Horst D. Deckert

Juristisches Kapital als Schwamm für überschüssiges Geld – oder: Warum keine Inflation kommt

Horst Lüning hat sich gerade in einem weiteren Video über das Finanzsystem ausgelassen. Er bezieht sich dabei auf George Gammon, dem auch ich seit einiger Zeit folge, da seine Erklärvideos über das globale Finanzsystem sehr eingängig sind und in Anbetracht des trockenen Themas sogar ein bisschen unterhaltsam. Leider war es auch bei Lüning so, dass sein Ansatz für eine Erklärung der Zusammenhänge in die übliche Bilanzdenke abrutschte, was leider notwendig ist, um die innere Funktionsweise zu erklären. Den meisten Zuschauern jedoch ist das sehr schnell zu viel, da es zu viel Vorwissen benötigt. Daher möchte ich im folgenden darauf eingehen, was ich persönlich aus Gammons Videos mitgenommen und wie ich als das Grundprinzip für das derzeitige Finanzregime verstehe.

Angebot, Nachfrage, Antizipation und Vertrauen

Generell kommt es immer dann zu Veränderungen beim Preis für eine Ware oder Dienstleistung, wenn es plötzlich mehr oder weniger von etwas gibt, während von allem anderen noch immer gleich viel auf dem Markt erhältlich ist. Selbiges gilt auch für Geld, über das aus der Vergangenheit ist bekannt, dass es immer genau dann zu einer Entwertung kommt, wenn sich zu viel davon im Umlauf befindet. Konkret geschieht geschieht das, wenn sich die Umlaufmenge des Geldes vergrößert, ohne dass sich gleichzeitig das Produkt- und Dienstleistungsangebot vergrößert.

Das ist die einfachste Version dieses Zusammenhangs, wobei es selbst in der Grundbetrachtung in der Regel noch einmal erheblich komplexer zugeht, da weitere Faktoren wie die Antizipation von Akteuren auf dem Markt berücksichtigt werden müssen. Bei der Antizipation geht es vor allem um die Frage, welche zukünftigen Preise auf dem Markt erzielt werden, damit die Akteure besser ausrechnen können, wie sie agieren müssen. Je besser sich dies anhand der bestimmenden Faktoren berechnen lässt, desto zuverlässiger funktioniert der Markt.

Kommt es zu Störungen im Bereich der Antizipation, so dass die Marktteilnehmer nicht mehr in der Lage sind, die Preise in angemessener Weise zu antizipieren, dann geht die Zuversicht in die eigene Position auf dem Markt verloren und ein Vertrauensverlust setzt ein. Es ist genau dieser Punkt, an dem die Preise verrückt zu spielen beginnen, da sich die Akteure plötzlich nicht mehr nur auf einen Trend einstellen müssen, sondern auf alle.

Kommt es zu diesem Vertrauensverlust, dann steigen die Preise, während das Angebot auf dem Markt zurückgeht. Erklären lässt sich dies mit dem Aufbau von Vorräten durch die Akteure auf dem Markt, während gleichzeitig das unbekannte Risiko in Form höherer Preise auf die Kunden umgelegt wird.

(Nur) die Infusion direkt in die Venen ist tödlich

Genau in dieser Situation befindet sich das heutige Finanzsystem, nachdem die Staatsschulden ein untragbar hohes Niveau erreicht hatten und sich die Politik gemeinsam mit ihren Finanzexperten dazu entschied, die Schulden per Druckerpresse zu begleichen. Selbstverständlich spielen noch andere relevante Faktoren eine Rolle, der erste Dominostein allerdings fiel mit der zunehmenden Verschuldung der öffentlichen Hand.

Theoretisch müsste es heute schon so sein wie zu Beginn der Weimarer Republik, als die zu knappen Staatsfinanzen dazu führten, dass der Staat zur Druckerpresse griff, um unerwartete Kosten zu begleichen. Zunächst ging das sogar gut, doch als das Geld seinen Weg nicht mehr nur indirekt in den Finanzmarkt fand, sondern im Zusammenhang mit einem Generalstreik im besetzten Rheinland direkt in den Güterkreislauf induziert wurde, da brachen die Dämme und die Reichsmark verlor binnen wenigen Wochen so viel wert, dass sie nur noch als Tapete taugte.

Die Lehre daraus und auch aus anderen Situationen wie in Simbabwe, Venezuela, aber auch dem revolutionären Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts lautet, dass sich die Inflationswirkung hauptsächlich dann entfaltet, wenn die Angebotsausdehnung des Geldes greifbar wird. So lange es dagegen möglich ist, das frisch gedruckte Geld im Finanzkreislauf zu halten, bleibt das Risiko einer rapiden Entwertung gering und relativ gut beherrschbar. Gibt es keine sonstigen externen Schocks mit Folgen für das Güter- und Dienstleistungsangebot, dann bleibt das Vertrauen in die Währung erhalten und es kommt nicht zu einer galoppierenden Inflation, so die Lehre daraus.

Der Versicherungsmarkt als Mittel zur Staatsfinanzierung

In der Konsequenz ist es mein fester Eindruck, dass geldpolitisch eine gezielte Strategie gefahren wird, nach der das frisch gedruckte Geld im abstrakten Finanzsektor gehalten wird, indem bei Bedarf neue regulative Vehikel geschaffen werden, mit denen Unternehmen im Finanzsektor dazu gezwungen werden, das überschüssige Geld in ihre Bilanz aufzunehmen, so dass sie nicht in der Lage sind, dieses an die Realwirtschaft weiterzugeben.

Ein klassisches Beispiel für eine solche Regelung sind Versicherungen, die gesetzlich dazu gezwungen sind, einen bestimmten Anteil ihres Kapitals in Staatsanleihen anzulegen. Dies sorgt dafür, dass der Staat zu seiner Finanzierung mit den Versicherungen stets einen Abnehmer für neu emittierte Anleihen findet. Voraussetzung für das Funktionieren dieses Winkelzugs ist die Existenz eines Versicherungsmarktes, der gleichzeitig nicht kontrahieren darf, da ansonsten die Nachfrage an frischen Anleihen zurückgehen würde.

Der Staat hat damit ein direktes Interesse daran, dass sich seine Bürger und Unternehmen privat versichern. Aus diesem einfachen Zwang lässt sich unmittelbar ableiten, dass der Staat bei einem Rückgang der Versicherungstätigkeit einfach eine neue Versicherungspflicht einführen könnte, um seine weitere Finanzierung sicherzustellen. Im Zweifel könnte der Versicherungszwang sogar zur Inflationssteuerung oder als Konjunkturvehikel verwendet werden, wie ich in diesem Beitrag über die Möglichkeit zu Kautionsbürgschaften darlege. In etwa so funktioniert meines Erachtens das Denken hinter den Kulissen der Zentralbankenwelt.

Gewollte Komplexität als Stabilitätsfaktor

In der Regel laufen derartige Steuerungssysteme vor allem im Hintergrund ab und betreffen ausschließlich institutionalisierte Akteure auf dem Finanzmarkt. Normale Konsumenten und die meisten Unternehmen bekommen davon rein gar nichts mit, was aufgrund der gelernten Lektion auch Sinn der Sache ist. George Gammon stellt die Feinheiten bei der Steuerung von Finanzdienstleistungen durch die Zentralbank und andere Regulierungsbehörden in seinen Beträgen sehr gut dar, was mich auch zum Schluss kommen ließ, dass es sich dabei nicht um eine Taktik handelt, sondern um eine Strategie. Diese funktioniert analog zu meinem Versicherungsbeispiel, jedoch läuft alles auf der Ebene von Bankbilanzen ab.

An Banken werden als Bedingung für das Betreiben ihres Geschäfts bestimmte Anforderungen gestellt. Generell drückt sich dies analog zu Versicherungen im Vorhalten bestimmter Wertpapierklassen in ihrer Bilanz dar. Im Unterschied zu Versicherungen jedoch spielt bei Banken zusätzlich zur Bilanzstruktur noch die Art und Weise, wo und wie das Kapital gelagert wird eine zentrale Rolle. Dies nicht nur generell, sondern abhängig vom jeweiligen Handelstyp, also ob es um den Interbankenhandel geht, um Transaktionen mit staatlichen Institutionen, um Geschäfte mit Unternehmen aus der Realwirtschaft oder um Privatkunden.

Dadurch gibt es mindestens drei zentrale Steuerungsebenen, mit denen die Finanzwirtschaft im Gleichgewicht gehalten wird. Erstens über innere Bilanzstruktur, zweitens über die Bilanzverteilung und drittens über die Art des Handels oder der Transaktion. Die Komplexität des Systems ist dadurch sehr hoch, was mehrere Vorteile mit sich bringt, und von denen der größte vermutlich jener ist, dass es von außen niemand mehr durchdringen kann. Das ist wichtig, da einzelne Akteure mit ausreichend Kapital versuchen könnten, das System zum Einsturz zu bringen, was bei jedem komplexen System möglich ist, da diese prinzipiell kritische Schwachstellen aufweisen. George Soros Sprengen der Bank of England zu Beginn der 1990er Jahre ist ein Beispiel dafür. Je weniger Akteure darüber Bescheid wissen, desto besser.

Bilanzierungsregeln als geldpolitische Instrumententafel

Die Verschleierung der Mechanik des Bankensystems eröffnet den Betreibern die Möglichkeit, das System immer weiter anzufüllen, ohne dass es zu einem Ungleichgewicht kommt, da sie bei Bedarf die Regelschrauben verändern können. Sobald neues Geld in das System herein gedrückt wird, sorgen die unterschiedlichen Regelungen auf den drei Ebenen dafür, dass sich alles proportional aufbläht, während gleichzeitig kaum etwas davon nach außen dringt. Kommt einmal zu viel, dann verändert man entweder das Regelwerk für Wertpapier in einer Weise, damit das Bilanzsystem als ganzes aufnahmefähiger wird, oder aber es wird ein anderer Typus Wertpapier in das System eingegeben, was dazu führt, dass sich das Geld in den Bilanzen oder außerhalb davon unbemerkt, aber dennoch in geregelter Weise verteilt.

Man kann es sich in etwa so vorstellen, als würde man einen Tank bei laufendem Motor mit Benzin befüllen und jedes Mal dann, wenn es überzuschwappen droht, dann wird am Motor die Last erhöht, so dass der Verbrauch steigt. Hilft alles nichts mehr, dann kippt man qualitativ schlechteres Benzin nach, damit der Motor etwas an Leistung verliert. So lässt sich das Benzin weiterhin (fast) nach Belieben nachkippen, ohne dass etwas überläuft.

Was in diesem Beispiel die Abgase ausmachen, sind im Finanzsystem vor allem die immer stärker auftretenden Verzerrungen am Immobilienmarkt. Bei diesem handelt es sich um die Schnittstelle zwischen Real- und Finanzwirtschaft, da Immobilien und Anleihen ähnliche Eigenschaften aufweisen. Eventuell könnte man auch das aufziehende ESG-Regime als Mittel zum Zweck der Aufrechterhaltung Finanzmarktstabilität außerhalb des Finanzmarktes erachten, da dieses weitgehend unproduktive Veränderungen erzwingt und das Geld analog zu Mefo-Wechseln weitgehend verpufft (damals in Rüstungsgüter; heute in Feminismus, Klima und Diversity).

Im Prinzip würde ich diese Strategie als eine der Schaffung „juristischen Kapitals“ bezeichnen. Per se ist dieses juristische Kapital zwar wertlos, da sich darin keine Produktivität ausdrückt. Allerdings bekommt das Kapital durch die unterschiedlichen finanzwirtschaftlichen Regelungen abhängig vom Typ und Zweck einen künstlichen Wert zugewiesen, so dass sie bei den Akteuren begehrenswert werden. Ohne den staatlichen Zwang würden die Akteure dieses juristische Kapital nie akzeptieren. Da der Staat sein regulatives Monopol aber weiterhin durchsetzen kann, ist es nicht weniger wertvoll wie Edelmetalle oder Immobilien, so dass es entsprechend nachgefragt wird.

Grenzen des juristischen Kapitalregimes

Obwohl es das nicht sollte, funktioniert dieses System erstaunlich gut. Im Unterschied zu größeren Experten als mir selbst bin daher auch der Ansicht, dass uns der Euro eventuell noch erheblich länger erhalten bleiben könnte, als uns lieb ist. Genau genommen sehe ich gute Chancen darauf, dass der Euro in etwa so lange existieren wird wie der sowjetische Transferrubel, also in etwa bis zum Jahr 2040. Ähnliches gilt auch für andere Währungen wie den Yen, das Pfund oder den US-Dollar, die alle in vergleichbarer Weise am laufen gehalten werden. Dennoch wird auch die das Regime des juristischen Kapitals irgendeann ein garantiertes Ende finden. Vier Ursachen sehe ich dafür, die ich oben jeweils schon angerissen habe.

Erstens könnte jemand das Finanzsystem von innen sprengen, wie es bei der Bank of England geschehen ist. Im Unterschied zu damals würde in diesem Fall jedoch nicht nur ein großer Akteur in die Knie gehen, sondern in rascher Sequenz alle, da das juristische Kapital eine immer engere Vernetzung der verschiedenen Ebenen des Finanzsystems erfordert. Das Stichwort dazu wäre Kartenhaus, wobei es durchaus sein kann, dass es heute schon immer wieder zu Versuchen kommt, von denen wir allerdings nichts mitbekommen, da sie „mit anderen Mitteln“ vereitelt werden.

Zweiter möglicher Endpunkt sind externe Schocks, die immer wieder unerwartet auftreten können und von denen es in letzter Zeit gleich drei Stück gab. Der erste war das Blockieren des Suez-Kanal durch ein Containerschiff, was unter Beweis stellt, dass selbst ein kleines Element zur großen Katastrophe führen kann. Das zweite Beispiel ist die weiterhin schwelende Coronakrise, wobei auch sie vermutlich eher nicht das Finanzsystem sprengen wird, da sie von einem akuten Notzustand in einen chronischen Permanentzustand umgewandelt wurde. Drittes Beispiel wiederum wäre der erfolgreiche Einzug der Taliban in Afghanistan, was aufgrund des Vertrauensverlustes in die Machtprojektion der USA am ehesten noch zu einem todbringenden Schock für das Finanzsystem hätte werden können. Lediglich die vermutete lange Vorbereitungszeit hinter den Kulissen sorgte dafür, dass es nicht zu einer Panik und damit zum Ende des Finanzsystems kam.

Der dritte Endpunkt für das Regime sehe ich analog zum Ostblock in der Bindung sämtlichen produktiven Kapitals im System. Dies lässt sich an der völligen Verzerrung der Marktpreise festmachen, von denen die meisten heute schon nicht mehr den Realitäten auf dem Boden der Tatsachen entsprechen. Dieser Trend wird sich mit jeder neuen Regelung intensivieren, bis der Geldschwamm, den der Finanzmarkt heute ausmacht, vollgesogen ist. Die Folge wird sein, dass nicht nur im Immobiliensektor, sondern auch auf anderen realwirtschaftlichen Märkten massive Verzerrungen auftreten, die sich dann noch mit weiteren Regulierungen aufrecht erhalten lassen.

Ein Beispiel wären unerwünschte Energieerzeugungsmethoden, die zwar unterdrückt werden können, was jedoch ab einem bestimmten Preispunkt von den Konsumenten ignoriert würde. Allgemein ausdrücken wird sich der System endende Vertrauensverlust in diesem Fall im Ausmaß der Schattenwirtschaft, die irgendwann auch Holzkohle oder heimlich installierte Dieselgeneratoren, Solaranlagen und Batteriesysteme umfassen könnte. Sobald dies geschieht, ist es noch eine Frage von wenigen Jahren, bis das System in der ein oder anderen Weise rasiert wird.

Schließlich gibt es als vierte Möglichkeit für das Ende des Systems noch dessen Komplexität, die mit jeder Notwendigkeit für neues juristisches Kapital immer weiter zunehmen wird. Die damit einhergehende Verschleierung der Mechanik könnte irgendwann dazu führen, dass trotz geheimdienstlicher Informationsmittel auch intern niemand mehr versteht, in welchem Zustand sich das System gerade befindet. Tritt dieser Zustand ein, bei dem auch vermeintlich korrektes Handeln zu einer Kaskade des unkontrollierten Versagens führt, dann ist es nur eine Frage des Zufalls, wann der Zusammenbruch erfolgen wird. Was genau der Auslöser sein wird, bleibt unbekannt, es kann in diesem Fall aber buchstäblich alles sein. Selbst ein Versprecher durch einen wichtigen Akteur fällt darunter. Zur Abhilfe könnte das Finanzsystem in den kommenden Jahren auch vollautomatisiert an Computersysteme übergeben werden, wobei das vielleicht heute schon der Fall sein könnte. Wird dies gemacht, dann wäre ein menschliches Versagen zwar nicht mehr möglich, jedoch würden dann irgendwann mathematische Fehler auftreten. Eventuell ließen sich per KI zwar einige Jahre gewinnen, doch irgendwann würde sich auch dieses System gewollt oder ungewollt unweigerlich den Stecker ziehen.

Quelle Titelbild

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