Die Ermordung des japanischen Ex-Premiers Shinzo Abe am 8. Juli d.J., anlässlich einer Wahlkampagne in Nara, gibt weiterhin Rätsel auf. Eine Analyse von Videoaufnahmen zeigt ein totales Sicherheitsversagen vor Ort. Auch wenn es nur um wenige Sekunden ging – Abe könnte noch leben, sind sich (inter)nationale Experten einig. Der festgenommene mutmaßliche 41-jährige Attentäter kommt wegen Mordes vor Gericht. Er sagt, Abe sei ihm wegen seiner Mitgliedschaft in der „Vereinigungskirche“ ein Dorn im Auge gewesen – dort habe seine Mutter nämlich all ihr Geld verloren. Er wird nun auch psychologisch begutachtet.
Security ließ Mörder näher kommen
Die Experten, die das vorliegende Videomaterial sichteten, sprechen von einer Verkettung von Versäumnissen bei der Sicherheit und der Reaktion von Abes Leibwächter. Abe könnte noch leben. Üblicherweise bilden Sicherheitsleute konzentrische Ringe um eine zu bewachende Person, was nicht der Fall war. Abe stand, im Rücken völlig ungeschützt. Auch in der versammelten Menge gab es keine Überwachung. Auf Videoaufnahmen sieht man, wie sich der mutmaßliche Attentäter bis auf 7 Meter gezielt und unkontrolliert Abe näherte, bevor er seinen ersten Schuss abgab, der ihn verfehlte. Er schoss angeblich aus einer selbst gebastelten Waffe, die Sicherheitsbeamte für eine Kamera hielten. Wenige Sekunden später fiel der zweite, tödlich Schuss.
Versagen und Inkompetenz
Abe hätte einen engagierten Leibwächter haben sollen, um ihn wegzubringen, sagte ein Mitglied des U.S. Diplomatic Security Service, der hochrangige Diplomaten und ausländische Würdenträger schützt. „Wir würden ihn an Gürtel und Kragen packen, ihn mit unserem Körper abschirmen und uns entfernen“, sagte der Agent. Katsuhiko Ikeda, ehemaliger Generalsuperintendent der Tokioter Polizei, der 2000 und 2008 die Sicherheit für Japans G8-Gipfel leitete, sagte, alles hätte sich ganz anders entwickelt, wären die Sicherheitsmänner nahe genug bei Abe gewesen, um ihn in ein oder zwei Sekunden zu erreichen. Ito, der ehemalige Polizeisergeant, sagte, dass die Sicherheit den ersten Schuss hätte stoppen können, wenn sie wachsam gewesen wären und miteinander kommuniziert hätten. Mitsuru Fukuda, ein auf Krisenmanagement und Terrorismus spezialisierter Professor an der Nihon-Universität dazu: Falsche Reaktion. Man habe den Schützen verfolgt, anstatt Abe zu beschützen. Es habe genug Sicherheitspersonal gegeben „aber kein Gefühl von Gefahr“, sagte Yasuhiro Sasaki, ein pensionierter Polizist in der Präfektur Saitama in der Nähe von Tokio, der für die Sicherheit von VIPs zuständig war. “Alle waren erschrocken und niemand ging dorthin, wo Abe war.”
Zeitfenster von 2 Sekunden
Laut Koichi Ito, einem ehemaligen Sergeant des Spezialangriffsteams des Tokyo Metropolitan Police Department und jetzt Sicherheitsberater, zeigt das Filmmaterial vier Leibwächter innerhalb der Leitplanken, während Abe sprach. Ihre Zahl wurde vom Lokalpolitiker Masahiro Okuni bestätigt, der vor Ort war. Als Abe anfing zu reden, war der mutmaßliche Attentäter auf Videomaterial im Hintergrund zu sehen, wie er klatschte. Als er hinter Abe auftauchte, schien die Sicherheit nicht einzugreifen, wie das Video zeigt. „Selbst wenn sie das verabsäumt haben, gab es vor dem zweiten Schuss ein Zeitfenster von mehr als zwei Sekunden, also hätten sie das definitiv verhindern können“, sagte er. “Wenn Abe richtig geschützt worden wäre, hätte es vermieden werden können.”
Polizei hält sich bedeckt
Die Nationale Polizeibehörde, die die örtlichen Polizeikräfte beaufsichtigt, sagte, die Ermordung von Abe sei das Ergebnis des Versagens der Polizei, ihrer Verantwortung nachzukommen. „Wir erkennen an, dass es nicht nur Probleme bei der Reaktion vor Ort gab, wie der Sicherheits- und Schutzeinrichtung, dem Einsatz von Personal und grundlegenden Sicherheitsverfahren, sondern auch in der Art und Weise, wie die Nationale Polizeibehörde beteiligt war“, hieß es in einer Antwort auf Medienanfragen. Das Ganze werde nun untersucht.
Abe im Visier der Globalisten?
Spekulationen von Insidern, wonach der 67-jährige Abe innerhalb der konservativen Regierungspartei LPD wieder die Führung übernehmen wollte und damit anderweitigen Plänen im Weg stand, wollen nicht verstummen. Eine Rolle dabei spielt möglicherweise die „Vereinigungskirche“ (Moon-Bewegung), der Abe nahestand und die angeblich weltweit, auch in den USA, rechte Kreise finanziert. Abe war bei konservativen Japanern beliebt, bei Sozialisten und Kommunisten verhasst. Vor zwei Jahren trat er aus Gesundheitsgründen zurück, blieb aber weiterhin graue Eminenz innerhalb seiner Fraktion. Er wollte u.a. die Verfassung Japans vom Diktat der USA befreien und neu aufstellen. Damit einhergehend sollte das Militär gestärkt werden, was die aktuelle Verfassung verbietet. Die LPD ist von inter-fraktionellen Konflikten zerrissen. Sie fand keinen gemeinsamen Nachfolger Abes und wird nun „kollektiv“ geführt. Der amtierende Premier, Fumio Kishida gilt in konservativen Kreisen als „liberal“, er regiere nicht im Sinne der LPD heißt es. Sollte seine Fraktion die Oberhand in der LDP gewinnen, befürchtet man den Verlust konservativer Wähler.
Linke Opposition gegen Staatsbegräbnis
Abe soll Ende September im Rahmen eines Staatsbegräbnisses beigesetzt werden. Japan hat bereits alle Länder, mit denen es diplomatische Beziehungen unterhält, darüber informiert. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow ließ wissen, Russland sondiere eine Teilnahme, Putin werde aber nicht dabei sein. Die japanische Zeitung „Sankei Shinbun“ ließ kürzlich anklingen, Japan werde einer Teilnahme Putins am Begräbnis eher nicht zustimmen. Japans Premier Fumio Kishida unterstützt die USA voll und ganz bei den Sanktionen gegen Russland. In Japan selbst formiert sich das oppositionelle Lager aus Sozialisten und Kommunisten gegen ein Staatsbegräbnis von Abe. Unterstützt von der NGO „Bürgerbewegung zur Überwachung von Machtmissbrauch durch Behörden“ unter Führung von Masamichi Tanaka, die sogar vor Gericht ging. Abe habe Japan gespalten, ein Staatsbegräbnis könnte dazu verwendet werden Abes Erbe einzuzementieren.