerlegen und sie in ständiger Angst vor Gott (Allah) und den Höllenstrafen zu halten, sollten sie Nächstenliebe und die Barmherzigkeit Gottes predigen“ Wie wahr, das würde den interreligiösen Dialog wesentlich erleichtern.
Die These 22 beruht auf dem ‚Wissen, „Die in den muslimischen Gemeinden vermittelte Religion, sei es in den türkischen oder in den arabischen Moscheen, ist realitätsfremd … eine Pädagogik der Unterwerfung … die systematisch isoliert… Auch die Kinder werden im Koranunterricht am Wochenende mit Strenge unterrichtet… Diese Halal(erlaubt)- oder Haram(verboten)-Generation (fördere) das Bewusstsein des Übermuslims … (betrachte) Juden und Christen als Ungläubige (Kuffar) und … (führe) zu Dschihadisten, die bereit sind, aus Liebe zur islamischen Ideologie unschuldige Menschen zu töten.“ Anmerkung Künstle: Eigentlich sollte es auch geächtet sein, schuldige Menschen zu töten.
Schließlich empfiehlt Ourghi, die Bezahlung von Imamen aus dem Ausland zu verbieten und Predigten in „deutschen“ Moscheen auf Deutsch halten zu müssen.
These 23 macht deutlich, dass der Autor dem in Deutschland bekannten Islam kritisch gegenübersteht, aber nicht mit ihm gebrochen hat. Er bemüht nahezu alle Fundstellen im „humanistisch-ethischen Koran“, in dem von Barmherzigkeit, Vergebung und Liebe die Rede ist. Aber scheinbar erkennt er die Einschränkungen im Koran, dass dessen Barmherzigkeit nur den eigenen Gläubigen gegenüber gilt, die Vergebung nur von Allah komme. Nicht Vergebung von den Menschen untereinander und mit Liebe die Furcht vor Allah gemein ist. „Daher ist es die Aufgabe der Reform des Islam, die Gesetze der Furcht und des Hasses durch die Grundsätze der Liebe, der Freiheit und es Guthandelns zu ersetzen… Deshalb brauchen wir eine Gnadentheologie …“ resümiert der Autor nicht ohne Grund. Das ist auch Gegenstand seiner These 24.
Kritisch, ja lebensbedrohlich, könnte ein Satz zur Begründung seiner These 25 werden. „Eine zeitgemäße Interpretation des Koran will nichts anderes als die Macht des konservativen Islam brechen.“ Diese rhetorische Herausforderung der herrschenden Islam-Oberen könnte leicht zu einer tätlichen Kampfansage dieser Clique gegen den Reformator werden – Gott schenke ihm ein langes Leben!
Den Thesen 26 und 27 zur Meinungs- und Glaubensfreiheit ist nichts hinzuzufügen.
Mit der These 28 geht der Autor mit dem penetranten Vorwurf ins Gericht, ANDERSgläubige seien UNgläubige. Darin bricht er auch eine Lanze für Menschen, die konvertieren oder denen der Glaube ganz abhandengekommen ist. „Das bedeutet auch, den Islam ohne Furcht um sein Leben verlassen zu können. Nicht Gott ist der Fanatiker, sondern die selbsternannten Gelehrten …“
Etwas Koran-Beugung begeht der Autor mit der These 29, die auch dem angeblichen Tötungsverbot für Muslime gilt (warum gibt es dann mordende Islamisten?). Dabei greift Ourghi auf die viel bemühte Sure 5:32für die Friedfertigkeit des Islam zurück: „…Wenn jemand einen tötet, der keinen anderen getötet, auch sonst kein Unheil auf der Erde gestiftet hat, soll es so sein, als ob er die Menschen alle getötet hätte…“
Das ist jedoch unvollständig zitiert. Denn in allen 4 geläufigen Koranübersetzungen gilt diese Botschaft „den Kinder Israels“, den Juden. Sie ist der Tora entnommen, im Neuen Testament geht das Tötungsverbot noch weiter. Diese löbliche Moral des Tötungsverbots der „Buchreligionen“ wurde von Muhammad leider nicht durch die Streichung der Passage „Kinder Israels“ im Koran auf seine Anhänger übertragen. Deshalb fühlen sich strenggläubige Muslime nicht daran gebunden, weil dieses Tötungsverbot im Koran nur den Juden auferlegt ist (auf die erneute Wiedergabe des Wortlauts der Sure 5:32 der einschlägigen Koranausgaben wird hier aus Platzgründen verzichtet).
Doch ist es Ourghi zugute zu halten, dass er alle Register zieht, um das Beste aus den Grundlagen des Islam herauszuholen. Wie sonst gelänge es, den Islam zu reformieren ohne ihn abzulehnen?
Die These 30 gilt den vielfältigen Glaubensabspaltungen, die schon Muhammad prophezeite. Ein Hadith führt aus, die Gemeinde Moses sei in 71 Gruppen gespalten, die Gemeinde Jesu in 72. Und seine Gemeinde werde in 73 gespalten sein – „und nur eine gehe ins Paradies, der Rest in die Hölle“. Dann sind wohl die islamischen Kriege untereinander der Kampf um die Eintrittskarte in jenes „Paradies“ – in dem ich nicht sein möchte. Aber Sarkasmus beiseite, der Autor appelliert an die Muslime, Fragen des Glaubens und des richtigen Lebens im Widerstreit der Argumente zu klären. M.E. wäre es schon ein Fortschritt, zu glauben und glauben zu lassen.
Auch mit der These 31, „religiös zu sein bedeutet interreligiös zu sein“, versucht Ourghi einen (legitimen) Kunstgriff und greift auf Sure 29:46 zurück: Wir (Muslime) glauben an das, was auf uns herabgesandt und auf euch (Christen und Juden) herabgesandt wurde. Unser Gott und euer Gott sind einer. Das ist zutreffend übersetzt. Aber seine These „Der Koran selbst betrachtet sich aber auch als eine ausdrückliche Bestätigung der Offenbarungen der Thora und der Evangelien“ ist schlicht, sich in die Tasche zu lügen. Denn Muhammad bezeichnete das Neue Testament als eine Fälschung des schon vorausgegangenen Koran und bestritt die wesentlichen Glaubensgrundsätze der Christen. M.E. ist es nicht zielführend die Unterschiede der Religionen gleichmacherisch zu negieren. So etwas könnte nicht lange anhalten und ins Gegenteil von Harmonie umschlagen.
Der These 32, niemand ist im Besitz der Wahrheit und keiner habe den Schlüssel zum Paradies, ist nichts hinzuzufügen. Ich füge dennoch hinzu: Auch der Besitz eines Moscheeschlüssels verschaffe weder den Zugang zur Wahrheit noch zum Paradies. Und der Autor beendet diese These mit dem Satz, „Wir Muslime sind nicht das auserwählte Volk.“
Die These 33 ist der Unterdrückung der Frauen des Islam gewidmet und fordert diese sogar auf, sich gegen ihre Männer zu erheben, was auch Thema der These 34 ist, das Kopftuch. Ourghi bestreitet zwar, dass der Hijab im Sinne des Kopftuches oder Verschleierung im Koran nicht vorkomme. Gleichzeitig räumt er ein, dass die Verschleierung achtmal mit anderen Bedeutungen verankert ist. Dies sollen aber die Muslime unter sich ausmachen. Nicht akzeptabel ist nur, dass die muslimische Minderheit dabei ist, der kulturellen Mehrheit ihre Vorstellungen aufzudrücken und unsereins als charakterlos gelten oder unsere Frauen als Schlampen tituliert werden.
Aus der These 35 machte Ourghi gleich Nägel mit Köpfen und schlug seine 40 Thesen in der Manier Luthers an einer Berliner Moschee an, in der erstmals eine Imamin tätig ist und predigt. In seiner Heimatstadt Freiburg hat er sich das noch nicht getraut. Vermutlich nimmt er die massive Ablehnung nicht auf die leichte Schulter, die er nach der Berliner Moschee-Eröffnung erhalten hat. Am Abend als ich ihn persönlich kennenlernte gab er in der Kath. Akademie in Freiburg bekannt, dass er seiner Familie wegen vorerst auf eine solche Moschee in Freiburg verzichtet.
Bemerkenswert ist seine These 36, „Der Islamismus hat sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun. Das religiös-politisch motivierte Töten (isti rad) erreichte einen Höhepunkt bereits in der Frühgeschichte des Islam, attestierte der Autor dem Islam… Durch die ganze Frühgeschichte des Islam zieht sich das Phänomen der Gewalt.“ Die Millionen und Abermillionen Opfer, die Juden und Christen von damals und heute könnten ein Lied davon singen (wenn sie noch gekonnt hätten). M.E. ist eine solche Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung, wie ein Sprichwort sagt.
Daran schließt sich sein Reform-Aufruf an, die These 37, “Der nicht reformierte Islam ist keine Religion des Friedens“ und auch die These 38, „Wir Muslime sind keine Opfer“.
Seinen großen Spagat versucht Ourghi mit den Thesen 39/40: „An dieser Stelle erlaube ich mir das erste Mal die These zu vertreten, dass es keinen moderaten und extremistischen Islam gibt, es gibt auch keinen wahren und falschen Islam. Es gab und gibt nur einen Islam. Die Grundlage für diesen einheitlichen Islam ist der humanistisch-ethische Koran, der Räume schafft, um frei zu denken und sein Leben selbstbestimmt zu gestalten.“ Nur ein liberaler Islam – „mein Islam“ (Ourghi) – ist zukunftsfähig, ist das Resumée seines Buches. Der loyale Islam sei ebenso seine Heimat wie es Deutschland ist. Auf der letzen Seite 226 führt er das mit plausiblen Beispielen aus.
Schlussbemerkungen von Albrecht Künstle: Das Buch sollten alle lesen, die sich dem „interreligiösen Dialog“ verschrieben haben. Wer die Hauptadressaten des Autors Dr. Abdel-Hakim Ourghi sind ist nicht ganz klar. Sowohl die liberale Moschee in Berlin, als auch die Diskussionsveranstaltung „Liberale Moschee in der Debatte“ am 22.02.2018 war weniger von Muslimen besucht als von Anderen. Und ich wollte drauf wetten, dass die 40 Thesen zur Reform des Islam mehr von Christen gelesen wurden und werden als von Muslimen.
Seine Thesen könnten der Grund dafür sein, ihn seitens seiner Mit-Muslime kaltzustellen. Aber „kommt Zeit, kommt Rat“ – die Nachfolger des Reformators Luther sind so zahlreich wie die der katholischen Kirche. Vielleicht geschieht auch einmal ein Reform-Wunder im Islam? Die Hoffnung stirbt zuletzt.