Horst D. Deckert

Linkspartei am Ende: Austritte, Wahlpleiten und sexuelle Belästigungen

Die Linkspartei hat es nicht leicht: Im Saarland ist die Linkspartei künftig nicht mehr im Parlament vertreten. In den Bundestag hatte sie es auch nur durch drei Direktmandate geschafft und aktuelle Umfragestatistiken führen sie zeitweise gar nicht mehr auf. Und ihr ehemaliges Zugpferd Oskar Lafontaine ist ausgetreten. Von einem geschlossenen Auftreten kann man wahrlich nicht sprechen, die Stimmung ist schlecht, die Lage desolat. Nun kommt noch eine Diskussion über mögliche sexuelle Belästigungen hinzu. Susanne Hennig-Wellsow tritt u.a. deswegen als Parteivorsitzende zurück. Die mutmaßlichen Täter: eigene Parteimitglieder.

Von Achim Baumann

Es gärt in der Partei die Linke – und das mächtig. Die zurückliegenden Wahlpleiten sind noch nicht ausdiskutiert, die Kluft zwischen den Anhängern von Sahra Wagenknecht und dem orthodoxen Parteiflügel wird zusehends größer und ein geschlossenes Auftreten, beispielsweise bei der Bewertung des russisch-ukrainischen Krieges, ist in weite Ferne gerückt. Nun erreicht auch noch eine Diskussion um sexuelle Belästigungen, zum Teil wird über Vergewaltigungen gesprochen, die Partei, die sich sonst – ähnlich den Grünen – gerne ein moralisches Saubermann-Image gibt.

Selbst die Mainstreampresse schweigt nicht

Als es Missbrauchsvorwürfe bei der katholischen Kirche gab, berichteten die Mainstreammedien mitunter dauerhaft darüber. Deutlich leiser reagierte der Blätterwald als es um Kindermissbrauch bei den Grünen ging. Bei der Linkspartei ist das wiederum anders: Mittlerweile berichten nicht nur Lokalmedien über die im Raum stehenden Vorwürfe. Auch bundesweite Medien thematisieren die Anschuldigungen. Kein Wunder, trifft es auch Co-Parteivorsitzende Janine Wissler für die Zeit, als sie Vorsitzende des hessischen Landesverbandes war.

Die Vorwürfe sind schwerwiegend

Aber was steht im Raum? Bei der Linkspartei in Hessen soll es jahrelang sexuelle Übergriffe gegeben haben. Es soll zu Fällen sexueller Gewalt gekommen sein. Vorliegen soll eine umfangreiche Dokumentation von Chatverläufen, aber auch von Fotos und E-Mails. Auch eidesstattliche Versicherungen von Opfern sollen vorliegen. Der Inhalt ist erschreckend: es geht um sexuelle „Grenzüberschreitungen“. Es habe zudem ein Klima von „Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur“ gegeben. Zitiert werden zehn Frauen, aber auch Männer, die darüber ausgepackt haben.

Nach den ersten Berichten meldeten sich weitere zwanzig Personen. Allein diese Zahlen deuten auf erhebliche strukturelle Probleme innerhalb der Linkspartei hin. Beispielsweise soll ein Landtagsmitglied Fotos von einer Minderjährigen in sexueller Pose hergestellt haben. Aber auch der Ton untereinander soll rau, gar nicht genossenschaftlich gewesen sein. Hochrangige Parteimitglieder sollen Allüren ausgelebt, die Parteileitung soll weggeschaut haben.

Wie reagierte Janine Wissler auf die Vorwürfe?

Brisant ist, dass eines der Opfer ein Verhältnis mit dem damaligen Lebensgefährten von Janine Wissler gehabt haben soll. So ist Wissler auch höchstpersönlich in die Vorgänge verstrickt. Die Co-Vorsitzende der Linken behauptet allerdings, sie habe die Vorwürfe von sexueller Belästigung, sexueller Gewalt und Missbrauch sehr ernst genommen. Zudem habe sie sofort gehandelt, als ihr ein Teil der Vorwürfe bekannt geworden seien. Der Linksparteivorstand habe im Oktober 2021 eine Vertrauensgruppe eingesetzt. Die solle als Hilfsinstanz für Betroffene dienen.

Ob Wissler selbst oder die Linkspartei Strafanzeigen gestellt haben oder ob es Ordnungsmaßnahmen gegen beschuldigte Parteimitglieder gegeben hat, sagte sie hingegen nicht. Aber das würde man doch von einer sofort handelnden Vorsitzenden erwarten, oder? So verwundert es nicht, dass die parteieigene Jugendorganisation „Solid“ Klartext spricht. Sie forderte „den Rücktritt aller beteiligten Personen, die Täter sind oder von den Taten wussten und diese gedeckt haben“. Ob Janine Wissler auch damit gemeint ist?

Rücktritt von Co-Chefin Hennig-Wellsow

Ihre Parteikollegin Susanne Hennig-Wellsow hat bereits ihren Rücktritt mit sofortiger Wirkung als Co-Parteivorsitzende auf ihrer Webseite angekündigt. Als Gründe dafür gab sie u.a. ihre private Lebenssituation an. Ihr Achtjähriger habe „ein Recht auf Zeit“ mit ihr. Der Umgang mit Sexismus in der Partei sei ein weiterer Grund gewesen. „Ich entschuldige mich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig sind, um aus der Linken eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat.“ Auf ihrer Webseite räumte sie dann auch eigene Fehler ein: „Ich weiß um die vermeidbaren Fehler, die ich selbst gemacht habe“. Janine Wissler, mit der sie die Partei seit Februar 2021 führt, plant laut Medienbericht derzeit nicht zurückzutreten.

Die Reaktion aus der betroffenen Landespartei

„Sexualisierte Gewalt und Sexismus dürfen in unserer Partei keinen Platz haben“, gab aber auch die hessische Landespartei nun eiligst zu Protokoll. Natürlich wird der Vorwurf des Täterschutzes zurückgewiesen. Außerdem habe man ja Betroffenen Gespräche angeboten. Zudem sei „ein umfangreicher Verhaltenskodex“ beschlossen worden. Der Kreisverband Wiesbaden, aus dem ein hochrangiger Täter stammen soll, plane einen „Workshop“ zum Thema „Sexismus-Sensibilisierung“. Das hört sich nach Krisenreaktion, aber nicht echter Bewältigung an.

Dabei wird es im Jahr 2023 auch in Hessen um die Fortexistenz der Linkspartei gehen. Eine Anfang März erhobene Wahlumfrage – also deutlich vor dem Sex-Skandal – taxierte die Linkspartei in Hessen gerade einmal bei fünf Prozent. Der nun zu Tage geförderte Skandal dürfte deutlich Stimmen kosten, die anderen Parteien werden das im anstehenden Wahlkampf genüsslich auskosten. Warum auch nicht, es zeigt sich erneut, dass jene, die gerne Gerechtigkeit, Gleichheit und Moral im Munde führen, oftmals diejenigen sind, die nicht danach handeln. Man darf indes auf die strafrechtliche Aufarbeitung gespannt sein.

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