Herbert Kickl in Oberösterreich: Volksnah nahm der FPÖ-Chef am Sonntag am 60. Spaziergang für die Freiheit in Steyr teil und wurde mit Begeisterung von den Oberösterreichern willkommen geheißen. Wir nutzten diese Chance und luden den Ex-Innenminister in unsere Redaktion nach Linz ein. So sprach Wochenblick-Chefredakteurin Bernadette Conrads exklusiv mit Herbert Kickl über die Situation der schwindenden Neutralität Österreichs inmitten der kriegsgeladenen Stimmung zwischen den Weltmächten NATO und Russland.
Karl Nehammer hat in den letzten Tagen mehrfach betont, wie sehr er unsere Neutralität ablehnt. Sie sei uns von den Russen aufgezwungen worden, erklärte er. Was sagen Sie dazu?
Ich halte das für völlig unangebracht und für unverantwortlich, was der Bundeskanzler aufführt. Er agiert nicht wie der Regierungschef eines neutralen Staates, sondern eher in der Manier eines NATO-Sprechers. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich verurteile die russische Aggression und diesen Kriegseinsatz im Nachbarland zutiefst. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Doch ich denke, dass man als neutrales Land auch auf die zweite Seite schauen soll. Das ist ein Konflikt zwischen zwei Beteiligten. Da rede ich jetzt nicht von der Ukraine, sondern der zweite Beteiligte ist die NATO und im Hintergrund der NATO stehen natürlich immer die Vereinigten Staaten.
Ich habe in der gesamten Regierungskommunikation, aber auch auf Ebene der Europäischen Union nirgends ein Wort der Kritik daran gehört. Im Interesse der Ausgewogenheit, der Neutralität, wäre es unsere Verpflichtung, nicht eindimensional in der Analyse zu sein. Das ist ein großes Problem, das wir schon von Corona kennen, dass man bei einer Seite alles für richtig befunden hat und die andere verteufelt hat. Das hat uns auch da nicht gutgetan und jetzt erleben wir eine Neuauflage rund um diesen militärischen Konflikt.
Dieser Konflikt ist nicht über Nacht vom Himmel gefallen
Aber ist die NATO nicht viel friedensstiftender als Russland?
Theoretisch ja. Es liegt mir fern, die NATO zu verteufeln. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Konflikt nicht über Nacht vom Himmel gefallen ist. Man kann das Faktum nicht wegdiskutieren, dass es schon eine jahrzehntelange Auseinandersetzung um die Frage gibt, wie weit die NATO an die russischen Grenzen heranrücken darf oder soll. Damals bei der deutschen Wiedervereinigung hat man gesagt: Wir akzeptieren das vereinigte Deutschland auch als NATO-Mitglied, aber dafür rückt diese keinen Millimeter mehr in Richtung Osten. Das war ein Versprechen der damaligen Außenminister der Westmächte. Was daraus geworden ist, haben wir gesehen. Natürlich ist die NATO ein Verteidigungsbündnis, aber vergessen wir nicht, dass es die NATO gewesen ist, die 1999 Serbien bombardiert hat. Was daran eine Verteidigungsaktion gewesen sein soll, das weiß ich nicht.
Ist das gefährlich für Österreich, was da vonstattengeht?
Ich denke schon, dass es gefährlich ist. Möglicherweise jetzt nicht unmittelbar militärisch – Gott bewahre, dass da auch noch etwas droht. Es ist aber jedenfalls wirtschaftlich brandgefährlich. Wenn ich an den Energiesektor denke, sind wir in gewisser Weise abhängig von guten Beziehungen zu Russland, wenn es zum Beispiel um die Frage des Erdgases geht. Jetzt sind wir ohnehin schon in einer Situation, in der Energie zu einem Luxusartikel geworden ist.
Mit unbedachten Sanktionen gefährdet man zusätzlich die Versorgung. Ohne Energieversorgung funktioniert aber der Wirtschaftsstandort nicht und ohne leistbare Energie ist es für die Leute auch nicht möglich, im ganz normalen Lebensalltag zurechtzukommen. Das wird eine weitere Preisexplosion zur Folge haben, und dann kommt noch die Klimakeule oben drauf.
Neutralität als starkes sicherheitspolitisches Instrument für Österreich
Auch Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) äußerte sich ähnlich wie Nehammer dahingehend, dass die Neutralität sozusagen überholt sei. Er forderte eine “Neuordnung Europas” mit “Europäischer Armee”.
Ich halte das für unglaublich unverantwortlich. Die Neutralität hat uns für Jahrzehnte gute Dienste erwiesen. Es ist ja nicht so, dass wir viele sicherheitspolitische Möglichkeiten haben als kleines Land. Ich halte die Neutralität für das stärkste sicherheitspolitische Instrument, das Österreich überhaupt in Händen hat. Nun wurde binnen weniger Tage sehr viel an Glaubwürdigkeit und an Vertrauen zertrümmert, das lange aufgebaut wurde. Sich in die erste Reihe zu stellen bei jenen, die Sanktionen einfordern, das mit einzupeitschen an vorderster Front, ohne zu bedenken, was das für Österreich bedeutet, ist ein zerstörerisches Verhalten.
Sind Sie überrascht vom Paradigmen-Wechsel? Die Neutralität steht immerhin im Verfassungsrang…
Ich stelle fest, dass die Freiheitliche Partei die einzige Partei ist, die die Verfassung hochhält. Und zwar nicht nur in der Corona-Frage, sondern auch in der Neutralitätsfrage, während sich alle anderen davon verabschiedet haben. Bei der ÖVP überrascht mich das nicht, da kann ich mich an einen gewissen Wolfgang Schüssel erinnern, der damals schon die Neutralität mit Lipizzanern und Mozartkugeln verglichen hat. Aber dass sich die SPÖ jetzt auch für ein Europa-Heer starkmacht, das ist doch einigermaßen verwunderlich. Ich halte nichts davon, dass unsere Soldaten in den Krieg ziehen, über dessen Schauplatz und Beginn in Washington, in Paris und vielleicht auch einmal in Berlin entschieden werden soll.
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